Riot

Sons Of Society


Info
Musikrichtung: Classic Rock / Metal

VÖ: 30.06.2017 (16.7.99)

(Metal Blade)

Gesamtspielzeit: 75:23

Internet:

http://www.metalblade.de
http://www.areyoureadytoriot.com


1999 schienen die Zeichen für Riot auf Sturm zu stehen: Inishmore hatte gute Reaktionen eingefahren, mit Shine On dokumentierte ein starkes Livealbum die umfangreichen Touraktivitäten, HammerFall hatten zwischenzeitlich dafür gesorgt, dass traditioneller Metal wieder aus seinem Nischendasein, das er seit den Frühneunzigern (außerhalb Ostasiens, wo er durchgehend reüssierte) führen mußte, heraus ins Rampenlicht treten konnte, und die Riot-Besetzung war stabil – gute Voraussetzungen also für die Band, den einen oder anderen Schritt nach vorne zu kommen und vielleicht die Früchte der jahrzehntelangen Arbeit ernten zu können, zumal man in den USA mit Metal Blade einen neuen Partner gefunden hatte, der sich erst einmal darum kümmerte, dass die Studioalben der bisherigen Ära mit Mike DiMeo am Frontmikrofon, die bisher nur in Japan und Europa erhältlich waren, auch in den USA, also der eigentlichen Heimat der Band, veröffentlicht wurden. Shine On gab es bereits zeitnah nach der Japan-Veröffentlichung auch in den USA regulär zu kaufen, und auch auf das neue Studioalbum Sons Of Society traf dies zu.
Ebenjenes Werk liegt nunmehr gleichfalls in der Metal-Blade-Re-Release-Serie vor. Mike Flyntz spricht in den Liner Notes davon, dass das Schreiben des Materials zügig von der Hand ging – einen Teil arbeitete man bereits während der Inishmore-Touraktivitäten aus, der Rest wurde direkt nach deren Ende in Angriff genommen, und trotzdem haben wir keineswegs Inishmore II vor uns. Im Gegenteil: Die Zeit der historischen Konzeptalben war erstmal passé, Sons Of Society besteht aus zwölf eigenständigen Nummern ohne übergeordneten Zusammenhang und auch ohne speziellen folkloristischen Background, so dass wir hier nur ein einziges Mal explizite Folkeinflüsse in der Musik finden, nämlich im Intro „Snake Charmer“, und das wurde noch nicht mal von einem Bandmitglied geschrieben, sondern von Frank Carillo, der auch die Sitar und die Tamboura spielte, den „typischen“ Riot-Ton allerdings ziemlich gut trifft, so dass wir einen gelungenen Auftakt vor dem abermals archetypischen Speed-Opener „On The Wings Of Life“ serviert bekommen, der mit der deutlich geerdeten Gitarrenarbeit schon klarmacht, dass wir eine leichte Kurskorrektur hin zu einer stärkeren Betonung der Rhythmusgitarrenarbeit erleben. Das soll freilich nicht bedeuten, dass Mark Reale und Mike Flyntz etwa ihre begeisternde Leadarbeit ad acta gelegt hätten – aber sie fokussieren sich diesbezüglich ein wenig intensiver auf die Soloparts und lassen im Riffing im Zweifel auch mal eine Leadgitarrengirlande weg, um statt dessen die urwüchsige Kraft des Unterbaus stärker wirken zu lassen. Dass sie diese Herangehensweise natürlich nicht gar zu weit weg von der auf dem Grat zwischen Classic Rock und ebenso klassischem Melodic Metal balancierten Grundstilistik der DiMeo-Ära führt, ist klar – Zweifler hören sich nur mal genau das eröffnende Riff im Speedknaller „Dragonfire“ an. Aber so gerne man die Speednummern auch genießt, sie kommen nicht ganz an die ganz großen Klassiker dieser Sparte, die sich die Band bzw. maßgeblich Mark Reale in den Jahren bzw. Jahrzehnten zuvor aus dem Ärmel geschüttelt hatte, heran. Die beiden Highlights von Sons Of Society siedeln hingegen in anderen Gegenden. Mit „Twist Of Fate“, geschrieben von Flyntz, haben wir eine der allerbesten Midtemponummern aus dem Hause Riot vor uns, deren Gitarrensolo mal wieder als überirdisch einzustufen ist und die aber auch in den Strophenteilen nicht lahmt und von einem mitreißenden Refrain gekrönt wird. Letzteres ist leider nicht die Regel auf diesem Album: Der geshoutete erste Teil des Refrains im Titeltrack, der schon durch einige leicht angezerrt wirkende Vokaleffekte Mike DiMeos nicht sonderlich gefördert worden war, wirkt irgendwie bemüht, und auch die DiMeo-Komposition „Queen“ hinterläßt einen nicht endgültig ausgereiften Eindruck, so dass dieser Song vielleicht sogar mit Absicht „nur“ als Japan-Bonustrack diente, den originalen Pressungen in Europa und den USA aber fehlte und erst jetzt im Re-Release wieder hinzugefügt wurde. Auch stilistisch steht er etwas am Rand: Er ist die siebzigerrocklastigste Nummer der Scheibe, was keineswegs nur an den von DiMeo beigesteuerten Hammond-Klängen liegt – man höre sich nur mal das einleitende Riff an und stelle sich vor, es würde von Michael Schenker während seiner UFO-Zeit gespielt. Die Grundidee gerät natürlich alles andere als schlecht, aber der Refrain senkt die Hörfreude dann doch ein wenig. Das ist in der anderen stilistisch randständigen Nummer anders: Mit „Cover Me“ schrieb Reale eine brillante blueslastige Hardrockballade, in der DiMeos Stimme eine ganz besonders gute Figur macht. Hier stimmt wirklich alles, und so gerät dieser Song zum unvermuteten kreativen Highlight von Sons Of Society. Zur Kreativabteilung gesellt sich diesmal übrigens auch die Rhythmusgruppe: Bobby Jarzombek und Pete Perez wirkten zum einen an „Time To Bleed“ mit, einer der „üblichen“ gutklassigen Speednummern, Perez schrieb darüber hinaus aber auch noch „Somewhere“, welches das Versprechen aus dem rhythmisch vertrackten Intro, das auf einen Ausflug gen Prog Metal hindeutet, nicht einlöst, sich aber auch zu einer der gutklassigen Speednummern entwickelt, bei der lediglich die Generalpause vor der zweiten Strophe ein wenig bemüht wirkt. Das mit interessant strukturierten Unisono-Frickeleien, an denen auch Perez mitwirkt, ausgestattete und von Flyntz geschriebene „Promises“ schließt ein abermals starkes Album ab, das keinem Anhänger der DiMeo-Ära Riots mißfallen sollte, es sei denn, er wäre explizit auf Konzepte geeicht, er wäre auf weibliche Backings fixiert (Ligaya Perkins, die solche auf Inishmore gasthalber beigesteuert hatte und auch mit auf der zugehörigen Tour war, fehlt hier nämlich), oder er wäre Grafiker: Die Stauchung des Bandfotos auf der Rückseite des Digipacks führt dazu, dass die Bandmitglieder noch schmächtiger und mitleiderregender aussehen als sonst ...
Nach Track 12 wartet der Re-Release noch mit fünf weiteren Nummern auf, allerdings keinem unbekannten oder raren Material, sondern mit „Bausteinen“: „Sons Of Society“, „The Law“, „Time To Bleed“, „Somewhere“ und „Promises“ erklingen als instrumentale Rough Mixe, entnommen offenbar einem Tape, das zwischendurch mal arg leiert, ansonsten aber ein klares Klangbild liefert. Alle fünf Nummern enthalten die Drums, die Baßlinien und die Rhythmusgitarren, während alle Gesänge und Leadgitarren fehlen. In „The Law“ macht sogar ein tickendes Metronom die Introstruktur klar. Hört man diese Nummern durch, bestätigt sich zum einen der Höreindruck aus den Endfassungen, dass Riot es hier mit Absicht einen Deut urwüchsiger angehen wollten, zum anderen aber erkennt man, wieviel Arbeit von so einer Zwischenstufe bis hin zum Endprodukt noch zu leisten ist. Als Karaokeversionen sind diese Mixe wegen der fehlenden Leadgitarren nur bedingt zu gebrauchen, als „Studienfassung“ können sie indes dazu dienen, sich das Riffing dieser fünf Songs schneller zu erschließen, weil die Aufmerksamkeit nicht durch die Leadgitarren und die Vocals abgelenkt ist. Freilich muß man einen bestimmten Vergleich ziehen: Auf den jüngsten Nightwish-Alben gab es in den Doppel-CDs ja auch jeweils die Instrumentalfassungen auf der zweiten Scheibe dazu, und dort ergab das deutlich mehr Sinn, weil man im gigantischen Klanggebäude Tuomas Holopainens so auch mancherlei Details entdecken konnte, die einem sonst entgangen wären, und weil die Erschließungsarbeit dort vom Grundsatz her deutlich komplizierter war. Das soll natürlich nicht heißen, dass Riot einfach ausrechenbar wären, aber einfacher ausrechenbar als Nightwish sind sie natürlich schon, und der geübte Melodic-Metal-Hörer sollte auch anhand der regulären Endfassungen zu einer relativ schnellen Erschließung des Materials in der Lage sein und bräuchte die Rough Mixes daher eigentlich nicht. Andererseits ist ein solcher Werkstattblick zumindest zum einmaligen Hören durchaus interessant, und man bezahlt ihn ja nicht extra, sondern bekommt ihn kostenlos dazugeliefert, so dass man sich nicht zu beschweren braucht und ab dem zweiten Hördurchlauf immer noch die Option hat, den Player nach Nummer 12 anzuhalten. Wie auch immer: Sons Of Society lohnt den Erwerb für Genrefreunde ohne Wenn und Aber, und in einer gerechten Welt wäre zudem „Cover Me“ ein Hit geworden. Da wir aber nicht in einer solchen leben, endete der Riot-Höhenflug bald wieder. Warum und weshalb, darüber mehr im nächsten Review der Re-Release-Serie.



Roland Ludwig



Trackliste
1Snake Charmer1:04
2 On The Wings Of Life4:36
3 Sons Of Society4:26
4 Twist Of Fate5:36
5 Bad Machine5:06
6 Cover Me6:47
7 Dragonfire3:38
8 The Law3:46
9 Time To Bleed4:38
10 Queen4:28
11 Somewhere4:16
12 Promises4:35
13 Sons Of Society (Instrumental Rough Mix)4:31
14 The Law (Instrumental Rough Mix)3:47
15 Time To Bleed (Instrumental Rough Mix)4:40
16 Somewhere (Instrumental Rough Mix)4:20
17 Promises (Instrumental Rough Mix)5:03
Besetzung

Mike DiMeo (Voc)
Mark Reale (Git)
Mike Flyntz (Git)
Pete Perez (B)
Bobby Jarzombek (Dr)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>