SIGH - Bildreiche Songs über Hölle, Krieg und Tod
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Die 1990 gegründeten SIGH waren wohl die erste nennenswerte Black Metal-Band aus Japan. Bereits früher klang man anders und schräger als so manche skandinavische Konkurrenz. 1992 erregte man sogar die Aufmerksamkeit des Norwegers Øystein Aarseth. Der besser als Euronymus bekannte und ein Jahr später ermordete Mayhem-Gitarrist bot der Band einen Vertrag auf seinem Label Deathlike Silence Productions an, was man begeistert annahm. Seitdem klang die Musik von SIGH nicht selten wie ein wilder Ritt durch die Stile. Die Basis war stets extremer Metal, oft gemischt mit Klassik- und Soundtrackreferenzen. Später durfte es auch mal etwas Psychedelic oder einfach Classic Rock sein. Das ging sogar soweit, dass die 2005er Platte „Gallows gallery“ fast ganz dem Black Metal abschwor. Beim nächsten Album Hangman’s hymn wagte man aber wieder die konsequente Verschmelzung von Metal und Klassik. Mit Erfolg.
Nachdem man sich zwischenzeitlich mit der dunklen und hübschen Todeselfe Dr. Mikannibal verstärkt hat, ist Scenes from hell der nächste logische Schritt nach vorne. Eine regelrechte Höllensymphonie ist dieses Album geworden. Und wenn man jegliche Scheuklappen ablegt und sich dem akustischen Wahnsinn darauf hingibt, bekommt man ganz schön was serviert für sein Geld. Mit diesem eigenartigen Sound brauchen SIGH keine Konkurrenz zu fürchten. Denn es gibt schlicht und ergreifen wenig, wenn nicht sogar nichts Vergleichbares. Damit stellen sie sich in eine Reihe mit anderen spannenden Bands aus dem Land der aufgehenden Sonne, wie Mono oder Boris, die zwar alle musikalisch absolut nichts miteinander zu tun haben, aber ähnlich eigen zu Werke gehen. MAS nahm Kontakt mit Bandchef Mirai Kawashima auf, um ihm zur neuen CD zu befragen. Zwar wurde man gebeten sich kurz zu fassen, doch der Sänger und Keyboarder zeigte sich trotzdem als ziemlich auskunftsfreudiger Zeitgenosse, der gerne unsere Fragen beantwortete.
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Guten Tag Mirai! Wie würdest Du einem Außerirdischen die Musik Deiner Band beschreiben?
Sie ist eine akustische Waffe um Menschen zu vernichten.
Sigh anno 2010 klingen wie eine Kombination aus verschiedenen Arten von Musik. Wo liegen Deine musikalischen Wurzeln?
Ich nahm zwanzig Jahre lang klassischen Klavierunterricht, seitdem ich vier Jahre alt war. Deswegen ist klassische Musik neben Heavy und Thrash Metal aus den 80ern, den ich als Teenager viel gehört habe, mein größter Einfluss. Daneben ließ ich mich noch in Sachen Geige, Sitar, Tabla, Kehlkopfgesang und weiteren Dingen unterrichten. Und manchmal komponiere ich auch Musik für Videospiele und TV-Shows. Ich habe also viele verschiedene Farben in meiner musikalischen Palette.
Wie sehr ist der Einfluss der japanischen Kultur im Vergleich zu eher westlichen Dingen?
Musikalisch hab ich nie versucht den japanischen Hintergrund in Sighs Musik zu verarbeiten. Wir sprechen jedoch eine total andere Sprache, essen anders, leben in einer anderen Kultur in einem Inselstaat, wahrscheinlich haben wir auch einen ziemlich anderen Sinn für Melodien und Rhythmen, wie westliche Menschen. Ich kann also durchaus verstehen, wenn unsere Musik für westliche Ohren anders klingt. Aber es ist alles impulsiv. Was ich seltsam finde, ist dass es so viele japanische Metalbands gibt, die exakt wie die westlichen klingen. Sie müssen sich wohl sehr anstrengen um so original zu klingen. Seltsam.
In den 90ern hattet ihr eine Verbindung zur norwegischen Black Metal-Szene. Wie viel von diesem alten Geist kann man noch heute in Sigh finden?
Ich persönlich denke, dass wir immer noch dieselben sind wie damals. Von Anfang an hatten wir die Vision Metal, klassische Musik und Horrorstoff zu vermischen. Aber natürlich waren wir um einiges weniger geschickt darin wie heute. Ich denke, die Leute können Gemeinsamkeiten zwischen unserem Debütalbum Scorn defeat von 1993 und der neuen Platte finden.
Kannst Du vielleicht kurz die musikalische Entwicklung von Sigh von früher bis zu Scenes from hell in ein paar Worten umschreiben?
Wie schon gesagt, das Konzept hinter Musik blieb dasselbe. Es ist nur immer der Kontrast auf den es ankommt. Aber damals in den frühen 90ern waren wir ambitionierte aber unerfahrene Musiker, mit nur wenig musikalischem Wissen. Seitdem haben wir viel über Musiktheorie gelernt und eine Menge andere Musik wie Jazz, Experimental, Techno, Ethnostoff und so weiter entdeckt. Auch die Entwicklung der digitalen Technologien war riesig. Als wir das erste Album aufnahmen, haben wir 16-Spur-Analogbandrekorder oder so etwas benutzt und hätten niemals gedacht, dass es ein paar Jahre später möglich sein würde Orchestrierungen zu Hause am PC zu erstellen. Jetzt können wir Leute aus dem Ausland um eine Zusammenarbeit bitten, und dass sie diese als E-Mail an uns schicken, was unglaublich ist!
Scenes from hell klingt in seiner musikalischen Ausrichtung meiner Meinung nach ähnlich seinem Vorgänger Hangman’s hymn, während frühere Alben sich davon mehr abhoben. Ist das eine Art Zeichen von neuer Bandkontinuität?
Was an dieser Frage interessant ist, dass einige sagen Scenes from hell ist Hangman’s hymn sehr nahe, während andere behaupten, dass beide total unterschiedlich klingen. Und beide haben Recht. In dem Sinn, dass beide ein Mix aus Metal und klassischer Musik sind, sind sie gleich. Wie auch immer, hinsichtlich der Kompositionen und der Welten, welche die Musik abbilden, sind sie absolut unterschiedlich. Die Musik der neuen Platte ist viel beschreibender als die des Vorgängers. Sie ist wie die symphonischen Gedichte von Richard Strauss. Ich glaube du kannst dir Szenen voller Luftangriffe, Bombenexplosionen, rollender Panzer und solche Dinge vorstellen, wenn du die drei Songs, welche zu „Musica in Tempora Belli“ gehören, anhörst. Im Moment denke ich darüber nach eine große Gitarrensymphonie komponieren, mit Harmonien wie von acht Gitarren. Die nächste Veröffentlichung könnte also komplett anders sein. Aber ich weiß nicht, ich bin nicht sicher ob diese Idee funktioniert oder nicht. Vielleicht komme ich in der Zukunft mit noch ganz anderen Dingen an.
Auf Scenes from hell klingen die Gitarren nicht so sehr präsent wie früher. Es wirkt eher so, also wurde noch mehr eine Symbiose aus den traditionellen Metalinstrumenten und der Klassik angestrebt, ganz anders als bei anderen Projekten, bei denen das mehr eine Spielerei ist, ein Bombast-Bonus. Liege ich mit dieser Einschätzung richtig?
Ja, Du hast absolut Recht! Das Konzept des Albums ist es, alle Instrumente, namentlich Gitarre, Bass, Schlagzeug und orchestrale Instrumente, gleich zu behandeln. Die klassische Instrumentierung ist also nicht bloß eine Verzierung. Es ist eher so, als wären Gitarre, Bass und Schlagzeug Teil des Orchesters.
Die Musik auf Scenes from hell klingt wie ein Ton gewordenes Hieronymus Bosch-Gemälde. Das Coverartwork verstärkt das noch. Die behandelten Themen der Songs sind sicherlich ähnlich düster und grauenvoll.
Die Hauptthemen des Albums sind Hölle, Krieg und Tod. Die ersten beiden Lieder wurden von Gemälden wie „Die Plage“ von Arnold Böcklin oder „Triumph des Todes“ von Pieter Bruegel inspiriert. Diese sind definitiv über eine Welt in der die Menschen überall aufgrund von Seuchen sterben und sie fühlen wie der Sensenmann über ihren Köpfen kreist. Und die drei Titel die zu „Musica in Tempora Belli“ gehören, sind über den Krieg. Ich wurde von Bildern von den Überlebenden der Atombombenabwürfe und den Luftangriffen auf Tokio, bei denen während des zweiten Weltkriegs in einer Nacht mehr als 100.000 Leute zu Tode verbrannt sind, inspiriert. Wie Du siehst, waren Gemälde eine der Hauptinspirationen bei diesem Album und wir wollten die Lieder sehr beschreibend gestalten. So wie Richard Strauss, der die Szenerie von Bergen mit Musik in seiner Alpensymphonie beschrieb. Wir wollten Hölle, Krieg und Tod mit unserer Musik darstellen.
Und der fürs Artwork zuständige Eliran Kantor hat diese Intension wunschgemäß in diesem klassischem Stil dargestellt?
Zuerst gab ich Eliran das Konzept und ließ ihn ein paar Songdemos hören und die Texte lesen. Er ist sehr mit den Arbeiten von Böcklin, Bruegel und Bosch vertraut. Es war also sehr einfach ihm zu erklären was wir für unser Cover wollen. Und er setzte das was wir machen perfekt um. Somit ist alles, die Musik, die Texte und das Artwork, sehr miteinander verbunden. Ich habe sogar noch Schreie, welche vom Innen-Artwork inspiriert sind, zu den Songs hinzugefügt.
Diskografie | (ohne Demos, Splits und Singles)
Requiem For Fools (EP, 1991)
Scorn Defeat (1993)
To Hell And Back (EP, 1995)
Infidel Art (1995)
Ghastly Funeral Theatre (EP, 1997)
The Eastern Force Of Evil: Live 92 - 96 (Livealbum, 1997)
Hail Horror Hail (1997)
Scenario IV: Dread Dreams (1999)
Imaginary Sonicscape (2001)
Gallows Gallery (2005)
Hangman’s Hymn - Musikalische Exequien (2007)
A Tribute To Venom (EP, 2008)
Scenes From Hell (2010) |
| Das Album enthält Gastauftritte von Kam Lee (ex-Death/Mantas, Massacre, Bone Gnawer) und David Tibet (Current 93). Wie kam es dazu und was kannst Du uns darüber erzählen?
Sie haben offensichtlich beide exzellente Stimmen! Wir stehen mit Kam schon seit einigen Jahren in Kontakt und ich bin mit seiner Arbeit seit seinen Death-Tagen vertraut. Als ich jemanden für den eröffnenden Gesang von „L’art de Mourir“ wollte, war er der erste an den ich dachte. Es war Eliran Kantor der mir David Tibet vorstellte. Ich war schon vorher ein großer Fan von Current 93, also habe ich ihn gefragt, ob er auf dem Album etwas vortragen könnte. Zuerst plante ich, dass er ein Gedicht von Wilfred Owen verwendet. Aber David war so nett, dass er uns anbot einen eigenen Text zu schreiben. Es ist eine wirkliche Ehre für uns, diese beiden legendären Sänger auf der Platte zu haben.
Der Sound der CD ist ziemlich rau und natürlich. Ich kann mir denken, dass er neuzeitlich verwöhnte Ohren etwas verschrecken könnte. Weiter gibt es darauf einige alte Keyboard- und Orgelsounds zu hören. Bist Du kein großer Freund von digitalen Musikproduktionen?
Als ich aufgewachsen bin, hab ich in den 80ern Thrash Metal gehört. Also bevorzuge ich den Sound aus dieser Ära. Die Musik welche man in seiner Jugend gehört hat, verfolgt einen für immer! Nun, ich habe nichts gegen den digitalen Sound von heute, aber das ist ein Album über die Hölle. Es muss also rau klingen, damit es passt. Du weißt, dass es viel organischer klingt. Was Keyboards betrifft, ich liebe die alten analogen viel mehr. Keiner der heutigen Synthesizer kann ein altes Juwel wie einen Minimoog oder Prophet-5 übertreffen.
Ich kann mir vorstellen, dass es nicht ganz einfach ist eure Musik live aufzuführen. Siehst Du Sigh generell mehr als Liveband oder bezeichnest Du das Studio als euer natürliches Zuhause?
Wir sind auf jeden Fall eine Studioband. Natürlich lieben wir es live zu spielen. Besonders auf den europäischen Festivals zu spielen ist eine großartige Erfahrung. Aber trotzdem ist das Studio unser Zuhause. Wenn wir Musik schreiben, denken wir nie darüber nach ob es überhaupt live reproduzierbar ist.
Ihr und eure extreme Musik seid hier nicht besonders berühmt. Wie ist euer Ruf im Rest der Welt, besonders in eurem Heimatland? Seid ihr dort eine große Nummer in der Szene?
Wir haben in den USA definitiv unsere größte Anhängerschaft. Es ist wirklich schwierig für uns in der europäischen Szene Fuß zu fassen. Wir waren länger bei einem US-Label unter Vertrag, und obwohl unsere Alben auch für ein europäisches Label lizenziert wurden, war es nicht gerade einfach für uns. Aber wir haben endlich eine europäische Touragentur, also können wir bei euch öfter spielen, was hoffentlich unseren Namen weiter verbreitet. Wir sind bei den japanischen Metalfans recht bekannt, aber die Metalszene selbst ist ziemlich klein. Irgendwie scheinen manche zu glauben Japan sei der Metalhimmel oder so etwas. Aber offensichtlich ist es nicht so! In Japan bekommt Metal niemals eine Auszeichnung wie einen Grammy oder so etwas, oder wird ein Kassenschlager wie in einigen europäischen Ländern.
Zum Abschluss noch eine generelle Frage: Was bedeutet Erfolg für Dich - einen Menge CDs zu verkaufen oder eher von einer kleineren, aber dafür wirklich leidenschaftlichen Gruppen von Fans ehrlich für eure Musik respektiert zu werden?
Als Musiker möchte ich natürlich, dass immer mehr und mehr Leute meine Musik hören. Aber ich habe nicht den Drang danach den Musikstil zu ändern, nur um ein größeres Publikum anzuziehen. Nun, wenn wir ein breiteres Publikum wollen würden, dürften wir sowieso keinen extremen Metal spielen. Ganz ehrlich, ich bin mit dem was wir gerade haben sehr zufrieden. Als ich ein Kind war, habe ich davon geträumt meine eigene Band zu gründen, Platten herauszubringen und weltweit zu touren, wie es jedes Metalkid eben macht. Ich habe nie gedacht, dass diese Dinge wahr werden könnten, da es damals keine extreme japanische Metalband gab, die einen vernünftigen internationalen Vertrag hatte. Ich hätte niemals gedacht auf einem Festival vor tausenden von Leuten zu spielen. Also toppt das was wir gerade tun alles, wovon ich je geträumt habe! Es ist auf keinen Fall schlecht.
Mario Karl
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