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Artikel

Das rote Pferd braucht Zucker: Nanowar Of Steel und Trick Or Treat im Leipziger Hellraiser

Info

Künstler: Nanowar Of Steel, Trick Or Treat

Zeit: 20.04.2024

Ort: Leipzig, Hellraiser

Internet:
http://www.nanowar.it
http://www.trickortreatband.com

Ein humoristisches Metal-Package zieht da in der zweiten Aprilhälfte durchs nördliche Mitteleuropa. Zwar ist der Support Trick Or Treat nicht explizit auf der lustigen Schiene unterwegs, aber eine gewisse Neigung in diese Richtung kann die Combo schon anhand diverser optischer Elemente nicht verhehlen, etwa die comicartigen Artworks ihrer Alben, die es auch als Shirt-Designs gibt. Und so richtig böse wirken die beiden weißen Gespenster links und rechts auf der Bühne auch nicht, sondern eher wie „Das Schulgespenst“ (wer erinnert sich noch an den DDR-Kinderbuchklassiker?). Dazu kommen Einlagen wie diejenige, zu „Evil Needs Candy Too“ einen riesigen aufblasbaren Lutscher nebst einigen Bällen ins Publikum zu werfen, so dass sich das Auditorium damit vergnügt, diese durch die Luft zu befördern – um anständig Luftgitarre auf ihm zu spielen, ist der Lutscher leider zu groß (er übertrifft selbst die Baßbalalaika von 44 Leningrad um ein gutes Stück). Rätsel gibt dagegen die Mode des Quintetts auf: Vier der Musiker kommen ganz in Schwarz mit auf Shirt und Hosen aufgemalten weißen Skelettknochen daher, der eine der beiden Gitarristen trägt aber eine ganz normale Hose und dazu eines der bunten Shirts.
Neben all den optischen Betrachtungen lohnt sich aber auch das Begutachten der Musik. Dass eine Combo namens Trick Or Treat ein paar Helloween-Parallelen mit sich herumtragen könnte, dürfte eine nicht sonderlich gewagte These sein, und auch die fünf Italiener haben die Hamburger Gang sicherlich nicht nur einmal gehört – sie agierten einst nämlich sogar als Coverband der Kürbisköpfe. Sie kopieren in ihrem eigenen Schaffen die Norddeutschen aber nicht (obwohl man mehr als einmal mutmaßt, einen kleinen Bruder des Eingangsriffs von „I Want Out“ zu hören), sondern fügen einige ungewöhnliche Tempowechsel ein, schalten auch mal in Melodic-Rock-Gefilde herunter, ungewöhnlicherweise etwa im Closer „Crazy“ (an der Position hätte man eher nochmal was Donnernd-Speediges erwartet), und covern an Setposition 4 dann doch, allerdings nicht etwa Helloween, sondern Cyndi Laupers „Girls Just Wanna Have Fun“, angesagt vom Sänger mit gehöriger Selbstironie, dass jetzt der beste Song ihres Sets komme, nämlich derjenige, der nicht von ihnen selbst stamme. Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen brauchen die Italiener freilich nicht – sie sind technisch erstklassige Instrumentalisten und haben einen sehr fähigen Vokalisten am Start, der in einer bestimmten Stimmlage dann allerdings wirklich wie ein Zwillingsbruder des jungen Michael Kiske klingt. Nachteil des Sets ist, dass man sich geraume Zeit sehr anstrengen muß, um das Können angemessen verfolgen zu können, da der Speedopener „Creepy Symphony“ – einer der drei Songs, die das praktisch gleichnamige aktuelle Album für den Set stellt – klanglich im wesentlichen aus Drums, Vocals, Leadgitarren und einem Grundgeräusch besteht, was erst ganz langsam besser wird. Wenn an Position 5 der Bassist ein Solo zugewiesen bekommt, bei dem er vom Drummer begleitet wird, der dann aber über weite Strecken lauter ist als der eigentliche Solist, ist das schade, zumal das, was man hört, eben auf hohe Qualität verweist. Erst die letzten vier Songs bieten ein etwas ausgewogeneres Klangbild, das freilich immer noch ein Stück vom Ideal abweicht. Den Anwesenden im vor dem Mischpult dicht gefüllten, hinter selbigem aber leeren und summiert somit reichlich halbvollen Hellraiser ist das freilich egal – Trick Or Treat bekommen viel Applaus, machen 40 Minuten lang Laune und liefern den letzten Schmunzler mit dem Outro, das vom Band kommt und zu folkigen Klängen in liebenswertem Deutsch die Leipziger auffordert, den Merchstand leerzukaufen. Früher wäre so eine Einlage, wo ja jeweils ein neuer Ort und mehrfach auch eine neue Sprache integriert werden muß, mit immensem Aufwand verbunden gewesen, mit der heutigen Technik gibt es da einst ungeahnte Möglichkeiten.


Mit der Technik haben es bekanntlich auch Nanowar Of Steel, wie gleich im Intro deutlich wird, das aber vergleichsweise oldschoolig daherkommt. Es läuft nämlich eine Callcenter-Hotline, und der Hörer wird aufgefordert, an einer bestimmten Stelle zu jubeln, wenn er an diesem Abend Nanowar Of Steel wählen will – der Ergründungsversuch, welche anderen Bands noch zur Wahl gestanden hätten, bleibt aus. Das Quintett steigt mit „Barbie, MILF Princess Of The Twilight“ und „Call Of Cthulhu“ ein, schiebt dann das italienische Eulenlied „Il cacciatore della notte“ ein und konzentriert sich auch weiterhin zunächst eher auf das Material von Stairway To Valhalla, während vom aktuellen Album Dislike To False Metal in der ersten Hälfte nur „Disco Metal“ kommt. Dem Rezensenten ist diese Wahl freilich ebenso recht wie dem Rest des Publikums, das von Beginn an bester Laune ist und von der Bühne herunter jede Menge Gründe geliefert bekommt, den Stimmungspegel weit oben zu halten. Dabei brauchen Nanowar Of Steel gar nicht so viele zusätzliche Utensilien zur Verbildlichung des komödiantischen Aspekts. Klar, Mr. Baffo kommt wieder im Röckchen und mit leuchtend bunter Perücke daher (was von etlichen Anhängern adaptiert wird – aber wenn Kiss-Fans mit bemalten Gesichtern zu einem Konzert ihrer Lieblinge pilgern, soll Fans von Nanowar Of Steel ein Analogon nur recht sein), und auch Gatto hat sich orangefarbiges Ersatzhaar besorgt – aber ansonsten beschränkt sich der Kleiderschrank anfangs auf die Lovecraft-Monster-Maske von Potowotominimak in „Call Of Cthulhu“ und das Eulenkostüm in „Il cacciatore della notte“. Nanowar Of Steel können es sich mittlerweile leisten, den komödiantischen Aspekt hauptsächlich aus der Musik und den Texten (und den Videos) sprechen zu lassen – erstklassige Instrumentalisten waren die drei Beteiligten schon immer, und auch der in den 20 Jahre zurückliegenden Anfängen noch etwas unbeholfene Gesang hat längst Top-Niveau erreicht: Mr. Baffo mit seiner dominanten hohen und klaren Power-Metal-Stimme würde mit Kußhand von fast jeder anderen Traditionsmetalband verpflichtet, und Potowotominimak agiert extrem vielfältig und zaubert selbst im Zugabenteil in „La Polenta Taragnarock“ noch zarte Falsettpassagen hervor, als sei das die leichteste Übung. Dazu kommt, dass auch die beiden Saitenbediener umfangreich in die Gesangspassagen eingebunden sind: Auch wenn Mohammed Abduls Blind-Guardian-Paradenummer „The Quest For Carrefour“ im Set fehlt, hat der Gitarrist einigen Anteil an den Vocals, und interessanterweise ist er es, der in „Norwegian Reggaeton“ im Hintergrund zweimal die Manowar-Hommage „By sunlight we ride ...“ einwirft. Gatto wiederum übernimmt nicht nur einen guten Teil der Ansagen und hält diese überwiegend in charmantem Deutsch – er ist auch für den Leadgesang in den deutschen Songs zuständig. Davon gibt es diesmal zwei, beide am Ende des Hauptsets stehend und Mr. Baffo an den Baß wechseln lassend, während Gatto das Publikum befragt, wer der größte Pirat aller Zeiten sei – es folgt natürlich das oberkultige „Der Fluch des Käpt’n Iglo“ und als Setcloser noch das erst wenige Tage zuvor als Video veröffentlichte „Das rote Pferd“, das auf physischem Tonträger noch gar nicht erhältlich ist. Letzteres trifft auch auf die Iron-Maiden-Hommage „Afraid To Shoot Into The Eyes Of A Stranger In A Strange Land“ zu, die den einzigen kleinen Nachteil des Sets offenbart: Zwar ist das Klanggewand bei Nanowar Of Steel von Beginn an deutlich besser ausbalanciert als bei Trick Or Treat, denn es ist ja nur eine Gitarre abzumischen – allerdings gibt es deutlich mehr Leadmikrofone, und das eine oder andere läßt es bisweilen an Klarheit und Durchhörbarkeit vermissen, so etwa das von Mr. Baffo in der Maiden-Hommage, wodurch die Huldigung zwar musikalisch deutlich wird, sich aber textlich nur dem erschließt, der die Videofassung kennt und weiß, dass Charlotte the Harlot und der Long Distance Runner die Hauptfiguren dieser Zitatensammlung darstellen.
Dafür ermöglicht dieser Song aber eine hochinteressante musikalische Analyse: Der Sound von Iron Maiden basiert bekanntlich auf zwei Gitarren (oder auf mindestens zwei), aber Nanowar Of Steel haben nur einen Gitarristen, und Mohammed Abdul verzichtet dann im Solo auch auf eine eingesampelte darunterliegende Rhythmusgitarre – und das funktioniert erstaunlich gut. Live enorm schwer umzusetzen ist auch der Effekt der in die vorige Rille zurückspringenden LP kurz vor Ende von „...And Then I Noticed That She Was A Gargoyle“ – und auch dieser Aufgabe entledigen sich die Römer auf hohem Niveau. Das Intro der Maiden-Hommage wiederum liefert das Material für einen Running Gag, indem Gatto das Thema dieses Intro immer dann anspielt, wenn Potowotominimak eine Ansage halten möchte. Die Ansagen teilen sich die vier Frontleute und schaffen es immer rechtzeitig, zum Thema zurückzukommen, auch wenn das Erzählte noch so abstrus anmutet. Klassiker wie „Ironmonger“ und „Uranus“ halten die Stimmung am Kochen, das Gymnastikprogramm von „Armpits Of Immortals“ wird begeistert mitvollzogen, und so fällt es natürlich nicht schwer, die Band noch zu Zugaben zu überreden: „Pasadena 1994“ und „La Polenta Taragnarock“ bilden dabei trotz ihrer individuellen Klasse nur den Aufgalopp zum gigantischen Schlußgong „Valhalleluja“. Die Gastvocals von Thomas Winkler aka Angus McFife (hier in der Rolle des Odin, als dieser verkündigt, sich vom Kriegsgott zum IKEA-Möbeldesigner gewandelt zu haben) kommen nicht vom Band, sondern werden von Mr. Baffo live gesungen (Analoges galt z.B. auch bereits für die Gastpassagen von Joakim Brodén in „Pasadena 1994“ und die spanischen Textteile in „Norwegian Reggaeton“), und hier wandert dann nichts Aufgeblasenes durchs Publikum, sondern ein echter kleiner IKEA-Tisch, in diesem Falle natürlich in kontrollierter Manier herumgetragen und nicht einfach so herumgeworfen. So bleibt der Blick zurück auf 100 Minuten metallische Unterhaltung vom Allerfeinsten – enttäuscht davongezogen sein könnte hier allenfalls derjenige, der auf mehr Prä-Stairway To Valhalla-Material oder aber mehr italienische Songs gehofft hatte, denn so etwas gibt es in der Setlist nur in homöopathischen Dosen. Aber angesichts der Qualität des Gebotenen dürfte kaum jemand ernstlich solche Gedankengänge verfolgt haben. Der Rezensent jedenfalls ist hochzufrieden – und es ist sehr, sehr lange her, dass er nach einem Metalkonzert vom vielen Mitsingen so heiser war wie am Ende dieses Abends.


Setlist Nanowar Of Steel:
Barbie, MILF Princess Of The Twilight
The Call Of Cthulhu
Il cacciatore della notte
Careless Whisper
Ironmonger (The Copier Of The Seven Keys)
Disco Metal
...And Then I Noticed That She Was A Gargoyle
Norwegian Reggaeton
Metal Boomer Battalion
Armpits Of Immortals
Afraid To Shoot Into The Eyes Of A Stranger In A Strange Land
Uranus
Der Fluch des Käpt’n Iglo
Das rote Pferd
--
Pasadena 1994
La Polenta Taragnarock
Valhalleluja

Roland Ludwig


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