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Info
Zeit: 26.02.2010
Ort: Komische Oper, Berlin
Besucher: 1190
Veranstalter: Komische Oper, Berlin
Internet:
http://www.komische-oper-berlin.de
Ein Campingplatz im Wald, ein VW-Bulli mit aufgeklebtem Schweden-Elch, ein bekiffter Hippie, ein Che Guevara-Verschnitt, lange selbst gestrickte Pullis und Wein aus der Plastik-Tasse - keine Frage: Alexander Mork-Eidam verlegt Händels Barock-Oper an den Übergang der 70er zu den 80ern.
Gar nicht dumm. Das Durcheinanderlieben, das die 1733 uraufgeführte Oper prägt, passt zu den 70ern - nur nicht ganz! Denn während die 70er das sich Hingeben in Gefühle und Triebe predigten, lautet das Happy End von Orlando „Nach vielen Siegen habe ich jetzt den größten errungen. Ich habe meine (hoffnungslose) Liebe besiegt.“ Ein erster Anklang an das aufgeklärten Mottos „Die Vernunft siegt“ im 18. Jahrhundert?
Diese Gebrochenheit des passend Unpassenden prägt die ganze Inszenierung. Das beginnt schon bei der Besetzung. Dass im 20. und 21. Jahrhundert die entsprechenden Gesangsrollen in Ermangelung von Kastraten mit Countertenören oder gleich mit Frauenstimmen besetzt werden, nutzt Mork-Eidem dazu, bis auf den Zauberer Zarathustra und seine Assistentin(!) Isabella alle Rollen weiblich zu besetzen. Das Spiel mit den Geschlechterrollen treibt er dabei konsequent voran. Insbesondere bei der attraktiven Elisabeth Starzinger, die den Medoro singt, verzichtet er völlig auf die Hosenrolle. Er kleidet sie nicht nur verführerisch weiblich, sondern präsentiert sie dem Publikum sogar wiederholt in Unterwäsche. Die für die Kostüme zuständige Maria Gyllenhoff bleibt mit der Wahl der Bekleidung aber so brav, dass hier nichts anzüglich wirkt, sondern tatsächlich die in den 70ern gewollte freie Natürlichkeit gewinnt.
Das Verwirrspiel um die Geschlechter feiert einen Höhepunkt, wenn der schlaksige Isabella und der korpulente Zarathustra plötzlich wie aufreizende Nummerngirls am Bühnenrand posieren.
Orlando und Dorinda |
Mork-Eidem spielt ein gewagtes Spiel. Immer wieder tanzt er hart am Rand zu Klamauk und Zottigkeit. Und er gewinnt mit seinem Spiel nicht das gesamte Publikum. Das Orchester und die Sänger dürfen am Ende ihren verdienten Applaus einfahren. Den Sieg nach Punkten fährt dabei Julia Giebel als Dorinda ein, die als einzige trampelnden Beifall und Bravo-Rufe erntet. Als das Team der Regie auf die Bühne geholt wird, gibt es aber auch einige Buh-Rufe aus den ersten Reihen.
In einer Rock-Postille würde man das wohl als die Reaktion der Szene-Polizei bezeichnen, die jede Abweichung von der reinen Lehre bestraft. Zugestanden: Wer zum Lachen in den Keller geht, der ist in diesem Orlando sicher fehl am Platz. Wer aber etwas Sinn für Klamauk, diesseits der tumben Comedy hat, sollte der Inszenierung einiges abgewinnen können.
Es hat fast etwas Geniales, wie Mork-Eidem die fast textlose Rolle der Isabella aufwertet. Mit Gesten, Blicken und Bewegungen macht Bernd Stempel sie zu einer Stand up Comedy Nummer, die zumindest zum Schmunzeln einlädt. Wenn der schlaksige, glatzköpfige Stempel in Kleid und Schürze gekleidet den Campingplatz aufräumt und mit erster Sorgfalt die Blumenkübel gießt, karikiert das die Spießigkeit des bundesdeutschen Campingplatzes auf herrlich subtile Weise. Dass gerade er es ist, der dann dem Hippie-Zauberer Zarathustra, neben einer Tasse Tee, die Haschisch-Wasserpfeife servieren muss, sorgt für zusätzliche Komik.
Angelica und Medoro |
Das angezapfte 70er Jahre Feeling hat Folgen, die ich als durchaus positiv empfinde. Das gelegentlich übersteigert Künstliche der Oper ist weitgehend überwunden. Wie „richtige“ Opernsängerinnen wirken interessanter Weise vor allem die beiden weiblich besetzten Frauenrollen.
Mariselle Martinez beginnt ihre Rolle als Orlando verhalten, wird im Laufe der Aufführung aber immer souveräner, sucht den Publikumskontakt und wirkt gelegentlich wie die Frontfrau einer Rockband, woran die mittlerweile zerfetzte Guerilla-Uniform und die blutige Schminke auf Gesicht, Dekollete und Armen wohl seinen Anteil hat.
Lockerer Höhepunkt auf der Bühne ist aber fraglos der „Hippe“ Zarathustra. Wolf Matthias Friedrich genießt die Anlage der Rolle sichtlich. Wenn er mit entblößtem Oberkörper beweißt, dass er alles andere als einen Waschbrettbauch hat, erinnert er an den Herodes in der Filmfassung von Jesus Christ Superstar. Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Man könnte sich diese Orlando Inszenierung fast im Doppelpack mit Hair oder eben Jesus Christ Superstar vorstellen. Welche der beiden Inszenierungen dann die Headliner-Funktion übernehmen sollte, dürfte Geschmack-Sache sein.
Für einen gelegentlich Opern genießenden Rock-Fan ist diese Orlando-Inszenierung ein ganz großer Wurf. Und das hat Mork-Eidem mit seiner Datierung des Orlando offenkundig einkalkuliert.
Chapeau!
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