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Artikel

Erster „postpandemischer“ Gig im KuBa in Jena mit Chaosbay und Syntension

Info

Künstler: Chaosbay, Syntension

Zeit: 25.09.2021

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://www.chaosbay.com
http://www.syntension.de

Anfang 2020 war der Jenaer Kulturbahnhof umgebaut und die kleine urgemütliche Konzerthalle mit einem neuen Fußboden (Parkett statt Steinplatten) ausgestattet worden – alsbald aber schlug die Pandemie zu: PoiL und The Atavists spielten am 22.2.2020 den vorerst letzten Gig dort (siehe Rezension auf diesen Seiten), dann schoben die behördlichen Vorgaben weiteren Aktivitäten mit Publikum einen Riegel vor, und in den Folgemonaten wurde der Club nur gelegentlich für die Aufzeichnung von Streamingkonzerten genutzt. Die Wintersaison 2020/21 fiel dann komplett ins Wasser, dafür stellte das Team im Sommer 2021 wie bereits anno 2020 einige Open Airs auf die Beine, deren Terminierung für den Rezensenten aber so ungünstig lag, dass er kein einziges davon besuchen konnte. Nun, am letzten Septemberwochenende 2021, ist es endlich wieder soweit: Der Kulturbahnhof darf seine Pforten auch fürs Publikum wieder öffnen, nach 3G-Regel und für Sitzkonzerte, was bedeutet, dass nur 40 Personen Einlaß finden und sich auf die Sessel im Saal zu verteilen haben. Das ist kalkulatorisch natürlich hochgradig schwierig, aber wenigstens ein kleiner Schritt in Richtung Normalität, auch wenn man diverse Leute unter ihren Masken (die nur am Sitzplatz abgelegt werden dürfen) nach anderthalb Jahren kaum wiedererkennt.

Den Gig eröffnen die Lokalhelden Syntension, die der Rezensent am 1.10.2016 schon mal an gleicher Stelle live erlebt hat (siehe Rezension auf www.crossover-netzwerk.de). Zwischenzeitlich haben sie ihre zweite Scheibe Distance For Reflections draußen und seit fast drei Jahren eigentlich keinen Drummer mehr, da der etatmäßige Schemelbesetzer aus beruflichen Gründen das Handtuch geworfen hat. Allerdings gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger äußerst schwierig, und so springt der Altgediente, wenn Gigs anstehen, nach wie vor ein, ist also nicht komplett raus aus der Materie, was bei dem doch recht komplexen angedüsterten Progmetal der Combo auch eine gewisse Herausforderung wäre, sich das kurzfristig nach Jahren alles wieder draufschaffen zu wollen. Die Komplexität der Aufgabe schreckt dann auch wohl so manchen Kandidaten eher ab, denn da ist am Schlagzeug schlicht und einfach sehr viel zu tun, wenngleich auf durchaus unterschiedlichen Niveaustufen von „Spiel mal ein paar Fills über einem Vierertakt“ bis zu „Hier müssen wir innerhalb zweier Sekunden von 5/4 in 7/32 und dann in 9/16 wechseln“. Das Schöne ist, dass das Quintett seine Kompositionen trotzdem nachvollziehbar hält, Spannungsbögen auch über größere Distanzen zu spannen in der Lage ist und gegebenenfalls auch mal in schlichten, geradlinigen und wirkungsvollen Metal verfällt, wenn es nützlich erscheint, was in „Ten Fifty-Five“ bis zu Mitklatschpassagen reicht (Mitklatschen! Im Progmetal!). Im Vergleich zu 2016 invertieren Syntension ihren Set in gewisser Weise: „In Front Of My Eyes“, anno 2016 die Zugabe, bildet diesmal den Opener nach dem Intro „Neutron“, während der 2016er Opener „Invading Desire“ ans Setende rückt (die mögliche Zugabe „What Happened Yesterday“ fällt dem knappen Zeitmanagement zum Opfer). Neben Uraltmaterial wie „Inner Enemy“, das aus Zeiten stammt, als die Formation noch Junksound hieß, und das vom „Roots Bloody Roots“-Gedächtnis-Intro bis zum wilden Unisonogefrickel (und zum Synchronschwenken der Saiteninstrumente in bester Judas-Priest-Manier) ein enorm breites Spektrum auffährt, erklingt naturgemäß auch mancherlei Stoff vom Zweitling, und da diverse Songs urlang ausfallen, bringt die Truppe letztlich nur sieben Nummern plus Intro in der Spielzeit unter. Eventuelle Zweifler haben Syntension spätestens mit der traumhaften ersten Hälfte des Hauptsolos von „In Front Of My Eyes“ überzeugt und spielen sich gekonnt durch ihr vielschichtiges Material, wobei auch in den eher seltenen knüppeligen Parts, etwa in „Between Silence And Innocence“, der Sound so klar bleibt, dass man die zahlreichen Feinheiten problemlos wahrnehmen kann. Kurioserweise stehen gleich zwei Songs mit Baßintro im Set und dort gar nicht so weit auseinander („Pathfinder“ und „Ten Fifty-Five“), und der Basser darf dann in „Invading Desire“ auch noch ein hervorragendes atmosphärisches Solo abliefern, das dafür entschädigt, dass das eine oder andere vorgelagerte Gitarrensolo ein wenig zu schräg ausgefallen war. Zu den hochklassigen Instrumentalisten kommt ein mindestens ebenso hochklassiger Sänger – was der harmlos aussehende Bursche zwischen (seltenem) Gebrüll und (dominierendem) Cleangesang, letzterer bisweilen durch die beiden Gitarristen ergänzt, aus seiner Kehle holt, setzt dem Material die Krone auf. Humor hat er auch noch, wie etwa die staubtrockene Ansage zu „Quit“ beweist, als die Instrumentalisten länger als geplant nicht spielbereit sind: „Der nächste Song war eigentlich fürs Ende gedacht. (Pause) Und er ist so kurz, wie er sich anfühlt. (Pause) Und er ist Kult. (Pause) Und er ist in D.“ Passenderweise trägt er ein Shirt von Gloryhammer. Die haben übrigens momentan keinen Sänger ... Die Anwesenden zeigen sich vom Gesamtbild jedenfalls begeistert, einige üben sich in der Disziplin „Bangen im Sitzen“, und wie erwähnt muß nur die Krönung in Form der Zugabe dem Zeitmanagement geopfert werden.

Setlist Syntension:
Neutron
In Front Of My Eyes
Between Silence And Innocence
Pathfinder
Quit
Ten Fifty-Five
Inner Enemy
Invading Desire

Chaosbay haben auch zwei Alben draußen, das aktuelle namens Asylum ist von 2020 und sollte mit diversen „Minitouren“ vorgestellt werden, was pandemiebedingt aber auch kaum bis gar nicht ging. So kommt es zu der paradoxen Lage, dass das hier zwar eines der Releasekonzerte für Asylum ist, aber mit „Lonely People“ ein noch viel neuerer Song im Set steht, der gerade erst zwei Wochen zuvor das Licht der Videokanäle erblickt hat. Gerahmt wird er zunächst von Material des Debütalbums Vasilisa und den diversen EPs, bevor die neun Songs von Asylum in ihrer Gesamtheit und auch in der originalen Albumreihenfolge gespielt werden – das ergibt auch Sinn, handelt es sich doch um ein Konzeptalbum über die Thematik Flucht und Vertreibung, und die Songs gehen im Prinzip ineinander über, wobei angesichts der Tatsache, dass es das Werk auch als LP gibt, Spaßvögel im Publikum zu diskutieren beginnen, ob man sich dann nach der Hälfte rumdrehen muß oder ob die zweite Hälfte vielleicht rückwärts gespielt würde. Rückwärts nicht, aber dafür doppelt so schnell, frotzelt der humorvolle, auch Gitarre spielende Sänger: In „Amen“ zerschlägt der Drummer nämlich das Fell seiner Bassdrum, so dass der Song nach zwei Dritteln abgebrochen werden muß und es dann zu dem Versprechen kommt, die zweite Albumhälfte doppelt so schnell zu spielen, um die durch die Reparatur verlorene Zeit wieder aufzuholen – und das sei auch kein Problem, denn bei den Proben spiele man immer so. Letztlich passiert aber etwas ganz anderes: Das Publikum darf sich Songs wünschen und bekommt zunächst eine Metalversion von „Alle meine Entchen“ geboten, wonach der Wunsch nach Material von den Toy Dolls an Nichtkenntnis seitens der Band scheitert: „Ihr müßt Euch 90er Popsongs und sowas wünschen!“ Prompt wünscht sich ein Spaßvogel Scooter, aber letztlich fällt die Wahl doch auf Limp Bizkits „Teenage Dirtbag“. Bevor das indes zur Ausführung kommt, gibt es eine noch bessere Idee: Die drei Saitenspieler arrangieren den Schlußpart von „Amen“ kurzerhand in eine halbakustische Fassung um – aus dem Stegreif und traumhaft schön. Sowas bringen nur wahre Könner zustande – man ahnt anhand des bisher Gehörten natürlich, dass auch die vier Berliner definitiv zu den Fähigen ihrer Zunft zählen, aber der letzte Beweis dafür ist eben jener Überbrückungsmoment, bevor es mit „Mediterranean“ und dem reparierten Drumset wieder wie im Plan weitergeht. Chaosbay bringen irgendwie das Kunststück fertig, wilden Progmetal und klassischen Melodic Rock so zu koppeln, dass ein großes Ganzes entsteht, und in nicht wenigen Momenten erinnern sie in bestem Sinne an eine etwas härtere Version von Rush, während sie in „Criminals & Sons“ aus klassischen Gitarrenheldenmetalpassagen in ebenso klassischen Metalcore verfallen, den sie mit einem abermals klassischen Exzelsior von Halbakustik bis zu Bombast abschließen und das hier etwas organischer hinbekommen als im „Karottensong“ „Of Cutting Cords“, dessen harter Schlußpart ein wenig unmotiviert endet und das Gefühl hinterläßt, die Idee sei noch nicht hinreichend beleuchtet, was allerdings im Set einen Einzelfall darstellt – das Gros des Songwritings mutet schlüssig an und ist trotz aller Breaks und Tempowechsel durchaus nachvollzieh- und mitbangbar, was abermals auch diverse Mitklatschpassagen nicht ausschließt, sogar noch deutlich mehr als bei Syntension, wozu auch so mancher förmlich unverschämt eingängige Refrain tritt, wofür „Lonely People“ als Exempel dienen kann. Dass man das alles gut nachvollziehen kann, dafür sorgt auch hier ein gut ausbalanciertes Soundgewand mit nur geringfügigem Abdriften in etwas zuviel Höhenschrillheit in der Setmitte, was sich aber bald wieder bessert. Auch Chaosbay haben übrigens einen Song im Repertoire, dessen Intro ein ganz klein wenig an „Roots Bloody Roots“ erinnert, allerdings noch latenter als Syntensions „Inner Enemy“, und „Limbus Inn“ entwickelt sich schnell in ganz andere Richtungen, wobei das Quartett hier sogar vor leicht angefunkten Rhythmen nicht zurückschreckt. Zu einem Haupttrumpf entwickelt sich zudem auch hier der Sänger mit einer ähnlichen Stimmspektrumsbreite wie der Syntension-Kollege, wobei auch hier das wilde Gebrüll sehr dosiert eingesetzt wird und der Cleangesang dominiert. Gleitet die Melodielinie in die Höhe, erinnert die Stimmfärbung übrigens ein wenig an a-has Morten Harket (schön zu hören im atmosphärischen „Soldiers“), was einige Passagen dann auch prompt in die Nähe von Leprous rückt, allerdings mit einer völlig anderen Instrumentierung. Das Publikum zeigt sich von all dem hochgradig angetan, zumal der Sänger auch in der durchgehenden Darbietung des Asylum-Materials immer schön ansagt, wann der nächste Song beginnt (und man folglich Applaus spenden darf), und gegen Setende interpretiert ein guter Teil der Anwesenden den Terminus „Sitzkonzert“ dahingehend anders, dass man auf den Sessellehnen Platz nimmt, wobei die Möbelstücke zum Glück schwer und statisch günstig genug sind, um auch bei wilderem „Sitzmoshen“ nicht umzukippen. Da stört auch nicht, dass der letzte Albumsong „Heavenly Island“ irgendwie etwas unmotiviert und unspannend endet – die Schlußwirkung war bei „Criminals & Sons“ stärker ausgeprägt. Eine Zugabe erklatscht sich das begeisterte Publikum natürlich trotzdem und bekommt, nein, nicht „Teenage Dirtbag“, sondern mit „Secret King“ noch eine weitere Nummer vom Debütalbum geboten, wonach endgültig Schicht im Schacht ist. Zwei hochgradig interessante Bands für den metallischen Gourmet! Ach ja, und dass beim Schreiben dieser Rezension Damnation von Opeth im CD-Player lag, war purer Zufall. Wirklich.

Setlist Chaosbay:
Vasilisa – Prologue
Medley: Three Brothers/Arrow One
Lonely People
Of Cutting Cords
Enjoy The Rise
Amen
Mediterranean
D.O.A
Limbus Inn
Soldiers
Criminals & Sons
The Lyin’ King
Heavenly Island (Epilogue)
--
Secret King

Roland Ludwig


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