Scodanibbio, S. (Roccato, D.)
Alisei (Werke für Kontrabass)
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Solo
VÖ: 12.10.2018
(ECM Universal Classics / CD / AD 2014 / DDD / Best. Nr. ECM New Series 2598)
Gesamtspielzeit: 67:33
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AUS DER TIEFE DES INSTRUMENTS
Nicht nur John Cage bewunderte den italienischen Komponisten und Kontrabassisten Stefano Scodanibbio (1956-2012) für seine schier unerschöpfliche Fantasie, wenn es darum ging, seinem großen und schwerfälligen Instrument immer wieder neue Klangmöglichkeiten abzulauschen. Bis zu seinem frühen Tod - 2010 wurde bei Scodanibbio ALS diagnostiziert, er starb nach dem raschen Voranschreiten der Krankheit zwei Jahre später - erkundete er gleichsam die inneren Organe des Kontrabasses, bis gleichsam hinein in die Zell- und Molekularstrukturen dessen, was man mit den unterschiedlichsten Spieltechniken aus dem Korpus dieses größten und tiefsten Streichinstrument hervorholen kann.
Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass sich der Kontrabass in der neuen Musik als vollgültiges Soloinstrument etablieren konnte und zahlreiche Komponisten anregte, ihrerseits dafür zu komponieren. Auf dieser CD, dem zweiten Scodanibbio-Album bei ECM, sind vier Werke aus verschiedenen Schaffensphasen des Komponisten vereint. Sie erfahren durch Scondanibbios Freund Daniele Roccato sowie das Ensemble Ludus Gravis maßstäbliche Realisationen.
Das Eröffnungsstück, Alisei (1986), ist ein grüblerischer Obertongesang, bei denen sich über einer gutural anmutenden Basslinie geisterhafte Flageolett-Töne manifestieren - die Schamanenmusik einer archaischen Kultur. Wie ein Capriccio nehmen sich dagegen die Due pezzi brillanti (1985) aus: virtuos, eloquent, flirrend vor Vergnügen über die neu entdeckten Klangmöglichkeiten und die damit verbundenen Freiheiten.
Wie anders dadgegen das diskrete Duo Da una certa nebbia (2001). Tatsächlich kann man die kontemplativen, gedeckten Klänge wie ruhig ziehende Nebelschleier hören, aus denen nur gelegentlich bewegtere Gestalten schemenhaft heraustreten. Das Stück wirkt wie ein Echo auf die späten Stücke Morton Feldmans - so als hätte dieser im Jenseits für zwei Kontrabässe komponiert.
Das Hauptwerk auf dieser CD ist allerdings das große Oktett, das von Ludus Gravis unter der Leitung von Tonio Battista wie "Da una certa nebbia" seine Ersteinspielung erlebt. Das Ottetto entstand ab 2010, als Scodanibbio krankheitsbedingt weder sein Instrument spielen konnte noch in der Lage war, eine große Partitur zu vollenden. Mit Hilfe von Daniele Roccato entstand zunächst eine Art Storybord für das Stück, das dann bis zum Tod des Komponisten 2012 gemeinsam fertig ausgearbeitet wurde.
Es ist das musikalische Vermächtnis Scodanibbios, in dem all die Spieltechniken, die er an und mit seinem Instrument entwickelt hat, in einem grandiosem Panorama vereint sind. Die ersten Minuten werden die Möglichkeiten in flüchtigen Momenten präsentiert; sie fügen sich noch nicht zu größeren Zusammenhängen, erinnern an eine Ursuppe aus Soundelementen zwischen Ton, Klang und Geräusch, aus denen sich erst im weiteren Verlauf klar konturierte Gestalten, Prozesse, Patterns, Formationen entwickeln.
Das Stück führt den Hörer gleichsam durch eine weiträumig disponierte und fremdartige Klanglandschaft, in der alles handgemacht und nichts elektronisch manipuliert wird. Absolut erstaunlich, was Scondanibbio aus den Eingeweiden des Kontrabasses hervortönen lässt, welche Ton-Geräusch-Resonanzen er ihm entlockt, wie er vegetative, mineralische, mechanische und organisch-animalische Amalgame erzeugt: ein fantastischer Trip, zudem ECM-typisch hervorragend plastisch und präsent aufgenommen. Musik wie eine Skulptur, mitunter fast mit den Händen zu greifen.
Wer nach diesen Vorstößen Lust auf mehr bekommt, dem sei "Oltracuidansa" empfohlen, einem einstündiges polyphones Kontrabass-Epos, dessen Material Komponist noch selbst eingespielt und im Mehrspurverfahren abgemischt hat (Mode Records).
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Alisei | 9:07 |
2 |
Ottetto | 30:38 |
3 |
Due pezzi brillanti | 9:32 |
4 |
Da una certa nebbia | 18:16 |
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Besetzung |
Daniele Roccato
Ludus Gravis
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