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Reviews
Diverse (Komponisten der Renaissance) (Wilson)

Wenn Engel musizieren. Musikinstrumente von 1594 im Freiberger Dom


Info
Musikrichtung: Renaissance vokal & instrumental

VÖ: 08.11.2005

raumklang / Codaex
2 SACD hybrid (AD 2004) Best. Nr. RK 2404/5


Gesamtspielzeit: 138:00



SINNLICHE DENKMALKUNDE

Die Vorstellung, dass alles irdische Tönen, vor allem aber die gottesdienstliche Musik, im Himmel ihr vollkommenes Vorbild habe, bestimmte das Musikdenken des Mittelalters. Von neun Engelchören wusste man, die in unaufhörlichem Jubelgesang Gott verherrlichten. Die irdische Musik spiegelte lediglich diese himmlische Harmonie. Das fand seinen Niederschlag auch in der Kunst. Zahlreiche künstlerische Engeldarstellungen zeigen aber nicht nur singende, sondern auch musizierende Engel. 1589-1594 wurde in der Begräbniskapelle des Freiburger Domes sogar ein dreißigköpfiges Engelorchester inklusive Instrumenten installiert: Schalmeien, krumme und gerade Zinken, Posaunen, Violinen, Harfe, Lauten, Cister und Schellentrommel. Forscherneugierde brachte ans Licht, was Jahrhunderte unter dicker Goldbronze verborgen war: Lediglich neun der Instrumente sind Attrappen, bei 21 handelt es sich um mehr oder weniger spielbare Originale, meist Stücke aus sächsischer Fabrikation! Selbst die Namen mancher Meister lassen sich aufgrund eingeklebter Zettel ermitteln. Ein solcher Fund von nahezu unveränderten Renaissanceinstrumenten war eine kleine Sensation. Dank modernster Analyse- und Messverfahren konnte man darangehen, den Originalen ihre Geheimnisse zu entlocken und getreue Nachbauten anzufertigen.

Die Ergebnisse werden auf dieser sorgfältig produzierten Doppel-SACD des Leipziger Labels raumklang vorgestellt. CD Nr. 1 ist geistlicher, CD Nr. 2 der weltlichen Musik gewidmet. Dabei werden bevorzugt wenig bekannte Komponisten wie Antonio Scandello zu Gehör gebracht, die für den Dresdener Hof komponierten. Scandellos prächtige sechsstimmige Gedächtnismesse für Kurfürst Moritz, der sich in der reich ausgestalteten Kapelle ein prunkvolles Grabmal errichten ließ, gibt den roten Faden für das Programm der ersten CD ab. Unterschiedlich besetzte Werke weiterer Hofkomponisten wie Giovanni Battista Pinello, Orlando di Lasso oder Hans Leo Hassler und Leonhard Lechner zeichnen ein Panorama von der sächsischen Kirchenmusik um die Wende zum 17. Jh. Scandello hat auch zahlreiche der Tanzsätze und Lieder komponiert, die sich neben vergleichbaren Werken anderer Komponisten auf CD Nr. 2 befinden. Gerade die schwungvollen und unterhaltsamen weltlichen Stücke zeigen, dass die Engelinstrumente in beiden Welten, der irdischen und der himmlischen, gleichermaßen zu Hause waren.

Hat man den inzwischen kernigen, brillanten Sound heutiger Renaissance-Ensembles im Ohr, so muss man sich an den Klang des nachgeschaffenen Original-Instrumentariums erst gewöhnen. Vor allem bei den Bläsern, insbesondere aber bei den Zinken, scheint die Intonation nicht einfach zu sein. Dazu kommt der von den Bläsern vorgegebene hohe Stimmton (466 hz) und die eher trockene Studioakustik: Das Klangbild bei den instrumentalen Nummern ist erstaunlich licht und weich, ohne jenes bronzen-erdige Timbre, das man erwarteten würde. Auf der einen Seite vernimmt man den typischen Spaltklang des Renaissanceorchesters mit seinen klar voneinander abgesetzten Registern und reichen Obertönen, auf der anderen Seite ergibt sich ein runder, aber nicht sonderlich reifer Gesamtklang, in den sich die Stimme der Sänger/innen organisch einfügen. Die Besetzung u. a. mit einem männlichen Sopranisten und einem Altus ist konsequent, dürfte aber wegen der eigenwilligen Stimmfarben nicht überall auf offene Ohren treffen. Das eigens gegründete Ensemble Msica Freybergensis besteht aus vokalen und instrumentalen Experten der Alten Musik. Unter der Leitung von Roland Wilson wird virtuos musiziert. So sinnliche sollte Denkmalkunde immer sein!



Georg Henkel



Besetzung

Christine Maria Rembeck / Ralf Popken (Sopran)
David Erler (Altus)
Julian Podger, Michael Schaffrath (Tenor)
Reinhard Decker (Bass)

Musica Freybergensis
Ltg. Roland Wilson



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