Desmarest, H. (Rousset)
Vénus & Adonis
HÖHEPUNKTE DER FRANZÖSISCHEN BAROCKOPER
Was ein Glück, dass Christophe Rousset und seine „Lyrischen Talente“ nach einigen sehr dürren Decca-Jahren im neuen Jahrhundert bei Ambroisie und Naïve untergekommen sind. Ihre Veröffentlichungen der letzten Jahre zeichnet dort durchweg ein hoher Repertoire- und künstlerischer Wert aus. Bei einem Majorlabel hätten die Ausgrabungen von Gluck, Salieri, Soler, Lully oder Jommelli keine Chance gehabt. Und auch ein großes Talent wie Henry Desmarest wäre uns wohl vorenthalten worden. Bereits 1999 haben Les Talens Lyrique seine Didone auf die Bühne gebracht – es blieben davon leider nur begeisterte Kritiken. Das ist bei der jüngsten Produktion glücklicherweise anders.
Warum Henry Desmarets tragedie lyrique Venus und Adonis 1697 einer der raren Erfolge in der Nachfolge von J. B. Lully wurde, lässt sich leicht ermessen: Grundsätzlich folgte Desmarets dem vom musikalischen Gründervater Frankreichs geprägten Schema aus ausdrucksstarkem Rezitativ, kurzen Arien und großen Tanz- und Chorszenen, mit denen der mythologische Stoff inszeniert wird. Eine der üblichen unheilvollen amourösen Verwicklungen musste es sein, etwas, womit sich die feine Gesellschaft von Hof und Hauptstadt identifizieren konnte. In diesem Fall ist es das Gefühlschaos zwischen dem Götterpaar Mars und Venus, dem von Venus begehrten Prinzen Adonis sowie der von diesem verschmähten Prinzessin Cidippe. Die Konstellation bietet reichlich Gelegenheit für Intrigen, Liebesschwüre, Rachegelüste, Göttererscheinungen und tragische Todesfälle.
Ohne eine solch eindeutige Verbeugung vor dem Nationalgeschmack hätte sich das Werk wohl kaum durchsetzen können. Aber die Art, wie der Komponist die musikalischen Zutaten anrichtet, zeigt mehr als handwerkliches Geschick. Dass er mit den großzügig gesetzten vokalen Ornamenten die strenge klassizistische Linie seines Vorgängers verlässt, wurde von konservativen Operngängern zwar gerügt. J. Ph. Rameau sollte 40 Jahre später aus den sich hier ankündigen Veränderungen die Konsequenzen ziehen und der Musik endgültig die Herrschaft über das Wort einräumen. Desmarets expressive Kraft in den solistischen Partien, vor allem in den großen Monologen, spricht freilich ebenso für sich wie der harmonisch profunde Satz der Chöre. Obwohl wie bei Lully die Wortverständlichkeit im Vordergrund steht, vermeidet Desmarest doch eine flächig-monumentale Eintönigkeit. Ein vitaler Puls erfüllt auch die Tänze, die, ähnlich wie schon bei Lully, ganze Szenen tragen können, z. B. das große Duett zwischen Venus und Adonis im 4. Akt.
Dieser Livemitschnitt aus der Opéra national de Lorraine aus dem Jahr 2006 erfüllt höchste Ansprüche. Dass der obligatorische Prolog aus dramaturgischen Gründen gestrichen wurde, mag einen um die eine oder andere musikalische Perle bringen. Dem Gesamteindruck schadet es nicht, dafür bürgen schon die lebhaft und präzise aufspielenden Talens Lyrique, die sich unter der Leitung von Christophe Rousset einmal mehr als absolut stilsicheres barockes Spitzenensemble profilieren können. Der Klang der aktuellen Produktion ist klar und farbig. Kaum einmal gibt es störende Nebengeräusche von Bühne und Publikum. Umso besser für die Sänger/innen: Mit Karine Deshayes verführerischer Venus, Sébastien Droys von edler Leidenschaft erfülltem Adonis, der emotional mitreißenden Cidippe von Anna-Maria Panzarella und dem markigen Mars von Henk Neven hat Rousset ein bestens aufeinander abgestimmtes Ensemble verpflichtet. Ein weiteres wichtiges Werk aus der Epoche zwischen Lully und Rameau hat damit seinen Weg zurück auf die moderne Bühne und zwei gut gefüllte CDs gefunden. Illustriertes, ausführliches Beiheft auf Französisch und Englisch.
AM BESTEN LIVE ...
Inzwischen muss man nicht einmal mehr nach Frankreich fahren oder auf Tonkonserven zurückgreifen, um sich von den Qualitäten der französischen Musiker zu überzeugen. Am 9. Februar 2008 bietet sich die Gelegenheit, Les Talens Lyrique unter Rousset live in der Essener Philharmonie mit Höhepunkten aus Rameaus Oper Castor & Pollux (2. Fassung) zu erleben. Beim Frankreichschwerpunkt der laufenden Saison ist das Ensemble Artist in Residence. Nach einem Programm mit berühmten „Tragediennes“ der französischen Barockoper (mit Veronique Gens) wird diese konzertante Darbietung sicherlich ein Höhepunkt des noch jungen Musikjahres werden. Sie bietet überdies Gelegenheit, einige der Sänger von Venus & Adonis live zu erleben, darunter Anna-Maria Panzarella. Rameaus elegische Oper enthält einige seiner berühmtesten Kompositionen. Die Reihe wird am 6. Juni mit geistlichen Chorwerken von Rameau und Campra fortgesetzt.
Georg Henkel
Besetzung |
Karine Deshayes, Venus Sébastien Droys, Adonis Anna-Maria Panzarella, Cidippe Henk Neven, Mars Ingrid Perruche, Bellone Jean Teitgen, La Jalousie u. a.
Chor der Opéra national de Lorraine Les Talens Lyrique
Ltg. und Cembalo Christophe Rousset
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