Die Knappen erzählen Geschichten von unter Tage
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Gesprächspartner: Stefan Schlüter
Zeit: 14.12.2010
Ort: Berlin - Gelsenkirchen
Interview: E-Mail
Stil: Hard Rock
Internet: http://www.dieknappen.info
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Mit den Knappen hat Sodom-Frontmann Tom Angelripper ein ungewöhnliches neues Projekt an den Start gebracht, das sich auf einem ganz anderen Niveau bewegt als seine grenzdebilen Promille-Verherrlichungen, die er unter dem Signum Onkel Tom in die Läden gestellt hat.
Norbert von Fransecky hat sich mit Stefan Schlüter, dem Schlagzeuger der Knappen, in Kontakt gesetzt und Informationen über Ruhrpott, Bergbau-Traditionen und gecastete Rock-Bands ausgegraben.
MAS: `Auf Kohle geboren´ ist ein ungewöhnliches Album – fast ein Stück Heimatkunde. Metal-, Punk- und Rock’n’Roll-Bands zeigen der Malocher-Gesellschaft respektive dem Schweinesystem ansonsten gerne den Stinkefinger.
Wie kommt es, dass eine Rockband sich so positiv mit einer der härtesten Arbeitergesellschaften identifiziert, die die deutsche Industriegeschichte kennt?
Stefan Schlüter: Der Bergbau war/ist immer eine ganz eigene Welt. Das muss man kennen, um nachvollziehen zu können, warum man sich mit ihm so identifizieren kann. Wir haben alle unser berufliches Leben bei der Kohle begonnen und dieser Zusammenhalt, diese Atmosphäre, dieses Flair ist einfach einzigartig. Leider geht es mit dem Bergbau immer weiter bergab und wir verdienen unser Geld ja mittlerweile mit anderen Sachen. Trotzdem bleibt die Verbundenheit mit den Zechen und der Kohle. Dem Ganzen wollten wir eine Hommage schreiben und das haben wir mit dem Album Auf Kohle geboren getan. Da sind wir sehr stolz drauf und natürlich auf unsere Vergangenheit beim Bergbau.
MAS: Der Strukturwandel im Ruhrgebiet findet ja nicht erst seit ein paar Jahren statt. Inwieweit ist das, wovon ihr erzählt, Eure eigene Geschichte; und inwieweit die Aufnahme traditioneller Gesprächsfäden in der Ruhrgebietsgesellschaft?
Stefan Schlüter: In der Tat, der Strukturwandel ist schon länger Teil des Ruhrgebietes. Ganz früher gab es nur Kohle und Stahl. Alle restlichen Geschäftsfelder waren totale Nebensache. Heute sieht das ganz anders aus. Und diesen wirtschaftlichen Veränderungen müssen sich die Leute, einschließlich uns, ebenso hingeben. Ohne Moos ist ja bekanntlich nix los! Dennoch identifiziert sich der Großteil des Ruhrgebietes mit den alten Industrien. Die Fördertürme sind und bleiben für immer Wahrzeichen und sind die Visualisierung der Gefühle im und für das Ruhrgebiet. Auch wenn diese Industrien langsam aber sicher komplett von der Bildfläche verschwinden. Die Arbeit für die Kohle und den Stahl war sehr hart. Der Strukturwandel war und ist aber ebenso mit vielen Entbehrungen und Tiefschlägen verbunden und genau das ist es unter anderem, was den Ruhrpott zusammenschweißt. „Da müssen wir jetzt durch,“ singen wir z.B. auch bei dem Titel „Et nützt ja alle nix“. Dennoch vergessen wir nie, was das Ruhrgebiet und ebenso einst das ganze Land groß gemacht hat. Und auch wenn wir wirtschaftlich vielleicht nicht mehr ganz so stark dastehen wie vor vielen Jahren, so ist die Kraft und die Stärke in den Menschen geblieben. Deswegen haut einen richtigen Ruhrpottler auch so schnell nix aus den Socken!
MAS: Euer Album ist erkennbar kein Protestalbum gegen den Strukturwandel. Er erscheint auf `Auf Kohle geboren´ schlicht als Tatsache. Habt Ihr mit dem Album ein „Ziel“ gehabt?
Stefan Schlüter: Ja natürlich hatten wir ein Ziel. Wir wollten für die Leute, die sich mit dem Pott identifizieren und vielleicht auch selbst für die Kohle gearbeitet haben, ein Album produzieren. Ein Rockalbum über den Pott! Sowas gab es in der Form noch nicht und da wurd’s mal höchste Zeit... Und natürlich sollte dies keine Jammer-Arie werden. Wir wollten keinen Frust schieben, wie Scheiße doch alles ist, nein, vielmehr geht es darum, dass die Leute Spaß haben und nach vorne sehen! Ein Strukturwandel im Ruhrgebiet war und ist unabdingbar. Die Welt ändert sich seit einiger Zeit unglaublich schnell und um hier nicht auf der Strecke zu bleiben, nehmen die Ruhrgebietler viele viele Anstrengungen auf sich. Da geht es uns selbst ja nicht anders. Es geht immer wieder weiter, es gibt immer eine Lösung und man kann trotz allem Shit echt ne Menge Spaß haben ohne seine Wurzeln zu vergessen! Das ist die Kernaussage der Platte.
MAS: Gibt es – befördert durch die Bergarbeiterkultur – im Ruhrgebiet ein stärkeres Band zwischen den Generationen?
Stefan Schlüter: Schwierig zu beantworten. Natürlich gibt es ein starkes Band zwischen den Generationen im Ruhrgebiet! Nur wenn ich als Beispiel meine Familie erwähnen darf: Mein Vater war sein ganzes Leben lang für die Ruhrkohle tätig. So habe ich auch dort angefangen, 1989. Wenn ich ihm heutzutage Dinge aus der heutigen Berufswelt erzähle, kann er die meist gar nicht glauben. Früher ging es darum, dass die Kohle sicher zu Tage kam. Der Profitgedanke war noch nicht so universumsgroß ausgeprägt. Heutzutage geht’s nur um das eigentliche Überleben und um die totale Gewinnmaximierung - und das fast überall, in allen Bereichen. Das ist für die älteren Generationen kaum nachzuvollziehen. Es gibt schon Aussagen wie „Wir haben nach dem Krieg alles aufgebaut und nun geht bei Euch alles den Bach runter“. Auf den ersten Blick mag das ja stimmen! Allerdings ist das in Bezug auf Globalisierung, Extremkapitalismus und übergeschnapptem Individualegoismus keine gültige Aussage!
MAS: `Auf Kohle geboren´ ist sicher kein frommes Album, aber der Name Gottes taucht immer wieder auf, nicht an zentraler Stelle, aber auch eindeutig nicht mit negativer Konnotation.
Da wird die Heilige Barbara erwähnt, daran erinnert, dass man „in Gottes Namen einfuhr“ und „trotz der Finsternis an Gott geglaubt hat“. Denjenigen, die „oben“ waren und von der Arbeit des Kumpels profitiert haben, wird vorgeworfen, dass sie „nicht für ihn gebetet haben“. Und das interessante „Man sagt“ endet völlig unkommentiert mit einer ganzen Strophe, die sich auf die Wunderkräfte Jesu bezieht.
Wo kommt dieser religiöse Bezug her – nur katholisches Milieu, oder braucht der Kumpel hunderte von Metern unter der Erde diesen Halt?
Stefan Schlüter: Früher war der religiöse Glaube viel viel weiter verbreitet als heute und wurde offener gelebt. Also halten solche Sachen natürlich auch Einzug in die Texte der Knappen. Sicherlich bildet der Glaube für uns heute noch Denkanstöße. Tatsache ist aber auch, dass auch die Religion immer mehr auf der Strecke bleibt. Ich nehme mich z.B. da ganz aus. Ich denke rein wissenschaftlich und glaube an den Urknall, mehr nicht. Das war früher nicht so. Wir wurden alle religiös erzogen und somit ist der Glaube an Gott sicherlich ein Teil von uns, auch wenn dieser, böse gesagt, auch einem Strukturwandel zum Opfer fiel!
MAS: Hat der Rummel um das Ruhrgebiet, als Kulturhauptstadt Europas Anstöße für das Entstehen von `Auf Kohle geboren´ gehabt?
Stefan Schlüter: Nein, eigentlich nicht. Es war schön, dass das Ruhrgebiet mal etwas ins Rampenlicht gerutscht ist. Das hatte allerdings keine Auswirkungen auf das Album. Die Veröffentlichung der Auf Kohle geboren war eh passend zum Ende von Ruhr 2010.
MAS: Ihr habt musikalisch sehr unterschiedliche Wurzeln. Wieso haben die Knappen gerade diese Besetzung?
Stefan Schlüter: Nun ja, in Ansätzen sind wir eine, man glaubt es kaum, gecastete Band. Ein WAZ Mitarbeiter hat die Band anfangs zusammengewürfelt und nach ein paar kleineren Besetzungswechseln ist letztendlich diese Formation entstanden. Viele von uns kannten sich allerdings schon vorher. Das wir alle musikalisch unterschiedliche Wurzeln haben, macht gerade den Reiz aus und sorgt immer für Diskussionsstoff!
MAS: Wie schwer war es, die unterschiedlichen musikalischen Ansätze unter einen Hut zu bringen?
Stefan Schlüter: Nicht wirklich schwer. Wir haben alle die Rockmusik als Ausgangsplattform für unser musikalisches Sein und auf dieser bewegen wir uns ja! Ok, reinen Schlager würden wir mit den Knappen nicht machen, ebenso wird es auch kein „Ausgebombt“ von den Knappen geben!
MAS: Hat es außer der Produktion der CD bisher andere Aktivitäten, Touren, Live-Auftritte o.ä. gegeben?
Stefan Schlüter: Wir haben jetzt erst einen tollen Auftritt in der Zeche Carl beim Endzeit Festival 3 hingelegt. Das hat sehr viel Spaß gemacht und kam auch super an. Leider sind wir alle zeitlich immer sehr ausgelastet, so dass die Knappen doch eher Projektcharakter haben. Eine Tour wird es definitiv nicht geben, aber wohl mal den einen oder anderen Auftritt, wenn alles passt!
Eine mehr oder weniger regelmäßige Aktivität ist allerdings die Präsenz in der Gelsenkirchener Kneipenszene, wo wir dann einfach mal die Seele baumeln lassen!
MAS: Ist `Auf Kohle geboren´ ein einmaliges Projekt, oder ist mit weiteren Knappen-Alben zu rechnen?
Stefan Schlüter: Ein einmaliges Projekt ist es sicherlich nicht. Wir lassen einfach alles auf uns zukommen. Und wenn genug neues Songmaterial da ist, warum nicht auch ein nächstes Album… Klar! Wir machen uns da allerdings keinen Stress und tun und lassen einfach alles, was wir wollen!
MAS: Herzlichen Dank für die Antworten – und alles Gute für die Knappen.
Norbert von Fransecky
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