Dream Theater

The Majesty Demos (1985-1986)


Info
Musikrichtung: Prog Metal

VÖ: 21.01.2022 (1985/86)

(Inside Out / Sony)

Gesamtspielzeit: 77:50

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net


Als sich im Jahr 1985 an der US-amerikanischen Ostküste die Musikstudenten John Petrucci, John Myung und Mike Portnoy zusammentaten, wird keiner von ihnen geahnt haben, welchen Status ihre gemeinsame Band in den folgenden Jahrzehnten erreichen würde. Das im Folgejahr um Kevin Moore und Chris Collins zum Quintett erweiterte Bandprojekt wurde auf den Namen Majesty getauft und klang in gewisser Weise auch so – nicht unbedingt majestätisch (dafür würde man eher Epic Metal spielen müssen), aber königlich in Instrumentenbeherrschung wie Einfallsreichtum. Majesty entwickelten im jugendlichen Eifer eine immense Arbeitswut und standen schon im Jahr nach der Gründung, am 11. August 1986, mit einem selbstbetitelten Demo auf der Matte, das mit seinen sechs Songs problemlos Albumlänge (für Mittachtziger-Verhältnisse jedenfalls) erreichte und der Formation zeitnah den Weg zu Größerem hätte ebnen können, wenn, ja, wenn man sich nicht von Sänger Chris Collins hätte trennen müssen, was erstmal einen längeren Findungsprozeß auslöste, der erst mit der Verpflichtung von Charlie Dominici (R.I.P.!) im Herbst 1987 vorläufig abgeschlossen werden konnte.
Bis dahin hatten Majesty Unmengen an Material mitgeschnitten, und eine Ansammlung desselben findet sich neben den sechs regulären Demo-Songs auf der vorliegenden CD, die Portnoy zunächst 2003 auf seinem eigenen Label YtseJam Records im Zuge der „Lost Not Forgotten Archives“-Serie herausgebracht hatte und die nun in songseitig unveränderter Form über das aktuelle Label der bekanntlich mittlerweile Dream Theater geheißenen Band, Inside Out, noch einmal regulär herausgebracht wird, und zwar in beiden Fällen historisch nicht ganz korrekt unter dem Namen Dream Theater, obwohl ausschließlich Material aus der Majesty-Ära vertreten ist. Aber diese kleine Abweichung tut wenig zur Sache – weniger angenehm ist das völlige Fehlen von irgendwelchen Hintergrundinformationen, Liner Notes o.ä., die den einen oder anderen Zusammenhang hätten erhellen können. Das war in der 2003er Version anders, denn da hatte Portnoy die Hintergründe detailliert aufgeschlüsselt.
So hingegen bleibt dem ausschließlichen Besitzer der Neuveröffentlichung unklar, ob die eigentümliche Reihenfolge der Songs auf der CD den chronologischen Mitschnitts- bzw. Aufnahmedaten entspricht. Die sechs Demosongs stehen nämlich ganz am Ende der CD, davor gibt es siebzehn andere Tracks, und einigen ist durchaus zuzutrauen, dass es Pre-Production-Aufnahmen für die Demoaufnahme oder aber Dokumente aus der Zeit vor dem Einstieg von Collins als Sänger sind. Das 2003er Booklet bestätigt das und nennt diesen Komplex „The Berklee Demos“ nach dem College, auf dem sich die drei Gründer trafen und wo sie auch die Mitschnitte tätigten.
Die ersten zehn Songs kommen mit einer Ausnahme alle instrumental daher. Drei der zehn, nämlich „Another Won“, „Two Far“ und „Your Majesty“, fanden letztlich auch den Weg auf das Demo. Von den anderen ist das einleitende „Particle E. Motion“ ein kurzer, überwiegend ruhiger Gitarre-Baß-Dialog (laut Portnoy war das eine Testaufnahme, ob seine Vierspur-Maschine funktionierte), was in ähnlicher Form auch auf „The Saurus“ zutrifft, während es sich bei „Cry For Freedom“ und „The School Song“ im Prinzip um vollwertige Songs handelt, denen lediglich die Gesangslinien fehlen. Auffällig ist die nahezu komplette Abwesenheit von Keyboards – Moore war in dieser Frühphase noch nicht in der Band, auch wenn er sich schon in ihrem Umfeld herumtrieb und bald klar wurde, dass er einsteigen würde, sobald er seine Schulausbildung beendet haben würde. Bei „YYZ“ ist im atmosphärischen Mittelteil allerdings wirklich ein Keyboard zu hören, also muß Moore da entweder schon dabeigewesen sein, oder jemand anders drückt dort die Tasten. Die 2003er CD-Version liefert die Lösung: Portnoy selbst spielt dort die Keyboards. Der Song ist, was anhand des Titels dem Genrefreund keine Identifizierungsprobleme bereitet, ein Rush-Cover und damit eine von drei Coverversionen in diesem Block. Die nächste folgt mit dem Traditional „The Farandole“ gleich auf dem Fuß, das Talas gerade erst auf ihrer Live Speed On Ice-Konzertaufnahme umgesetzt hatten, und nachdem man im Intro noch denkt, das Majesty-Trio wolle das Stück ziemlich durch den avantgardistischen Fleischwolf drehen, entwickelt sich eine speedige und relativ geradlinige Umsetzung, bei der man beim Herumpogen nicht dauernd über seine eigenen Füße stolpert, wenngleich Portnoy hier und da schon ein paar niedliche Breaks einbastelt. Auffällig ist hier wie auch in diversen anderen der frühen Aufnahmen die sehr herausgehobene akustische Position von Myungs Baß, was bei Quasi-Live-im-Proberaum-Mitschnitten mit überschaubaren Overdubs (vier Spuren sind halt schnell voll) in Triobesetzung auch wenig verwundert.
Die letzte Coverversion geht eher als Spaß durch – es handelt sich um den nur wenige Sekunden dauernden „Anti-Procrastination Song“ von S.O.D., hier tatsächlich mal mit Gesang, wer auch immer da brüllt. Eine Art Mix aus viel Spaß mit etwas Ernst folgt auch im zweiten Block der CD, der aus sieben kurzen Nummern mit Titeln wie „I’m About To Faint Song“ besteht, in denen einleitend jeweils der Titel geshoutet wird (in ähnlicher Weise wie beim S.O.D.-Cover) und danach eine kurze Gitarren-Klangkulisse kommt. Der unterschwellige Ernst bricht sich speziell in „John Thinks He’s Randy Song“ und „John Thinks He’s Yngwie Song“ Bahn, in denen Petrucci tatsächlich kurz Läufe anspielt, die im Stil von Randy Rhoads bzw. Yngwie Malmsteen gehalten sind, während „Mosquitos In Harmony Song“ ein wenig hinüber zum berühmten Hummelflug aus Nikolai Rimski-Korsakows Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ schielt. „Gnos Sdrawkcab“ wiederum macht sich vielleicht über die Debatte zu angeblichen bösen Rückwärtsbotschaften in der Rockmusik lustig (in den Achtzigern war das Thema ja relativ groß) oder ist eine reine Spielerei – wer mag und die technische Möglichkeit dazu hat, kann die Nummer ja mal rückwärts laufen lassen und sich überraschen lassen, was da rauskommt.
Der dritte Block fährt dann endlich das auf, worauf man wohl am sehnsüchtigsten gewartet hat, nämlich die sechs Majesty-Demonummern in voller Bandbesetzung, also mit Moore an den Keyboards und Collins am Mikrofon. Speziellen Wert bekommt diese Wiederveröffentlichung durch den Aspekt, dass keine der Nummern für das Debütalbum neu eingespielt wurde, und auch später blieben sie, soweit es der Rezensent im Blick hat, unberücksichtigt, wenngleich „Your Majesty“ anno 2002 sogar mal live gespielt wurde. Wohl dem, dessen kreatives Füllhorn so reich gefüllt ist, dass er es sich leisten kann, derartiges Material in den Archiven zu belassen! Okay, in puncto Einbau hochklassiger und merkfähiger Refrains hat die Formation später noch einiges dazugelernt und in diesen sechs Songs hier noch nicht unbedingt überall das Optimum herausgeholt. Aber dieses Problem fällt aufgrund des überzeugenden Gesamteindrucks nicht weiter ins Gewicht, zumal sich genügend anderweitige Hooks finden, anhand derer man sich in das Material vorarbeiten kann. Collins führt dabei eine oft in ziemliche Höhenlagen hinaufgleitende Stimme ins Gefecht, die auch durch ihre Treffsicherheit besticht – nur in wenigen Fällen liegt der leicht neben der Ideallinie, was aber im Falle einer regulären Studioaufnahme sicherlich noch ausgebügelt worden wäre. Das, was hier zu hören ist, stellt erneut nur eine Vierspuraufnahme dar und ist für diese spartanischen Verhältnisse ziemlich stark ausgefallen; einzig die Keyboards stehen hier und da etwas zu weit im Hintergrund, und der Drumsound entspricht natürlich auch nicht dem, was man als adäquates Gegenstück zur schon damals ausgefeilten und anspruchsvollen Musik bezeichnen könnte. Aber diese Probleme verblassen vor dem Standard, den die ja gerade erst gegründete Band hier spieltechnisch wie songwriterisch bereits erreicht hat. Mit „A Vision“ wagt sich das Quintett sogar erstmals über die Zehnminutengrenze, das Ganze lange Zeit in bedächtigem Midtempo, aber im Mittel- und im Schlußteil zweimal markant aufs Gaspedal drückend. „Another Won“, „Your Majesty“ und „Two Far“ kann der Hörer schön mit den anfangs gehörten instrumentalen und keyboardlosen Fassungen vergleichen und sich Gedanken über die Weiterentwicklung machen, also beispielsweise schauen, wo Moore Linien übernimmt, die in der alten Fassung Petrucci gespielt hatte. An der Urfassung von „Two Far“ hatte Moore sogar schon mitkomponiert, diese aber nicht mit eingespielt, weil er wieder zur Schule mußte, so dass der Ideentransfer hier besonders interessant nachzuvollziehen ist. Mit „Vital Star“ wagen sich Majesty sogar an eine Ballade und geben auch auf diesem Sektor eine prima Figur ab – damit das Ganze aber nicht zu gefühlsselig wird, schalten sie kurz vor Minute 4 in eine wilde Progabfahrt um und hängen einen speedigen Schluß an, die letzten zwei Minuten damit in einen markanten Kontrast zu den ersten knapp vier stellend. „March Of The Tyrant“ wiederum fährt keine Marschrhythmen auf, wenngleich die phasenweise Geradlinigkeit täuscht – auch hier geht’s rhythmisch bald recht ungleichmäßig zu Werke, und einige eigenartige Drumverschiebungen sorgen auch dafür, dass man zum treibenden Refrain nicht so richtig marschieren kann.
So ergibt sich ein faszinierender Einblick in die Frühzeit einer Band, die einige Zeit später Musikgeschichte schreiben sollte. Stilistisch liegen die Demotracks naturgemäß am nächsten an When Dream And Day Unite, und wer das Debüt schon immer für den ultimativen Dream-Theater-Release gehalten hat (alles zwischen „Pull Me Under“ und „The Alien“ zum Trotz), für den ist der Erwerb dieser CD vermutlich Pflicht, wenn man nicht schon die 2003er Version besitzt. Stößt man irgendwo preiswert auf die, wäre ihr wegen des beschriebenen Informationsaspektes vielleicht sogar der Vorzug zu geben.



Roland Ludwig



Trackliste
1Particle E. Motion1:38
2Another Won5:26
3The Saurus1:23
4Cry For Freedom6:31
5The School Song6:12
6YYZ4:03
7The Farandole3:16
8Two Far5:40
9Anti-Procrastination Song0:13
10Your Majesty3:56
11Solar System Race Song0:17
12I’m About To Faint Song0:09
13Mosquitos In Harmony Song0:12
14John Thinks He’s Randy Song0:10
15Mike Thinks He’s Dee Dee Ramone Introducing A Song Song0:16
16John Thinks He’s Yngwie Song0:15
17Gnos Sdrawkcab0:23
18Another Won5:27
19Your Majesty3:56
20A Vision11:24
21Two Far5:25
22Vital Star5:44
23March Of The Tyrant5:34
Besetzung

Chris Collins (Voc)
John Petrucci (Git)
Kevin Moore (Keys)
John Myung (B)
Mike Portnoy (Dr)


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>