Donizetti, G. (Gruberova)
Lucrezia Borgia (DVD)
WUNDERWELTEN
Einhellig war die Begeisterung in der Presse, was die Qualität der Aufführung von Donizettis (1797-1848) "Lucrezia Borgia" in München im Sommer 2009 anging. Dabei ist die Lucrezia kein einfacher Stoff, vielmehr ein echtes Kind der romantischen Belcanto-Oper. Das Libretto nach der Vorlage Victor Hugos stellt mit Lucrezia Borgia eine Figur in den Mittelpunkt, die gleichermaßen Mitleid wie Abscheu erregt. Als Giftmischerin verschrien, empfindet einzig der junge Gennaro Sympathie für die verachtete Außenseiterin der venezianischen Gesellschaft. Lucrezia genießt seine Zuneigung - denn was Gennaro nicht weiß, ist, dass Lucrezia seine lang gesuchte Mutter ist. Doch Gennaros Freunde, einschließlich seines Kumpans Orsini, warnen ihn vor der gefährlichen Möderin. Derart öffentlich gedemütigt verlässt Lucrezia Venedig und sinnt auf Rache an jenen, die die einzig aufrichtige Zuneigung in ihrem Leben zerstört haben. Gennaro begegnet ihr in Ferrara wieder, doch der dortige Herzog, Lucrezias Gemahl, wähnt in ihm einen Nebenbuhler und versucht, ihn aus dem Weg zu räumen. Was ihm mißlingt, schafft Lucrezia in ihrer Rachsucht schließlich selbst: Bei einem Giftanschlag auf Genarros Freunde vergiftet sie versehentlich auch Gennaro, ihren Sohn. Dieser lehnt das ihm von ihr angebotene Gegenmittel ab, als er erfährt, wessen Kind er wirklich ist.
Die zwei Seiten der Lucrezia, ihre Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, aber auch ihr abgrundtiefer Haß, der aus Zurückweisung geboren wird, machen die Attraktivität der Rolle aus. Und diese ist der Slowakin Edita Gruberova wie auf den Leib geschneidert. Die mittlerweile über 60jährige Grand Dame des Belcanto brilliert in der Partie in schier atemberaubender Perfektion. Ihr Sopran ist unverändert staunenswert volumenreich, voller Strahlkraft und makellos geführt. Und sie zeigt, was Belcanto mit seiner Koloraturlastigkeit sein kann und eigentlich immer sein sollte: kein hohles technisches Kunststück, sondern ein sehr persönliches, unmittelbar wirksames Ausdrucksmittel. Diesen Ausdruck gibt sie mit vielfältigsten Schattierungen noch in den kühnsten Läufen jeder Note bei. Das ist so perfekt, klangschön und emotionsgeladen, dass sich ganze Klangwunderwelten auftun. Man muss es einfach gehört haben. Obwohl sich bereits bei dem Duett zwischen Lucrezia und Gennaro im Prolog die Einschätzung aufdrängt, dass keine Steigerung mehr möglich scheint, lässt man sich dann gern eines besseren belehren, denn die Gruberova geht immer noch mehr und intensiver in der Rolle auf, verschmilzt mit der Figur und gelangt so zu einem furiosen Finale, dessen erschütternder, durchaus vom Hass verzerrter Schlusston durch Mark und Bein geht. Im tosenden Jubel des Publikums braucht die Primadonna dann ersichtlich selbst geraume Zeit, um wieder zu sich zu finden.
Man kann von Glück sagen, dass ein solches Wunder in dieser Produktion seine passende künstlerische Rahmung findet: Vor allem steht mit Pavol Breslik ein Gennaro auf der Bühne, dessen tenorale Kraft ganz ohne Schmalz auskommt und der damit als authentisches Gegengewicht zu Lucrezia wirkt. Herrlich fies und druckvoll agiert Franco Vassallo als Herzog und Alice Coote verleiht der sängerisch anspruchsvollen Partie des Orsini eigenen Glanz.
Das Orchester spielt unter Bertrand de Billy souverän und mit Verve, wenngleich die klangliche Differenzierung bisweilen zu kurz kommt.
Was die Inszenierung betrifft, so hat Christof Loy auf eine Reduzierung der Mittel gesetzt und damit gleichzeitig auf eine psychologisierende Betrachtung der Figuren. Für eine so ungewöhnlich angelegte Figur wie die der Lucrezia ein überzeugendes Konzept, das in der Nüchternheit der szenischen Ausstattung der Musik ihren Raum lässt. Nur im zweiten Akt wird hier und da doch zu konsequent an der Umsetzung gespart, denn wenn Gennaro und seine Freunde im Rausch den Wein loben, wäre es nicht ganz deplaziert, zumindest Gläser, Flaschen, Wein oder Rausch in irgendeiner Form anzudeuten - es ist halt schwer, wenn laut gesungenem Text angestoßen werden soll, aber keiner ein Glas in der Hand hat...
Zu Ehren Edita Gruberovas ist der Produktion eine Bonus-DVD beigegeben, die die Sängerin zu deren 40. Bühnenjubiläum liebevoll portraitiert, ihren künstlerischen Werdegang nachzeichnet und langjährige Wegbegleiter zu Wort kommen lässt, ohne die Schattenseiten dieses Künstlerlebens zu verschweigen. Die Sopranistin selbst lässt uns am Ende wissen, sie wolle noch das 50. Bühnenjubiläum feiern. Man kann dies angesichts der hier dokumentierten Leistung ihr und uns nur von Herzen wünschen.
P.S.: Wer die Gruberova live als Lucrezia erleben möchte, hat dazu 2010 im Rahmen konzertanter Aufführungen in Dortmund, Köln und Dresden Gelegenheit.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
Donizetti: Lucrezia Borgia (133 min)
Bonus-DVD: "The Art of Bel Canto - Edita Gruberova" (54 min) |
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Besetzung |
Edita Gruberova: Donna Lucrezia Borgia
Pavol Breslik: Gennaro
Franco Vassallo: Don Alfonso
Alice Coote: Maffio Orsini
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Bertrand de Billy: Ltg.
Christof Loy: Regie
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