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Reviews
Sonic Youth

Dirty


Info
Musikrichtung: Noise-Rock

VÖ: 21.07.1992

(DGC / Geffen)

Gesamtspielzeit: 58:59

Internet:

http://www.sonicyouth.com


Bis heute gilt Dirty als das kommerziell erfolgreichste Album von Sonic Youth und wird oftmals als Einstieg in das Schaffen des lärmenden Vierers (der mittlerweile zu fünft Krach macht) aus New York empfohlen. Dabei ist es alles andere als leicht verdaulich.

Im März 1992 ging die Band ins Studio, um den Nachfolger ihres 1990er Albums Goo aufzunehmen. Als Produzenten hatte man Butch Vig und Andy Wallace engagiert, also jenes Producer/Mixer-Gespann, das ein gutes Jahr zuvor mit Nirvanas Nevermind einen Meilenstein der jüngeren Musikgeschichte produziert hatte. Die Arbeiten an dem ursprünglich My Life To Live betitelten Album gingen planmäßig voran und bereits im Juni erschien das nunmehr Dirty betitelte neunte Album der Band. Hatten viele Fans noch befürchtet, die Zusammenarbeit mit Vig und Wallace würde zu einem kommerzielleren Sound führen, wurde schnell deutlich, dass Sonic Youth nicht im entferntesten daran dachten, ihre musikalischen Visionen dem Kommerz zu opfern. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorgänger fiel Dirty soundtechnisch eine ganze Ecke härter und dreckiger aus. Der Albumtitel war also durchaus treffend gewählt.

Mit dem Opener „100%“ beginnt das Album verhältnismäßig ruhig, Thurston erzählt hier vom Schicksal seines alten Freundes Joe Cole, der wenige Monate zuvor ermordet wurde. Doch der Track ist nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, der mit „Swimsuit Issue“ entfacht wird. Erstmals wechselt Kim Gordon bei einem Albumtrack vom Bass an eine zusätzliche Gitarre. Mit drei Gitarren und schepperndem Schlagzeug wird „Swimsuit Issue“ zu einem wahrlich eiskalten Noisekracher und Kims rauer Gesang steigert die Kälte noch weiter. Track Nummer 3, „Theresa’s Sound-World”, bietet dann genau das, was spätestens seit “Daydream Nation“ als eines der Markenzeichen von Sonic Youth gelten darf. Verführerische Art-Pop Melodien nehmen den Zuhörer gefangen, der dann ungläubig staunend miterlebt, wie Sonic Youth eben diese Melodien zerstören nur um sie anschließend neu zu erschaffen. Weiter geht’s mit dem völlig abgedrehten „Drunken Butterfly“, bei dem Thurston und Lee mit einem gigantischen Gitarrenduell Kims manischen Gesang begleiten. Dass man mit 3 Gitarren auch eine Midtempo-Nummer außergewöhnlich gestalten kann, demonstriert dann der schmerzhaft schöne Song „Wish Fulfillment“, für welchen Kim erneut an die Gitarre wechselt. Den Gesang übernimmt diesmal Lee, der sehnsüchtig von einer Liebe erzählt, die längst zu schlichter Routine verkommen ist. „Sugar Kane” handelt von Marilyn Monroes tragischem Leben abseits der Filmscheinwerfer und überzeugt wieder einmal durch die perfekte Kombination von Art-Pop und Noiserock. Mit „Orange Roll’s, Angel’s Spit“ kehrt dann der musikalische Wahnsinn eindrucksvoll zurück, Sonic Youth balancieren hier auf einem Schmalen Grad zwischen unhörbaren Lärm und Premium-Krach, aber Kims Vocals sorgen einmal mehr dafür, dass der Sound nicht in die falsche Richtung kippt. Ian MacKaye (Fugazi) steuert schließlich einige Hardcore-Riffs zu „Youth Against Fascism“, dem wohl politischsten Song von Sonic Youth bei. Mit „On The Strip“ kehrt ein weiteres Mal die dritte Leadgitarre zurück, und bei „JC“ steht erneut Joe Cole im Mittelpunkt, diesmal nimmt Kim Abschied von ihrem alten Freund. Auch die folgenden Songs können überzeugen, Schwachpunkte gibt es ohnehin nicht auf Dirty. Mit „Crème Brûlée“, einem nur von Kim und Drummer Steve Shelly inszeniertem Song, endet schließlich dieses außergewöhnliche Album.

Wie bereits erwähnt ist Dirty keinesfalls ein leichtes Unterfangen und sollte am besten in einem Stück geschluckt werden, bietet dafür aber auch unendlich reiche Soundlandschaften erfüllt von experimentellen Klängen, die man auf kaum einem anderen Album finden wird. Die Musik von Dirty sprengt alle Grenzen und widersetzt sich dabei erfolgreich der Logik konventioneller Rockmusik. Und genau das ist der Anspruch, den Sonic Youth an ihre eigene Musik stellen. Wer Dirty nicht kennt, hat definitiv etwas verpasst.



Jochen Nelson



Trackliste
1100%2:29
2Swimsuit Issue2:59
3Theresa’s Sound-World5:28
4Drunken Butterfly3:04
5Shoot5:16
6Wish Fulfillment3:26
7Sugar Kane5:57
8Orange Roll’s, Angel’s Spit 4:19
9Youth Against Fascism3:36
10Nic Fit0:59
11On The Strip5:42
12Chapel Hill4:47
13JC4:03
14Purr4:22
15Crème Brûlée2:32
Besetzung

Thurston Moore – Vocals, Guitar
Kim Gordon – Vocals, Bass, Guitar
Lee Ronaldo – Vocals, Guitar
Steve Shelly – Drums, Percussions

Guests:
Ian MacKaye – Hardcore-Guitar (on “Youth Against Fascism”)



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