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Musik an sich
 
Claudio Monteverdi (1567-1643): Madrigali guerrieri ed amorosi (VIII. Madrigalbuch 1638)
Bereits erschienen (Harmonia Mundi France)
Barock / Vokal
Cover
 

Concerto Vocale / René Jacobs

Wie klingen Krieg und Gewalt? Wie singt man Zorn, Eifersucht, Haß und Wut? Und was haben Liebe und Sehnsucht damit zu tun?

Die dunkle Seite der Gefühle hat auch in der Musik ihre eigene Geschichte. Es dürfte allerdings kaum mehr nachzuweisen sein, ob Claudio Monteverdi wirklich jener erste Komponist gewesen ist, der nicht nur den gemäßigten und sehnsuchtsvollen, sondern auch den extremeren kriegerisch-erregten Empfindungen klingende Gestalt verliehen hat - und damit das menschliche Herz musikalisch zum Kampfplatz wiederstreitender Leidenschaften machte.

Im Vorwort zu seinem VIII. Madrigalbuch (1638) nimmt der damals 71jährige die Erfindung des sogenannten ‚genre concitato', also des zornigen, erregten Stils, für sich in Anspruch. Angesichts der unverbrauchten Frische und Qualität der Kompositionen, allesamt Früchte jahrelanger Arbeit und Experimente, ist man allerdings geneigt, ihm sofort glauben. Das ‚Oracolo della Musica', wie ihn die fasziniert-irritierten Zeitgenossen nannten, zieht in dieser umfangreichen Sammlung gewissermaßen die Bilanz seiner aufsehenerregenden musikalischen Neuerungen.

Da ist es nur angemessen, wenn auch die neue Gesamteinspielung von Monteverdis opus summum seine Werke als packende Avandgarde-Musik des 17. Jahrhunderts präsentiert. Denn grundsätzlich scheint es zwei Wege zu geben, sich diesen Kompositionen zu nähern: entweder man singt sie, oder man spielt sie.

Für die erste Herangehensweise stehen die bahnbrechenden Aufnahmen, die Anthony Rooley mit seinem Consort of Musicke Anfang der 90er Jahre vorgelegt hat. Bei perfekter Ensemblekultur, homogener Stimmführung und wohldosierten Affekten ließ der bewußt anti-romantische Ansatz der englischen Musiker Monteverdis Musik gleichsam aus sich selbst heraus sprechen. Rooleys Ensemble offenbarte so die Originalität des Komponisten aus dem Geist der Spät-Renaissance.

René Jacobs und seine Musiker haben sich dagegen für das dramatischere Spiel entschieden. Sie deuten Monteverdis überreife Kunst ganz aus der Perspektive der damals neuesten, modernsten musikalischen Gattung, zu der der Komponist mit seinem ‚Orfeo' (1607) selbst ein frühes, Maßstäbe setzendes Werk beigesteuert hat: der Oper.

In der Tat haben sind nur noch die wenigsten Stücke in Monteverdis VIII. Madrigalbuch ‚echte' Madrigale in der Art des mehrstimmigen Strophenliedes. Vielmehr handelt es sich um eine kunstvoll arrangierte Sammlung höchst unterschiedlicher Kompositionen mit mehr oder weniger ausgeprägt szenischem Charakter, die einen Einblick in die Werkstatt und Entwicklung ihres Schöpfers erlauben. Das Spektrum reicht von zwei- bzw. dreistimmigen Sätzen bis hin zur größer disponierten Instrumenal- und Vokalkompositionen mit bis zu acht Sänger/innen plus Instrumenten. ‚Geschlossene Nummern', deren Herkunft vom Madrigal noch unübersehbar ist, stehen dabei neben regelrechten Miniatur-Opern.

Jacobs Ansatz sorgt für eine aufregend neue, mitunter geradezu aufrührerische Lesart: Derart erregt, drängend und aggressiv leidenschaftlich waren Monteverdis Liebes- und Zornesausbrücke noch nicht zu hören. Da wird gelitten, gestritten, geflötet, begehrt und erfleht, was die hervorragenden Stimmen hergeben. Gleich das einleitende ‚Altri canti d'Amore' läßt ein regelrechtes Schlachtengetümmel an den Ohren des Hörers vorbeitoben, wenn sich das vokale und instrumentale Stimmengewitter in stampfenden Rhythmen und wilder Kontrakpunktik entlädt. Atemlos schnell wiederholte kleine Notenwerte, abgerissene melodische Phrasen und eine kühn-dissonante Harmonik sind die hauptsächlichen Mittel, um die unterschiedlichen Erregungsgrade plastisch in Musik zu transformieren. Denn hier werden nicht nur einfach physiologische oder emotionale Zustände abgebildet, sondern die Musik selbst wird, ganz im Dienst des Wortes, zum Akteur.

Am beeindruckendsten gelingt dies dem Komponisten in seinem berühmten ‚Combattimento di Tancredi e Clorinda'. Hier kämpfen ein heroischer Kreuzritter und eine tapfere Sarazenenkriegerin auf Leben und Tod gegeneinander. Dass sie sich im ‚zivilen' Leben lieben, im Zweikampf aber bis zum tragischen Schluß (Clorinda stirbt, empfängt aber noch aus Tancredis Händen die Taufe) nicht erkennen, bietet dem Komponisten reichlich Gelegenheit, nicht nur die ganze Palette der widerstreitenden Gefühle, sondern auch die kämpferischen Aktionen mit klanglichen Mitteln darzustellen. Dabei übernimmt ein ‚Testo', also ein Zeuge, die Rolle des Erzählers und Kommentators. Unterstütz von einer plastischen, gestischen Instrumentalbegleitung, macht er die Hitze des Kampfes ebenso wie die Schwertstreiche und Blutströme für den Hörer geradezu körperlich fühlbar.

Dagegen erscheint eine Miniatur wie das burlesk präsentierte ‚Gira il nemisco insidoso Amore', das eine eher komische Liebes-Schlacht um das menschliche Herz vorstellt, wie eine Vorahnung der Opera-Buffa des 18. Jahrhunderts: Was die drei Sänger hier mit vokaler Charakterisierungskunst, pointiert gesetzten Kontrasten und vor allem mit vitaler Spielfreude aus der Musik herausholen, scheint auf direktem Wege zu Mozart und Rossini zu führen: als hätten die Musiker das spätere ‚Opern-Ensemble' im barocken Madrigal entdeckt.

Sowohl hier und anderswo gelingt es den Sängern, ihre ausdrucksvolle und individuelle Stimmführung zu einem Gesamtklang zu vereinen. Mit Blick auf die Geschichte der sogenannten ‚historisch informierten Aufführungspraxis' ist faszinierend, wie das Understatement und die Zurückhaltung, die noch Rooley und seiner Sänger/innen an den Tag legten, einer zwar nicht ‚romantischen', aber doch wieder sehr viel expressiveren Klangrede gewichen ist, die über ein ausdrucksvoll eingesetztes Vibratos ebenso wie über den gesungenen Schrei verfügt. Man höre nur das ‚Lamento della Ninfa', die ‚Klage der Nymphe' im Vergleich: bei Rooley sorgt das mädchenhaft-ätherische Timbre von Emma Kirkby für anrührende Lieblichkeit, bei Jacobs klagt mit Bernarda Fink eine erwachsene Frau dem Hörer ihr tragisches Leid.

In ihrem Bemühen um dramatische Wahrheit - und sei es auch auf Kosten purer gesanglicher Schönheit - ist diese Interpretation von Monteverdis letztem Madrigalbuch frappierend gegenwärtig, ‚moderne' Musik im Besten Sinne des Wortes.

Was der Aufnahme darüber hinaus einen besonderen Rang verleiht, ist Jacobs Phantasie bei der instrumentalen Begleitung. Zeitgenössischen Ohren kommt er dabei in so weit entgegen, als er - stets im Geist der Musik - mitunter über die minimalen Anforderungen des Komponisten hinausgeht. Zu den obligatorischen Streichern treten in den Schlachtenmusiken Bläser, während dem sowieso schon reich besetzten Continuo durch die versierte Spielweise eine Plus an Farben und klanglichen Spezial-Effekten abgewonnen wird. Insbesondere der finale ‚Ballo delle Ingrate', der ‚Tanz der Undankbaren' (ein echtes Troststück für alle Männer, die keine Frau abkriegen: Die schönen, aber stolzen und unnahbaren Damen fahren nämlich zur Hölle!) gewinnt mit seinen langen Rezitativen an der notwendigen inneren Spannung. Der volle, körperliche Klang erreicht auch sonst die nötige Dichte und Intensität, um die Affekte gebührend zur Geltung kommen zu lassen. Gerade in dieser Hinsicht sind die verdienstvollen Aufnahmen des Consort of Musicke immer etwas blass geblieben.

20 von 20 Punkte

Georg Henkel

 

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