Ein Strippenzieher hinter den Kulissen erzählt die Musik der 60er
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Autor: Joe Boyd
Titel: White Bicycles
Verlag: Verlag Antje Kunstmann, München 2007
ISBN: 978-3-88897-491-5
Preis: € 24,90
349 Seiten
Internet: http://www.kunstmann.de
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Das Musikbusiness besteht aus den Musikern, die die Musik machen, den Fans, die die Musik hören und kaufen, und den Medien, die über die Musik schrieben und ihr ihr Image und ihre Fama geben. Und dann gibt es da im Hintergrund noch die, die die Infrastruktur stellen: Produzenten, Plattenfirmen, Verleger, und und und. Musiker, Fans und Schreiber erheben immer wieder ihre Stimme - in ihren Liedern und Interviews, in Artikeln und Rezensionen und in Fanzines und Leserbriefen. Die Leute im Hintergrund schweigen in der Regel oder lassen andere reden. Mit Joe Boyd erhebt einer, der Jahre lang Strippen gezogen hat, seine Stimme. Er war Produzent und Manager, Veranstalter und Talentscout. In White Bicyles gibt er den 60er Jahren ein Gesicht. Der erste Satz lautet: „Die Sechziger begannen im Sommer 1956, endeten im Oktober 1973 und hatten während eines Auftrittes von Tomorrow im Londoner UFO-Club kurz vor Sonnenaufgang des 1. Juli 1967 ihren Höhepunkt.“ (S.9)
Wer so formuliert, beansprucht alles Mögliche, aber keine Objektivität. Und so ist es auch mehr als passend, dass Boyd fast durchgehend von seinen Erlebnissen spricht. White Bicycle wird so zu einer Art Road Movie durch eine musikalisch bewegte Zeit, die die Pop-Kultur bis in die Gegenwart hinein immer wieder entscheidend prägt. Ebenso wenig wie Objektivität strebt Boyd Vollständigkeit an. Damit würde er seinen autobiographisch geprägten Ansatz ja auch ad absurdum führen. Er kann nur von dem erzählen, was er selber gesehen hat, bzw. gelegentlich mal das eine oder andere vom Hörensagen her berichten. Aber dann legt er Rechenschaft ab, was er wann, wo und von wem gehört hat. Boyd beginnt im britischen Folk, dem amerikanischen Jazz und Blues, tänzelt eine Zeitlang am Rande der Hippie Bewegung entlang, um dann wieder zu seinen Wurzeln zurückzukehren.
Wer ist Boyd? Er ist keiner der ganz Großen, aber groß genug, um mit dem einen oder anderen ganz Großen in Tuchfühlung zu geraten. Fairport Convention, die Incredible String Band, Sandy Denny und Nick Drake sind die wohl wichtigsten Künstler, mit denen er in seiner Karriere intensiv zu tun hatte. Namen, die mancher schon gehört hat, die aber wenigen viel sagen. Die großen Legenden wie Jimi Hendrix, Pete Townshend, Abba(!) oder Pink Floyd tauchen im Leben von Joe Boyd auf, aber eher am Rande. Er träumte immer davon eine graue Eminenz des Business zu werden. Am Ende des Buches (S. 331) behauptet er eine gewesen zu sein. Der Leser, der ihm 300 Seiten lang gefolgt ist, zweifelt ohne ihm böse zu sein. Zu oft sind ihm die wirklich wichtigen Fäden durch die Hände geglitten. Aber gerade das macht ihn und seinen Bericht sympathisch. Die meisten Musik-Biographien, die von den „ganz Großen“ geschrieben werden, entschweben irgendwann in den Rock-Pop-Jazz-Metal-Olymp, der dem Leser verschlossen bleibt. Boyd bleibt bei uns auf der Erde, auch wenn er bei den Festivals in Newport, Montery und Woodstock dabei war und eine zeitlang in relativ hohen Etagen des Warner Konzerns etabliert war.
Spannend auch der eine oder andere Seitenblick – zum Beispiel der auf die Scientology-Sekte. Ihr waren die Musiker Incredible String Band irgendwann verfallen. Boyd beschreibt die Auswirkungen, beschäftigt sich ein wenig mit der Sekte und erzählt auch von den Erfahrungen, die er selber in der Sekte gemacht hat, als er aus Neugier eine Zeit lang ihre Kurse besucht hat. Die Beschreibung Boyds wirkt authentischer und objektiver, als die vieler Sekten-Mitglieder, -Experten oder –Bekämpfer – gerade weil Boyd eigentlich kein besonderes Interesse an der Sekte hat, sondern nur über sie berichtet, weil sie ihm „in die Quere“ kommt.
Hätte Boyd sein Buch Die Musik der 60er Jahre untertitelt wäre das ein überzogener Etikettenschwindel. Aber er hat die Formulierung Musik in den 60er Jahren gewählt. Vor dem Hintergrund seiner Definition der 60er geht das voll in Ordnung. Und er liefert ein farbenfrohes Bild dieser bewegten Zeit, dass Michael Keller, der den Buchumschlag gestaltet hat, adäquat umsetzt.
Norbert von Fransecky
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