Musik an sich


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Chopin, F. (Scheyder)

Sieben Polonaisen


Info
Musikrichtung: Hammerklavier

VÖ: 19.11.2003

(Ligia Digital / Klassik Center Kassel) Best. Nr. Lidi 0103124-03



ÜBERSTEUERT

Nachdem noch vor kurzem Arthur Schoonderwoerd mit seiner vorzüglichen Einspielung von Klavier-Tänzen Frédéric Chopins (1810-1849) (Alpha 040 / Note 1) gezeigt hat, wie man diese Musik auf einem historischen Hammerklavier mit Eleganz, dramatischem Gespür und Spielwitz zum Singen und Tanzen bringen kann, gibt es hier gleich eine weitere Gelegenheit, sich in die Möglichkeiten und Grenzen 'historisierender' Pianistik bei diesem Komponisten einzuhören.

Der Interpret heißt in diesem Fall Patrick Scheyder und kommt aus Paris, das Instrument ist auch hier ein Pianoforte der Pariser Firma Ignace Pleyel, Baujahr 1842. Die Vorzüge historischer Flügel sind zugleich ihre Nachteile und umgekehrt: 'hörbar' leichte Bauweise, aber dafür transparenter, federnder Klang; gelegentliche Intonationsschwankungen, aber dafür charaktervolle Registerfarben; begrenzte Dynamik, aber dafür effektvolle Feinabstimmung. Scheyder nutzt nicht nur die Möglichkeiten seines Instruments bis an die Grenzen (und manchmal darüber hinaus) aus, er möchte offensichtlich bei der Chopin-Interpretation neue Horizonte eröffnen.
Angesichts der zahlreichen Einspielungen der sieben Polonaisen , die derzeit auf dem Markt erhältlich sind, ist das verständlich und löblich. Leider ist das Ergebnis ziemlich ungenießbar. Das etwas diskantlastige (und im übrigen intonationssichere) Instrument hat daran den geringten Anteil. Nein, Scheyders durch exaltierte Agogik und Dynamik ausgesprochen unorganisches Spiel bürstet Chopins Polonaisen derart gegen den Strich, dass die Stücke stellenweise unkenntlich werden. Mal kommt die Musik wie ein Springteufel aus den Boxen, dann wieder schwanken die Phrasen wie ein Schiff bei schwerem Seegang; hier schleppt sich die Melodie voran, dort verzerrt sie der pianistische Zeitraffer.
Die von Chopin notierten dynamischen Werte reichen zwar bis zum dreifachen Forte, werden von Scheyder aber nicht an den klanglichen Maßstäben des Instruments und der Architektur der Musik gemessen, sondern offenbar an seinen eigenen Vorstellungen. Hinweise im Text des Beihefts, Chopin habe in den zwischen 1834-46 komponierten Polonaisen die russische Besatzung, die Brutalität des Krieges und die Leiden der polnischen Bevölkerung verarbeitet, dienen hier offenbar nur dazu, interpretatorische Extreme zu rechtfertigen. Das Vertrauen in die Musik selbst scheint eher gering zu sein. Akustisch passiert in etwa das, was man erleben kann, wenn man bei der Farbsteuerung eines Fernsehers bis zum Anschlag geht: Es ist einfach zu grell.

Chopins Musik bleibt bei so viel bemühter 'Originalität' leider auf der Strecke. Und der überreizte Hörer auch.



Georg Henkel



Trackliste
1Polonaise in As-Dur07:03
2Polonaise in Cis-Moll07:03
3Polonaise in Es-Moll08:11
4Polonaise in Fis-Moll10:40
5Polonaise in As-Dur05:35
6Polonaise in C-Moll07:12
7Polonaise in As-Dur12:02
Besetzung

Patrick Scheyder (Pianoforte Pleyel 1842)


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