Biber, H. I. (Letzbor, G. – Ars Antiqua Austria)

Violinsonaten Nr.1-8 (1681)


Info
Musikrichtung: Barock / Violine

VÖ: 05.01.2024

(Pan Classics / Note 1 / 2 CD / DDD / 2023 / PC 10454)

Gesamtspielzeit: 107:43



ALTERSWILD

Dass der vom österreichischen Kaiser Leopold I. 1690 zum „von Bibern“ geadelte Heinrich Ignaz Franz Biber offenbar unter dem Sternzeichen Löwe geboren wurde – das Taufdatum lautet auf den 12. August 1644 – mag man gerne glauben: Nicht nur, weil er in diversen (erz)bischöflichen Diensten eine ebenso zielstrebige wie bemerkenswerte Komponisten- und Virtuosenkarriere hingelegt hat. Sondern weil seine Musik, zumal die hier von Gunar Letzbor und der Ars Antiqua Austria eingespielten Violinsonaten von 1681, an gestischer und klangauftrumpfender Imposanz zu den Höhepunkten nicht nur des 17. Jahrhunderts gehört. Mit seinen mit virtuosen Extravaganzen gesättigten geigerischen Kabinettstücken schlägt Biber viele andere Meister schlicht aus dem Feld.

Wobei es wohl gerade die hier versammelten Interpreten sind, die Bibers proto-avantgardistische Musik so recht zum Singen, Tanzen, Schäumen, Knistern, Schwelgen, Jubilieren, Rasen und, ja, auch schon mal regelrecht zum Knallen bringen. Zumindest was spiritus rector Gunar Letzbor betrifft, ist es außerdem seine zweite Aufnahme der acht Sonaten und ein Resmümee seiner jahrzehntelangen Befassung damit. Schon die erste, rund 30 Jahre zurückliegende Einspielung wartete mit kraftvollen Akzenten und Farbspielen auf. "Altersmild" möchte man die neue Einspielung freilich nicht nennen, eher, bei aller technischen Reife und Vertiefung, "alterswild".
Über die Jahrzehnte ist Letzbor mit Bibers Musik und seinem Instrument gleichsam verwachsen; so ist ihm diese Musik in Fleisch und Blut übergegangen und er spielt sie mit einer unakademischen Souveränität und Freiheit. Das ist gewiss nicht gerade etwas für nervöse oder zartbesaitete Zuhörer:innen, wie hier auf kleinstem Raum ein barocker Affekttwist auf den nächsten folgt. Und überhaupt sollte beim Anhören die Dosierung angesichts der gehaltvollen Musik stimmen. Die einzelnen Sonaten sind so schnell nicht ausgehört, es gibt darin immer wieder Neues zu entdecken. Um es mit dem Komponisten Charles Ives zu sagen: Diese Musik trainiert die Ohren- und Gehirnmuskeln!

Genüsslich werden die vom Komponisten inszenierten Kontraste ausgereizt, und dies mit einer hellwachen Spontaneität, dass man den Atem anhält, wenn es einen nicht gar vom Sitz reißt angesichts der akustischen Energien, die hier manches Mal entfesselt werden. Ich möchte hier nicht „spoilern“, aber selbst wenn man das Repertoire kennt, wird man doch bereits in der ersten der acht Sonaten von einer solchen eruptiven Klangattacke überrascht. Es ist freilich nicht der einzige derartige Moment in diesem Zyklus: In der „Variatio“ der 3. Sonate hängt die Musik plötzlich buchstäblich an einem hin und her pendelnden Ton, es ist wie in einem Thriller, man wartet auf den erlösenden „Schuss“. Den man dann auch bekommt – und manches andere auch noch dazu: Fanfaren, Pauken, ja eine ganze Janitscharenkapelle scheint mitunter vorbeizumarschieren. Das ist in seiner Drastik manchmal etwas „drüber“, wie man so schön sagt – aber selten einmal vermittelt sich so wie hier über eine Tonkonserve ein nachgerade live-konzertanter Eindruck von der Musik. Sie scheint gerade eben erst in diesem Moment erfunden worden zu sein.

Die starken Effekte sind nur die eine Seite von Letzbors Interpretation. Dynamisch, artikulatorisch und klangfarblich ist der Bogen weitgespannt. Es gibt da neben der harschen, geräuschhaften Attacke auch das Sangliche, Zarte; Wisperpassagen, kontemplative Drones und Jenseitsmomente.
Dann wieder präludiert Letzbors Bogen so geschwinde über die Saiten seiner Barockgeige, dass die Musik buchstäblich abhebt, um am Ende sicher auf einem Tanzboden zu landen, wo sie ihre rustikalen Momente auslebt. Um sich gleich danach wieder in jenen köstlich bizarren Wendungen zu ergehen, mit denen Biber die Grenzen des Instruments auslotet. Wenn Letzbors Darstellung eines vermittelt, dann die vielen, auch volksmusikalischen und archaisch-urtümlichen Wurzeln, die Bibers Musik nähren.

Letzbors Begleiter bringen sich als Affekt- und Resonanzverstärker ganz im Sinne des Solisten ein. Neben Orgel und Cembalo kommen diverse Zupfinstrumente unterschiedlichen Temperaments und ein bassverstärkender Violone zum Einsatz. Hin und wieder spielt auch noch das Glockengläute des Stiftes St. Florian mit, wo Aufnahme entstand. Am Anfang hätte es noch gestört, so Letzbor, dann habe man es einfach integriert. Es passt: Mitunter tauchen die Glockentöne am Ende einer Sonate aus dem Nachhall der Instrumente auf wie der Gesang aus einer anderen Welt – barocker geht’s nimmer.



Georg Henkel



Besetzung

Salzburger Lauten Consort & Ars Antiqua Austria

Gunnar Letzbor, Violine & Leitung


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