Talas

1985


Info
Musikrichtung: Melodic Rock

VÖ: 23.09.2022

(Metal Blade)

Gesamtspielzeit: 41:26

Internet:

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http://www.metalblade.de


Sich als US-amerikanische Band nach wahlweise einer Stadt, einem Fluß, einer Gebirgskette oder einer Provinz in der damaligen Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu benennen, mutet allermindestens eigenartig an, zumal mitten im Kalten Krieg. Talas brachten in der ersten Hälfte der Achtziger zwar zwei Studioalben und eine Livescheibe heraus, kamen letztlich aber nicht auf einen grünen Zweig, und als Bandkopf Billy Sheehan das Angebot von David Lee Roth, in dessen Soloprojekt Baß zu spielen, annahm, war 1985 der Ofen aus. Sheehan entpuppte sich auch in der Folgezeit als der künstlerisch umtriebigste wie kommerziell erfolgreichste der einstigen Talas-Musiker, scheffelte mit Mr. Big reichlich Kleingeld, spielte auch Solowerke ein und hätte sich längst ins Privatleben zurückziehen können – aber es juckt den Mann offenbar immer noch pausenlos in den Fingern. 2017 spielten Talas eine Reunion-Show in Rochester, New York, die so gut ankam, dass flugs eine Mini-Tour mit sieben weiteren Gigs angehängt wurde und man beschloß, die Band wieder auferstehen zu lassen.
Die Arbeiten an einem neuen Album zogen sich aber in die Länge, und zum Zeitpunkt, da es endlich erschien, da weilte Sänger Phil Naro bereits nicht mehr unter den Lebenden. Ihm ist das programmatisch betitelte 1985 folgerichtig auch gewidmet, und wenn man nicht wüßte, dass der Mann zum Zeitpunkt des Einsingens schon schwer krank war, man hätte es anhand seiner Gesangsleistung nicht vermutet. Klar, auch seine Stimme ist etwas gealtert, aber mit Würde – und er trifft immer noch jeden Ton genau dort, wo er muß. Und er muß viel leisten – Sheehan und seine Mitstreiter denken gar nicht daran, von ihren hohen Ansprüchen abzuweichen, und daran taten sie gut, denn 1985 ist ein blitzsauberes Melodic-Rock-Album geworden, das sich vermutlich würdig in die Reihe der Altwerke der Band einreiht. Das Wort „vermutlich“ speist sich daraus, dass der Rezensent keines dieser Werke besitzt – trotzdem kennt er einen alten Talas-Song, nämlich „Shyboy“ vom zweiten Album Sink Your Teeth Into That, den Sheehan weiland zu Roth mitgenommen und dort nochmal neu eingespielt hat, damit ein Highlight auf Eat ’Em And Smile plazierend. Aber um den typischen Baßstil Sheehans herauszuhören, genügt auch auf dem neuen Album ein Reinhören in die ersten paar Sekunden des Openers „Inner Mounting Flame“, der sich als Speedkracher entpuppt und sozusagen den Zwillingsbruder von Mr. Bigs „Colorado Bulldog“ darstellt. Wer dann aber vermutet, Talas würden einen Gang herunterschalten, sieht sich vom gleichfalls speedigen „I’ll Take The Night“ in die Irre geführt, das Drummer Mark Miller ebenfalls erbarmungslos antreibt, die weiteren Instrumentalisten Sheehan und Gitarrist Kire Najdovski aber wie schon den Opener mit genügend fluffiger Eleganz ausstatten, um nicht vermuten zu müssen, die Herrschaften wären vielleicht, passend zum Deal bei Metal Blade, auch ins Metal-Lager gewechselt. „Crystal Clear“ an Position 3 schaltet dann erstmals zurück und überrascht strukturell gleich in mehrererlei Hinsicht, denn hier spielt der einstige Talas-Gitarrist Mitch Perry mit und ist zusammen mit Ralph Morman, der dem US-Szenekenner vielleicht noch von Angel oder vom Joe Perry Project geläufig ist, auch Komponist dieses Stückes. Sollte das noch ein Überbleibsel aus den alten Tagen sein? Genaueres ist nicht vermerkt, aber ein Blick in die Geschichte zeigt tatsächlich, dass der Song noch aus der ersten Aktivitätsperiode stammt – er stand auf dem Livealbum, aber eine Studioversion gab es von ihm damals nicht, und die wird hier nun nachgereicht. Analoges, nur ohne Perrys und Mormans Mitwirkung, gilt übrigens auch für den bereits erwähnten Opener „Inner Mounting Flame“. Unklar bleibt allerdings, ob sich unter den anderen neun Tracks noch weitere exhumierte aus der alten Zeit finden, die damals weder im Studio noch live konserviert worden waren. „Crystal Clear“ überzeugt jedenfalls musikalisch trotz des hier nicht ganz so weit im Vordergrund stehenden Baßspiels auch und wurde sogar als erste Single ausgekoppelt. Ein großer potentieller Hit ist’s nicht, aber solche bleiben in der knappen Dreiviertelstunde sowieso abwesend – Talas versuchen eher mit dem Gesamtbild zu punkten. Das bleibt auch in der Folge vielfältig: „Don’t Try To Stop Me Tonight“ groovt lässig und leicht funkig vor sich hin, „Do You Feel Any Better“ bahnt sich schwerfällig seinen Weg, „On The Take“ hätte abermals bestens ins Schaffen von Mr. Big gepaßt, obwohl auch hier nochmal Perry zur Gitarre greift (der bekanntlich nicht bei Mr. Big dabei war), und so geht es dann auch weiter. Für die relative Frische könnte Gitarrist Najdovski mitverantwortlich sein, ein relativer Jungspund, der möglicherweise noch im Kindesalter war, als Talas in den Mittachtzigern auf dem Bandfriedhof verschwanden. Hugh Syme hat die Lage übrigens in einem kongenialen Cover festgehalten: Ein typischer Achtziger-Sportwagen mit dem Nummernschild „1985“ steht in der Landschaft und zerfällt langsam in seine Einzelteile, woran einige Waschbären tatkräftigen Anteil haben. Dafür hat die Layoutfraktion mal eben vergessen, den Albumtitel auch auf die Seiten des Digipacks zu befördern, so dass man beim Sortieren ein wenig aufpassen muß, da auch das Debütalbum anno 1980 selbstbetitelt war.
Aber diese kleine Mühe darf man als Freund blitzsauberen und originellen Melodic Rocks gern auf sich nehmen, wenngleich wie erwähnt die ganz großen Highlights ausbleiben und auch Speedfreaks nach den beiden furiosen Openern nicht mehr auf ihre Kosten kommen. Balladen gibt es übrigens auch keine – „Black & Blue“ mit seiner relaxten Grundstimmung kommt diesem Genre noch am nächsten, ist aber auch mit einer passablen Grundhärte und ein paar hintergründig eingemischten, sonst auf dieser Scheibe Seltenheitswert besitzenden Keyboards, hier in Gestalt von Hammondorgeln, ausgestattet. In „Ihe Power To Break Away“ gönnen sich Talas sogar mal ganz kurze Rhythmusverschiebungen, ohne dass man aber etwa an das Adjektiv „progressiv“ denken muß. „Close To The Killer“ konnte Naro offenbar nicht mehr einsingen, also steht hier und auch in „Don’t Try To Stop Me Tonight“ Sheehan am Mikrofon – er macht seine Sache gut, aber Naro sang trotz seines Zustandes doch noch in einer anderen Liga, wie man in den offenbar von ihm stammenden Vokalisen im Mittelteil von „Close To The Killer“ und in der Hintergrundstimme von „Don’t Try To Stop Me Tonight“ eindrucksvoll demonstriert bekommt. Naros Sohn James steuerte übrigens Backing Vocals zu der Scheibe bei. Ob und, wenn ja, dann wie es bei Talas ohne Naro sen. weitergeht, bleibt abzuwarten – ob der Filius das Talent hätte, den Verstorbenen zu ersetzen, kann anhand seiner Leistung auf dieser Scheibe nicht beurteilt werden. Das zweieinhalbminütige Baßsolo „714d h“ schließt 1985 auf hohem Niveau ab. Sheehan-Sammler müssen natürlich zugreifen, aber auch darüber hinaus sollte das Werk Aufmerksamkeit wecken können, wenn man melodischen (Hard)Rock der alten Schule mag.



Roland Ludwig



Trackliste
1Inner Mounting Flame3:19
2I’ll Take The Night4:13
3Crystal Clear4:15
4Don’t Try To Stop Me Tonight3:04
5Do You Feel Any Better3:43
6On The Take3:49
7Come When You Call3:25
8The Power To Break Away4:10
9Black & Blue4:12
10Close To The Killer4:38
11714d h2:34
Besetzung

Phil Naro (Voc)
Kire Najdovski (Git)
Billy Sheehan (B, Voc)
Mark Miller (Dr)


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