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Artikel

BLISSTRAIN 2010 - Die DIY-Roadshow geht in die nächste Runde

Info

Künstler: Blisstrain 2010

Zeit: 09.03.2010

Ort: Nürnberg (MUZ Club)

Besucher: 150

Internet:
http://www.blisstrain.de
http://www.mainstreamrecords.de

Blisstrain - so nennt sich die alljährliche Rundreise des kleinen, aber feinen Labels Exile on Mainstream Records. Das Konzept ist dabei so genial wie einfach. Es werden fünf Bands aus dem eigenen Roster auf die Straße geschickt, die an einem Abend abwechselnd und ohne Pause auf zwei gegenüber liegenden Bühnen spielen. Nicht selten kommt es dabei zu Interaktionen unter den befreundeten Musikern. Bereits zum dritten Mal nach 2008 und 2009 ist Labelboss Andreas Kohl jetzt mit diesem Konzept unterwegs. 2010 mit dabei: das Postrocktrio THE ANTIKAROSHI, das brachiale Duo DŸSE, die instrumentalen Psych-Doomer STINKING LIZAVETA und die amerikanischen Newcomer WIVE. Eigentlich sollte noch die österreichische Freakparade BULBUL mit von der Partie sein. Aber wegen Familienzuwachs tauschten diese lieber Gitarre gegen Babyrassel. Ersatz kam in Form von DON VITO von der befreundeten Firma Discorporate Records. An einem Dienstag Anfang März machte der Blisstrain im Nürnberger MUZ Club halt, der mit seiner gemütlichen Atmospähre wie geschaffen für den Tourstopp war. Schätzungsweise 150 Musikfreunde (bunt gemischt von Punk bis Studentencharme) fanden sich ein, um sich mit drei Stunden Krach beschallen zu lassen.


Den bunten Melodienreigen durften THE ANTIKAROSHI eröffnen. Und wenn ich ein persönliches Fazit aus ihrem Gig ziehen darf, dann ist das folgender: Ich habe die Band im Vorfeld ein ganzes Stück unterschätzt! Ihr Album Crushed neocons war schon nicht schlecht, aber live ist die Musik des Trios wirklich bärenstark. Ihr Post-Sonstwas rockt einerseits und lädt zum gepflegten Dahinschweben ein. Das früh gespielte brachialdynamische „Fistful“ war dabei so etwas wie eine Bandzusammenfassung, mit tänzelnden Gitarren (nicht selten getappt statt geschrubbt), einem stetigen spannungsgeladenen Aufbau und immer wieder mit einem kräftigen Groove. Instrumental klingt das Ganze live ziemlich spannend. Hin und wieder addieren die drei namenlosen Herren zu dem üblichen Instrumentarium (Gitarre/Bass/Schlagzeug) auch atmosphärische Samples und Tastentöne hinzu, was die Chose ein wenig trippiger gestaltet. Getreu dem familiären Motto der Tour, durften The Antikaroshi bei ein paar Titeln zwei musikalische Gäste von Wive begrüßen, die sich recht unscheinbar auf die Bühne schlichen. Zuerst veranstaltete Isaac Everhart im Hintergrund etwas Gitarrengewitter und dann brachte die attraktive Hannah Murray zweimal ihre Geigenflächen in den Sound mit ein. Ist hier vielleicht noch etwas mehr möglich, vielleicht Gastauftritte auf dem neuen Album? Schön wäre es jedenfalls. Aber auch ohne tatkräftige Unterstützung dürfte man den Auftritt, der mit dem verspielt schrägen „Downtown“ zu Ende ging, nicht so schnell vergessen. War er doch einfach ziemlich klasse. Bitte mehr davon!


Der Einstieg war also schon mal famos, auch wenn sich nicht jeder voll und ganz mitreißen ließ. Als die letzten Töne von The Antikaroshi verklangen, standen bereits DŸSE auf der Bühne. Die beiden Herren in Schwarz-Weiß waren schon einmal in diesem Club zu Gast und offensichtlich haben sie da einen ziemlich guten Eindruck hinterlassen. Zumindest veranstalteten die Fans bei der Begrüßung bereits einen Höllenlärm. Der Einstieg in den Irrsinn war „Zebramann“. Und von Anfang an wurde klar, dass Dÿse live eine ganz andere Intensität besitzt als Dÿse aus der Konserve. Denn der Auftritt war Rock’n’Roll pur: laut, wild, unberechenbar, witzig und vor Energie nur so strotzend. Dagegen ist ihr Album Lieder sind Brüder der Revolution schon fast ein lauer Furz (aber nur fast). Die daraus gespielten „Treppe“ und vor allem „Supermachineeyeon“ waren die absoluten Burner und wurden von den auflippenden Fans lauthals mitgebrüllt. Hier haben sich Band und Publikum wortwörtlich hochgeschaukelt und es brannte regelrecht die Luft. Dass Dÿse ein paar schräge Spaßvögel sind, bewies vor allem Schlagzeuger Jari Rebelein der immer wieder einen dummen und improvisierten Spruch für die Leute übrig hatte. Das Set war fast schon recht schnell zu Ende. Zumindest war es ziemlich kurzweilig. Wer mal richtig die Sau rauslassen will, ist bei Dÿse vollkommen richtig. Für Schöngeister ist der hingerotzte und improvisiert wirkende Noiserock-Sound zwar nichts, aber welche Sau interessiert das schon?!


Ganz besonders freute sich der Verfasser dieser Zeilen auf das Quintett WIVE, das vor kurzem mit PVLL ein ausgezeichnetes Debüt veröffentlicht hat. Dass die Band gerade zwischen die Krachfetischisten Dÿse und Don Vito gepackt wurde, war absolut glücklich gewählt. So konnte man sich etwas erholen und neue Kraft schöpfen. Die Musik von Wive, irgendwo zwischen Singer-Songwrite, Folk und verspielten Elektronikschnipseln, ist dazu auch wie geschaffen. Ruhig und schön klingt dieser, allerdings auch introvertiert und ätherisch, aber doch voller Emotionen. Diese Zerrissenheit war sehr gut an Sänger/Gitarrist Isaac Everhart zu spüren, der immer etwas abwesend wirkte, aber doch vor Leidenschaft sprühte. Zusammen mit Violinistin Hannah Murray war er der optische Dreh- und Angelpunkt des Auftritts, auch wenn es klanglich eine homogene Mannschaftsleistung war. Mit viel Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Elektronikspielereien und der tragenden Geige kreierten Wive eine ziemlich außergewöhnliche und friedliche Atmosphäre, die allerdings einige recht bedrückend fanden. Zumindest leerte sich der Club leider ein Stück. Diese armen Seelen verpassten dadurch aber kleine, zarte Juwelen wie „Lazarvus dives“ oder „Come, join the sea“ - vom letzten Lied „Attrition“ ganz zu schweigen. Selbst Schuld! Zusammenfassend war der Auftritt von Wive eine sehr schöne Sache. Könnte man sich zweifellos öfter antun.


Nach soviel Schönklang könnte der Kontrast gar nicht mehr größer sein. Denn das was DON VITO hier veranstalteten, als Musik zu beschreiben, ist fast schon zuviel des Lobes. Das ausgeflippte Trio nimmt erst einmal alles was ein Rockstück ausmacht (also Melodie, Gesang, Virtuosität und Struktur), komprimiert es auf ein Mindestmaß (Rhythmus) und wischt sich damit, verpackt in „Songs“ jeweils kürzer als eine Minute, mit Genuss den Hintern ab. Was am Ende bleibt, ist ja nach Anschauung, entweder höllischer Brachialsound der besonderen Klasse oder Lärm der reinsten Form. Die Ansichten hielten sich an diesem Tag in etwa die Waage. Wirklich kalt gelassen haben Don Vito wohl keinen. Diese erfreuten sich diebisch daran, die Trommelfelle der Anwesenden so richtig auf die Probe zu stellen und prügelten scham- und pausenlos auf ihre Instrumente ein, die einem schon leidtun konnten. Als wären 20 Kostproben in 20 Minuten nicht schon genug gewesen, kam der „Höhepunkt“ ganz am Schluss: eine fast zehnminütige, erbarmungslose Feedbackorgie. Dabei setzten sich die Protagonisten auf der Bühne ganz ungeniert Ohrenschützer auf, während das Publikum leiden durfte. Das hat gesessen, meine Damen und Herren!


Das Schlagzeug wurde auf der größeren Bühne ganz nach vorne an den Bühnenrand gerückt. Und wenn man es nicht eh schon gewusst hätte, war damit klar: die Klassenältesten, STINKING LIZAVETA aus Philadelphia, bildeten den Abschluss des Abends. Denn die meisten Bands haben/hatten singende und Gitarren spielende Frontmänner. Dieses instrumentale Trio hat eine trommelnde Frontfrau. So sah die berserkende Cheshire Agusta hinter den Kesseln zumindest aus. Ihr zu Seite stehen der elektrische Stehbass zupfende Alexi Papadopoulos und sein Gitarre verwöhnender Bruder Yanni. Zusammen gaben sie ihren „Doom Jazz“ zum Besten. Im Prinzip dröhnender Instrumentalrock der recht improvisiert klingt. Ganz so als würden Black Sabbath im Farbenrausch auf LSD mit Mahavishnu Orchestra jammen. Auch hier gilt, dass das Ganze auf Platte nur halb so reizvoll wirkt wie von der Bühne dargeboten, selbst wenn die Stücke dort wesentlich strukturierter klingen. Denn hier weiß man nicht so recht, wo der eine Song aufhört und der andere anfängt. Brachial und unterhaltsam ist es allemal. Dabei macht es auch noch Spaß den Dreien zuzuschauen. Das ausgeflippte Schlagzeugspiel und der lustig anzuschauende und immer wieder in die Tonabnehmer seiner Gitarre brüllende Saitenzupfer alleine hätten schön gereicht. Stinking Lizaveta waren auf dieser Tour zweifellos die Band mit dem meisten Groove und den verzwicktesten spielerischen Kapriolen. Schon irgendwie ’ne coole Sache. Vor allem da man mitten ins Set auch einen lässigen Blues integrierte.

So, was haben wir am Ende dieser Veranstaltung gelernt, was wir nicht eh schon wussten (nämlich dass Exile on Mainstream einfach ein exquisites, unabhängiges Kleinlabel ist)? Lärm aus der Konserve kann schön sein. Lärm von der Bühne herunter gepredigt ist aber um einiges geiler! Noch viel intensiver kommt er rüber, wenn man zwischen die einzelnen Eruptionen ein paar Inseln der Entspannung packt. Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf, freuen wir uns schon jetzt wieder auf den (hoffentlich stattfindenden) nächsten Blisstrain. Freunde gepflegter Indiespektakel müssen sich das einfach mal antun. Man sollte es nicht bereuen. Bei Gefallen dem Exile-Boss Andreas Kohl ruhig mal hallo sagen, der es sich nicht nehmen lässt, hier selbst seine günstigen Band- und Tourshirts zu verkaufen.


Mario Karl


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