Purcell, H. (Haim)
Dido and Aneas
|
|
Info |
Musikrichtung:
Barockoper
VÖ: 07.11.2003
(Virgin Veritas / EMI) Best. Nr. 7243 5 45604 2 2 |
|
|
PHANTASIEVOLLE EROBERUNG DES REPERTOIRES PURCELLS MINI-OPER
Henry Purcells (1659-1695) einzige 'richtige' (durchkomponierte) Oper Dido and Aneas war ursprünglich für eine Mädchenschule und eine entsprechende Besetzung geschrieben worden. Obschon das Werk in der erhaltenen Fassung ohne den ursprünglichen Prolog kaum eine Stunde dauert, ist es Purcell gelungen, die genretypische 'monumentale' Dramaturgie gleichsam zu minaturisieren und ein exemplarisches Werk von bemerkenswerter Komplexität und Geschlossenheit zu komponieren. Der Opernliebhaber wird alles finden, was sein Herz begehrt: eine bewegende Heldin (Dido, die Königin von Karthago), die in tragischer Liebe zum unsteten Heros (dem trojanischen Prinzn Aeneas) entbrannt ist, die getreue Freundin (Belinda), unheimliche Mächte (die Hexen und ihr Geist), pittoreske 'Massen'-Szenen mit Ensembles, Chören und Tänzen. Mit wenigen prägnanten Strichen bzw. Noten werden die Charaktere und Szenen plastisch gezeichnet, wobei Purcells Hauptinteresse auf seiner Dido liegt, deren erste Auftrittsarie bereits von jenem Verhängnis überschattet scheint, das sich dann im grandiosen Lamento, eine der bewegendsten Klagegesänge des Barock, erfüllt.
Die Cembalistin Emanuelle Haim, über mehrere Jahre musikalische Assistentin von William Christie, hat inzwischen ihr eigenes Ensemble Le Concert d'Astrée gegründet und zwei Aufnahmen bei Virgin vorgelegt: Händels frühe Oper Acis e Galatea und vom selben Komponisten eine erlesene Arien-Kollektion unter dem Titel Arcadian Duets. Trotz des prominenten Komponisten also eher randständiges Repertoire, das die Potentiale der Musiker und ihrer Leiterin jedoch eindrücklich unter Beweis stellte. Jetzt also die Oper Dido and Aeneas, die im Katalog nicht gerade selten verzeichnet ist. Dennoch kann sich die Neuproduktion selbst gegenüber den Highlights behaupten.
HAÏMS DIFFERENZIERUNGSKÜNSTE
Wie Haim bereits die zweiteilige Ouvertüre durch die dynamischen und agogischen Variationen in den Wiederholungen zum musikalischen Minidrama ausgestaltet, darf als Modell für die gesamte Interpretation genommen werden. Sänger und Instrumentalisten tragen Purcells Ökomomie der Mittel durch eine ausgefeilte Kontrastregie Rechnung. Jede Phrase soll sprechen, jede Szene eine individuelle Farbe bekommen und zur dramatischen Gesamtwirkung beitragen, ohne dass das Werk darüber in lauter schöne Einzelmomente zerfällt. Das gelingt nicht zuletzt aufgrund der wahrhaft luxuriösen Besetzung, die Interpretenpersönlichkeiten und Ensemblegeist vereinigt. Stars wie David Daniels, Paul Agnew und Ian Bostridge schauen da nur für ein paar Takte vorbei, ohne dass es an stimmlichem Einsatz und interpretatorischer Spannung mangeln würde. Bewegend ist Susan Graham in der Rolle der Dido. Grahams Porträt der verlassenen, unglücklich liebenden Frau gewinnt gleich im Ah! Belinda, Iam pressed with torment eindrückliches Profil. Graham, eigentlich nicht die typische Barocksängerin, singt durchaus mit 'großem' Ton, dies aber sehr differenziert und mit wohldosiertem Vibrato. Im Vergleich zur Gradlinigkeit z. B. einer Veronique Gens (Christie / Erato) gewiss eine 'romantische' Dido. Mit mal brustiger, mal 'keifender' Tongebung zieht dagegen Felicity Palmer als böse Oberzauberin alle stimmlichen Register.
Sehr spielfreudig und phantasievoll agiert das Orchester. Haïm nutzt die durch die Überlieferung bedingten 'Löcher' in der Partitur, um ihr Ensemble zu quasi-improvisierten Einlagen zu motivieren. Vor allem manche Tänze und Ritornelle bekommen dadurch einen sehr rustikalen Einschlag. Mancher Übergang gerät da zum geschickten 'Morphing', z. B. von einer Arie zum anschließenden Chor. Auch an Spezialeffekten mangelt es nicht: Der im Libretto erwähnte "höllische Lärm" am Ende der Hexen-Szene wird beeindruckend mit Heulen und Donnern realisiert. Le Concert d'Astrée verbindet in dieser Einspielung die Erzählfreude und Homogenität von Les Arts Florissants mit der Lust an einer phantasievollen musikalischen Inszenierung, wie man es etwa von René Jacobs kennt. Man darf auf weitere Einspielungen – für 2004 ist Monteverdis "Orfeo" geplant – gespannt sein.
Georg Henkel
|
|
Besetzung |
Susan Graham (Dido) Ian Bostridge (Aeneas) Camilla Tilling (Belinda) Cécile de Boever (Zweite Frau) Felicity Palmer (Zauberin) David Daniels (Geist) Matrose (Paul Agnew)
Chor European Voices Le Concert d'Astrée
Ltg. und Cembalo Emanuelle Haïm
|
|
|
|