Die Scorpions sagen in Nürnberg "auf Wiedersehen"
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Nach der Veröffentlichung des hervorragenden A Sting In The Tail entschließt sich die erfolgreichste deutsche Hardrock-Band aller Zeiten, eine Farewell-Tour durchzuziehen und sich in Würde von ihren Fans zu verabschieden. In der Presse wurde dieses Ereignis ziemlich aufgebauscht und viele prominente Kollegen aus dem Hardrock-Bereich, etwa Fernando von Arb (Krokus), Lemmy oder Joe Perry von Aerosmith halten dies in diversen Interviews für einen nicht ernst zu nehmenden Witz bzw. Marketingtrick. Ich selbst kann mir auch nicht vorstellen, dass dies die letzten Liveauftritte der Band gewesen sein sollen. Wie dem auch sei, die Hallen waren für diese Tour sehr schnell ausverkauft. Dies war bei den letzten Plattenveröffentlichungen der Hannoveraner schon lange nicht mehr der Fall. Ich kann mich an die Unbreakable-Tour erinnern, bei der in Deutschland gerade mal ein Konzert im Circus Krone absolviert wurde. Für dieses Konzert war es am gleichen Abend noch ziemlich problemlos Karten zu bekommen. Da ich Scorpions im letzten Jahr bei der einmaligen A Night To Remember-Auftritt in Essen gesehen habe, hatte ich mir gedacht, eventuell doch nicht zu der Tour zu gehen. Nachdem aber kurzfristig noch diverse Nachholkonzerte (unter anderem eins davon in Nürnberg) angesetzt wurden, entschied ich mich dazu, den Scorpions einen „letzten“ Besuch abzustatten.
Das Konzert der Vorgruppe Edguy beginnt bereits um 19:30 Uhr. Bis wir jedoch im Innenbereich angekommen sind, hören wir gerade noch „King Of Fools“, „Lavatory Love Machine“ und „Save Me“ und die Jungs um Frontsau Tobi Sammet verschwinden schon wieder hinter der Bühne. Die Halle scheint bis auf den letzten Platz gefüllt zu sein. Das Publikum besteht zu einem ziemlich großen Prozentsatz zu Altrockern zwischen 40 und Mitte Fünfzig, wovon viele davon den Scorpions wohl das „letzte Geleit“ geben wollen.
Pünktlich um 21:00 Uhr geht das Licht aus und die Meute um Rudolf Schenker betritt mit dem neuen Song „Sting In The Tail“ fulminant und mit der Unterstützung diverser Pyros die ziemlich imposante Bühne. Sogar die Lichtanlage ist den Stacheln eines Skorpions nachempfunden. Das Publikum reagiert nach dem Song ziemlich zurückhaltend. Beim anschließenden „Make It Real“ merkt man schon, dass der Klassiker wieder um einiges bekannter ist. Bei manchen älteren Fans - vor allem der Frau rechts neben mir - habe ich das Gefühl, dass sie sich zum Sterben in die Konzerthalle zurückgezogen haben. Sie bewegt sich nicht, schaut grimmig und bei jeder Bewegung, die mein Bruder und ich in unserer „jugendlichen“ Begeisterung machen, verzieht sie empört das Gesicht. Da kann ich mir bei „Send Me an Angel“ den Zusatz „jetzt kommt die Damenwelt auch auf ihre Kosten“ nicht verkneifen…
Bei „Bad Boys Running Wild“ beweist Matthias Jabs einmal mehr, dass er ein fantastischer Gitarrist ist und meiner Meinung nach immer noch ziemlich unterbewertet in der Szene ein Schattendasein fristet. Angetrieben werden die drei Urgesteine von der bärenstarken Rhythmus-Sektion mit Basser Pavel Mackiwoda und dem Klasse-Schlagzeuger James Kottak, die beide mächtig Gas geben. Das Album Lovedrive macht an diesem Abend mit mehreren Songs auf sich aufmerksam. Am besten gefällt mir dabei natürlich „Loving You Sunday Morning“. Klaus Meine ist perfekt bei Stimme und meistert selbst die schwierigsten Songs ohne Mühe. Ein bisschen kommt er auch ins Schwärmen und erzählt von einem klapprigen Bus in den 70ern, mit dem er mit der Band durch Deutschland und somit auch durch Franken gezogen ist. Die Konzerte in dieser Zeit und vor allem in Franken bezeichnet er als etwas ganz besonderes. Na ja, zumindest gefällt’s dem Publikum. Für mich wirkt das Ganze irgendwie aufgesetzt. Klaus macht in diesem Moment den Eindruck, als hätte er die Ansagen einstudiert und leiert sie runter wie in jeder x-beliebigen Stadt.
„The Best is Yet To Come“ kommt sehr gut an und der anschließende Balladenblock beweist einmal mehr, dass „Holiday die unangefochtene Nummer Eins in diesem Bereich einnimmt. Die Stimmung ist zwar gut, aber nicht ausgelassen und schon gar nicht passend für eine der erfolgreichsten deutschen Bands, die hiermit ihre letzten Shows vom Stapel lässt. Ich bin vom Publikum sehr enttäuscht. Aber nicht nur vom Publikum, sondern vor allem auch von der Setlist. Es wird auf Nummer sicher gegangen und man spielt eine in meinen Augen lieblos zusammen geschusterte Best Of-Setlist für das „Eventpublikum“, die halt noch einmal dabei gewesen sein wollen, bevor die Band, die man im eigenen Land zuvor so oft belächelt hat, den Sargdeckel für immer schließt. Davon kann man halten was man will, ich finde es schade.
Den einzigen Bezug zur Bandgeschichte stellt Schlagzeuger James Kottak her, der bei seinem Solo in diversen Kurzfilmchen passend zu den Covern der Alben auftritt. Das ist zugegebenermaßen sehr originell und lustig, aber irgendwie fehlt etwas. Kurz vorher wird noch eine wahnsinnig brachiale Variante von „Dynamite“ vom Stapel gelassen, die bei mir Grinsen, bei einem Großteil des Publikums offene Kinnladen zur Folge hat. Mit „Blackout“, bei dem der ständig aktive Dauerbrenner Rudolf Schenker mit der alten „Gabelmaske“ ausgestattet wird, beginnt bereits das letzte Drittel des Konzerts, das mit dem vorhersehbaren „Big City Nights“ und „Rock You Like A Hurricane“ endet. Das soll’s wohl schon gewesen sein? Zum Glück schiebt die Band noch einen Song mit Gänsehautgarantie hinterher: „When The Smoke Is Going Down“.
Danach ist nach ziemlich genau 110 Minuten Schluss. Die Scorpions, die zum letzten Mal die berühmte Pyramide (allerdings nur zu dritt) präsentieren, verlassen unter großem Beifall des Nürnberger Publikums die Arena. Ich bin nicht unbedingt total begeistert. Zum einen hab ich die Scorpions schon wesentlich enthusiastischer gesehen. Ich hab das Gefühl, dass die mit angezogener Handbremse spielen und manche Songs sogar um einiges langsamer als die Studioversionen präsentieren. Zum anderen fand ich die Songauswahl für eine Farewell-Tour ziemlich enttäuschend. Es war nicht ein Song aus der Uli Jon Roth-Phase dabei. Da war sogar bei früheren Touren, die nichts mit einer Farewell-Tour zu tun hatten hin und wieder mal „Pictured Life“ oder das geniale „We’ll Burn The Sky“ dabei. Zum anderen hat mich das Publikum maßlos enttäuscht. Bei vielen war der Aspekt „jetzt schau ich mir die Band halt noch einmal an“ wichtig, manch andere wirkten wie gezwungen, da hin zu gehen. Für meinen Fall war ein Großteil der Fans typisches Eventpublikum. Damit meine ich Leute, die nur hingehen, um dann am nächsten Tag in der Arbeit erzählen zu können, dass man auf der letzten Scorpions-Tour dabei war. Tolle Sache. Am Eingang stehen noch diverse Eventmitarbeiter, die USB-Sticks mit dem zuvor gehörten Konzert darauf verkaufen. Ich sehe keinen Einzigen, der einen Stick kauft.
Fazit: Das Konzert war gut, aber für eine Abschiedstour lieblos, zu glatt und viel zu routiniert runtergezockt. Wenn man das Konzert mit dem Gig vor ein paar Jahren bei der Humanity-Tour in Augsburg vergleicht, bei dem das Publikum förmlich ausgerastet ist, muss man ganz klar sagen, dass Augsburg nach Punkten als glatter Sieger vom Platz geht. Wenn jemand ein wirkliches Abschiedskonzert der Scorpions sucht, der sollte sich die DVD des Wacken-Auftritts vor ein paar Jahren kaufen. So sieht ein definitives Abschieds-Konzert aus! Mit speziellen Gästen aus der Bandhistorie und einer speziellen Setlist.
Setlist Nürnberg:
Sting In The Tail
Make It Real
Bad Boys Running Wild
The Zoo
Coast To Coast
Loving You Sunday Morning
The Best Is Yet To Come
Send Me An Angel
Holiday
Wind Of Change
Raised on Rock
Tease Me Please Me
Dynamite
Kottak Attack
Blackout
Six String Sting
Big City Nights
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Still Loving You
Rock You Like A Hurricane
When The Smoke Is Going Down
Stefan Graßl
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