Scheidt, S. - Scheidemann, H. (Moulin, Y.)

Cantilena Anglica Fortunae - Werke für Cembalo


Info
Musikrichtung: Barock Cembalo

VÖ: 09.11.2018

(Ricercar / Outhere / CD / DDD / 2018 / Best. Nr. RIC 394)

Gesamtspielzeit: 55:35



KLANG UND KONSTRUKTION

Bereits mit seinem Debut-Solo-Album hat der französische Cemablist Yoann Moulin gezeigt, dass er sich zwar nicht für gänzlich randständiges, aber doch spezielleres Repertoire interessiert. Reüssieren andere Cembalisten bevorzugt mit Couperin, Händel oder Bach, so präsentierte Moulin sich mit einer Frescobaldi-Auswahl: Musik, die ebenso erlesen wie kunstvoll maniriert ist und sich an Kenner und Liebhaber von Kompositionen für historische Tasteinstrumente richtet.

Beim Label Ricercar bleibt der junge Künstler sich treu, wenn er dort jetzt eine auf mehrere CDs ausgelegte Reihe mit deutscher Cembalomusik bis 1700 beginnt. Auf dem Programm der ersten Platte Cantilena Anglica Fortunae stehen Werke von Heinrich Scheidemann († 1663) und Samuel Scheidt († 1654). Moulin schreibt in seinem Nachwort, dass er diese Musik vor allem als kontrapunktische Konstruktionen begreife, die allen Ausdruck, alle Klangrede, alle Emotionen streng formal, als klingende Architektur fasse - und in diesem Geist gehört und gespielt erklängen sie in ihm schließlich als tief mystische Musik.
Moulin antwortet auf die barocken Werke also mit einem durchaus zeitgenössischen Kunst-als-Kunst-Verständnis, das er freilich mit den Stilmitteln des frühen 17. Jahrhundert auf dem Nachbau eines historischen Ruckers-Instruments von 1615 realisiert, das einfach fantastisch klingt und ebenso aufgenommen wurde.
Statt nun aber die fraglos brillanten Qualitäten dieses Instruments aus der Werklstatt von Philippe Humeau virtuos und rhetorisch zugespitzt auszustellen, nähert sich Moulin der Musik von Scheidt und Scheidemann mit einer gewissen Diskretion: Unaufgeregt und mit hoher Sensibilität für Feinheiten und Zwischentöne entwickelt er aus seinem eher kontemplativen Ansatz eine Interpretation, die sich die Musik ebenso natürlich atmend wie spannungsvoll entfalten lässt. Klang und Konstruktion, Ausdruck und Form erscheinen bestens ausbalanciert.
Die kunstvollen kontrapunktischen Gebilde der alten Meister manifestieren sich in einem weiten Klangraum, der jedem einzelnen Ton, jeder Figur und Wendung genügend Zeit lässt, gänzlich in der Gegenwart des Höreres anzukommen. Insbesondere die etwas grüblerische, nach innen gekehrte Musik von Heinrich Scheidemann profitiert von dieser Herangehensweise. Gleichsam als Höhepunkt "en miniature" erscheint dabei eine kleine Fuga in d, die Moulin auf dem 4-Fuß-Register in kristalliner Schönheit und Melancholie darbietet: zwei transzendentale Minuten, um die herum Präludien, Tänze, Cantilenen, Fantasien und Variationen in geschickter Dramaturgie gruppiert sind.

Nicht ganz 60 Minuten dauert dieses Konzert, und doch hat man danach das Gefühl einer viel umfassenderen Reise - nicht durch Stationen einer musealen Musikgeschichte, sondern durch faszinierende, frappierend gegenwärtige Konstellationen von Klang und Ausdruck, von Raum und Zeit, wie sie nur in der Musik realisierbar sind.



Georg Henkel



Trackliste
Heinrich Scheidemann: Praeambuli D-Dur, E-Dur, G-Dur; Pavana Lachrymae; Gagliarda Ex D; Präludium D-Dur; Fuga D-Dur

Samuel Scheidt: Allemande "Also geht's, also steht's"; In Dich hab ich gehoffet; Cantilena Anglica Fortunae; O Gott, wir danken deiner Güt; Fantasia super "Io Son Ferito Lasso"
Besetzung

Yoann Moulin, Cembalo nach Johannes Ruckers 1615 (Nachbau Philippe Humeau)


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