Bach, J. / Bach, J. M. / Bach, J. L. / Bach, J.S. (Hofstetter)
Motetten
EXPERIMENTELL
So alt wie die Bemühungen um die Wiederbelebung der "Alten Musik" und die dafür trefflichste Aufführungspraxis ist auch der Streit um das passende Tempo, vor allem auf dem Gebiet der Geistlichen Musik. Der Spiritus Rector dieser Aufnahme mit Motetten der Bach-Familie, der Organist Thomas Leininger, sowie Dirigent Michael Hofstetter stellen sich dabei, natürlich mit philologisch weitaus sorgfältigeren und durchaus plausiblen Herleitungen, im Ergebnis in die Traditionslinie eines Anton Friedrich Justus Thibaut, der schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Meinung vertrat, "daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Wirkung der frommen Musik beeinträchtige. Thibaut nahm die alte Notenschrift in ihrer ganzen Schwere und kannte kein anderes Tempo als das Largo" (zitert nach Gutknecht, Studien zur der Aufführungspraxis Alter Musik, 2. Aufl., Köln, 1997, S. 55).
Wie in der Mathematik, ist es allerdings auch in der Musik immer sinnvoll, das gefundene Resultat noch einmal einer Plausibilitätskontrolle zu unterwerfen. Und die lässt hier dann doch gewaltig daran zweifeln, ob zu Zeiten des großen Johann Sebsatian Bach und seiner Vorväter und Verwandten tatsächlich derart gleichbleibend gemäßigte Tempi praktiziert wurden, um der Würde des Gotteshauses als Aufführungsort gerecht zu werden. Denn auch, wenn man sich von modernen Hörgewohnheiten bzw. Referenzen wie jener unter Linoel Meunier (Ricercar, 2013) frei macht und sich auf das Experiment einlässt, bleibt zu konstatieren, dass diese an sich so beredten und ausdrucksstarken Vokalwerke auf diese Weise etwas Monolithisches, Statisches bekommen, das ihnen nicht gut tut. Vor allem bleibt wenig Raum, um der musikalischen Textausdeutung gerecht zu werden. Da wird die besungene Leichtigkeit in Johann Ludwig Bachs "Unsere Trübsal" somit nicht ansatzweise hörbar, auch nicht die Erleichterung und Erlösung in "Nun hab ich überwunden". Die von Hofstetter zum Ausgleich eingestreuten Verzierungen und Diminutionen sind zwar hübsch, vermögen dies aber nicht zu kompensieren. Was bleibt ist ein erhabener Vortrag von protestantischer Strenge.
Der Tölzer Knabenchor lässt sich auf das Experiment bei kompakter Klangabbildung allerdings rückhaltlos, konsequent und tonschön ein, wobei vor allem erstaunt, wie es den jungen Sängern gelingt, die Vokallinien in dieser Dauer und Ausdauer intonatorisch stabil zu halten. Immerhin: Es geht also. Ob man es deshalb auch machen muss?
Sven Kerkhoff
Trackliste |
Johann Bach: Unser Leben ist ein Schatten; Sei nun wieder zufrieden, meine Seele
Johann Michael Bach: Halt, was Du hast; Nun hab ich überwunden
Johann Christoph Bach: Herr, nun lässest Du Deinen Diener
Johann Ludwig Bach: Unsere Trübsal
Johann Sebastian Bach: Lobet den Herrn alle Heiden BWV 230 |
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Besetzung |
Tölzer Knabenchor
Michael Hofstetter: Ltg.
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