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Das Ende des Jahres 1990 bot mir die Möglichkeit hautnah zu erleben, wie man selber über den Eindruck bestimmen kann, den ein Konzert hinterlässt.
15. November 1990 – Iron Maiden mit Anthrax als opening act in der Deutschlandhalle. Ich war zwar nicht im Innenraum, hatte mir auf der Tribüne aber einen Platz ganz vorne und in der Nähe der Bühne erkämpft. So war ich mitten im Geschehen. Ich und die in Leder und Jeans gekleideten Fans um mich herum waren mit in die Farben der Lightshow getaucht. Wir waren Teil der Inszenierung. Klasse! Selbst schon bei Anthrax, zu denen ich eigentlich keine sonderliche Beziehung hatte. Aber so rissen mich auch die Crossover Metaller satt mit.
Die Karte muss ich wohl bei einer Radio 4u-Aktion gewonnen haben, so der Name des damaligen Jugendsenders des SFB, letztlich der Vorläufer von Radio Fritz. Anders kann ich mir die Existenz dieser „Unverkäuflichen Teilnehmerkarte“ nicht erklären. Meine „Karriere“ als Musikjournalist war damals noch absolute Zukunftsmusik.
Knapp drei Wochen später – gleicher Ort – völlig andere Situation. Dieses Mal war die Karte gekauft – in einer Vorverkaufsstelle in Zehlendorf-Mitte, wie mir der Stempel auf der Rückseite der Karte verrät. Kein Wunder: 1990 war ich ja noch Student an der KiHo, die nur ein paar Hundert Meter südlich am Teltower Damm lag. Vor allem aber ging ich nicht alleine in die Deutschlandhalle, sondern mit einem Freund, der sich die Qualen des sich nach vorne Drängens ersparen wollte.
In der Folge saßen wir eher in der Gegenkurve auf der Tribüne. Das Erleben des Konzertes war dadurch ein völlig anderes. Fühlte ich mich bei Iron Maiden als Teil des Geschehens, war ich bei den Scorpions Beobachter – Beobachter nicht nur der Band, sondern auch der Fans, die sich in den „Nahkampf“ gestürzt. Das Konzerterlebnis war distanzierter, aber auch nicht ohne Reiz. Im November war ich Teil der Lightshow. Im Dezember konnte ich sie erleben. Manche Dinge wirken erst aus der Distanz.
Auch das Publikum war ein anderes. Die Leder/Jeans-Optik von Maiden gab es bei den Scorpions auch, aber der Siegeszug von „Wind of Change“ hatte dazu geführt, dass ein relevanter Teil des Publikums absolut unmetallisch aussah. Gerade in unserer Umgebung wirkten einige sorgfältig frisierte und geschminkte Damen von den härteren Scorpions-Songs reichlich überfordert.
Aufmerksame Beobachter werden sich möglicherweise fragen, was diese Berichte aus dem Jahre 1990 2018 in einer 25 Years after-Kolumne zu suchen haben. Gut beobachtet! Zweieinhalb Jahre später war ich, mittlerweile kein Student mehr, verheiratet mit Frau, Halbsohn und Schwiegermutter zum Urlaub in Meran. Und natürlich habe ich meine Tradition aus jedem Urlaubsort eine CD mitzubringen beibehalten.
Im Salon de Musique habe ich dann am 8. April 1993 das Scorpions-Bootleg namens Captured alive verhaftet. Die ganz große Überraschung ereilte mich aber erst, als ich die Liner Notes des zweisprachigen Booklets (Englisch und Italienisch) studierte. „This show took place in Berlin around the end of 1990.“ hieß es dort. Und damit war klar, das Bootleg, das ich südlich der Alpen erworben hatte, war ein Mitschnitt eben jenes Konzertes, das ich zweieinhalb Jahre zuvor selber miterlebt hatte. Meine begeisterten Schreie sind wohl – obwohl nicht identifizierbar - die ersten öffentlich fest gehaltenen Aufzeichnungen von mir.
Aber Zweifel sind angebracht. Dass die Ansagen in Englisch sind, mag man auf das Image einer Rock-Band und die Erwartung eines internationalen Publikums zurückführen. Aber wenn ich in der Ansage zu „Bad Boys running wild“ höre, dass das Konzert für einen US-Sender aufgenommen wird, stellt sich für mich hinter den Konzert-Ort Berlin zumindest ein Fragezeichen. Dann müsste es wohl jemand anders gewesen sein, als Euer Rezensent, der die Scorpions lautstark abgefeiert hat.
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