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Zeit: 23.09.2004
Ort: Münster
Interview: Face 2 Face
Stil: Musiktheater
Das KlangZeitfestival 2004 „HörenSagen“ in Münster wirft seine Schatten voraus. Nach dem Vorbericht in der vergangenen Ausgabe von MAS haben wir diesmal ein Interview mit dem 2. Vorsitzenden der Münsteraner Gesellschaft für Neue Musik, Erhard Hirt im Angebot. Erhard Hirt ist zugleich Veranstalter von Musikprogrammen im Kulturzentrum CubaKultur.
MAS:
Zunächst einmal ein Lob für die wirklich informative Website zum KlangZeitfestival 2004 in Münster. Nachdem ich mich durchgeklickt hatte, fühlte ich mich so gut über die Projekte informiert, dass mir die Fragen erst einmal ausgegangen sind.
EH:
Danke, ich werd’s dem Layouter weitersagen.
MAS:
Was hat es mit der Gesellschaft für Neue Musik auf sich?
EH:
Die GNM wurde 2000 gegründet, um der Neuen Musik hier wieder eine Lobby zu verschaffen. Aus dieser Initiative ist zum einen ein Festival in zweijährigem Rhythmus entstanden und zum anderen ein Programm in kleinerem Rahmen, das über das Jahr gestreut ist. Die Veranstaltungen finden an den unterschiedlichsten Orten statt.
Die Themen werden nicht nur aus Perspektive der Musiker entwickelt, sondern auch mit Blick auf das Publikum, das wir erreichen wollen. Das erste Programm hatte daher den Titel „Mystik und Maschine“, da wurden dann osteuropäische Musik, Computermusik und Klanginstallationen einander gegenübergestellt. Das nächste Festival 2002 hatte als Kristallisationspunkt Perkussion und Rhythmus.
MAS:
Und wie sind sie auf das diesjährige Thema gekommen?
EH:
Das war ein starkes Bedürfnis von Komponisten hier aus der Region. Mit 23 Produktionen ist es auch wesentlich umfangreicher als die Vorgängerproduktionen geworden. Es ist auch deshalb ein größerer Brocken, weil die einzelnen Produktionen für sich genommen auch schon mal einen ganzen Abend benötigen.
MAS:
Nach welchen Kriterien wurden die Künstler und Produktionen ausgewählt?
EH:
Die Ausrichtung war schon immer eine internationale. Wir wollen also Kunst nach Münster holen, die man eher in Berlin oder Amsterdam vermutet, wollen aber auch eine Brücke zur regionalen Szene schlagen. Z. B. Stephan Froleyks, der Professor für Schlagzeug an der hiesigen Musikhochschule ist. Er hat einen wesentlichen Beitrag zur Findung des diesjährigen Themas beigetragen. Mit Christoph Taggerts haben wir auch einen ganz jungen Komponisten im Programm. Dazu internationale Highlights wie Robert Ashley aus New York oder Helmut Oehring, der inzwischen in Deutschland zu den bekannteren Künstlern zählt. Dann natürlich die Klassiker: Hans Werner Henze oder Maurizio Kagel, der mit seinem Filmbeitrag zu Beethoven vertreten ist.
Thematisch gibt es einen roten Faden, stilistisch ist das Feld aber weit gefächert, es geht also von den klassischen Komponisten, die im stillen Kämmerlein mit Stift und Notenpapier arbeiten bis hin zur Computermusik - Neue Musik, die an den Akademien noch nicht gelehrt wird. Verschiedene Musik-Szenen bringen zudem ihre eigenen Produktionsbedingungen mit. Ein klassischer Fall dafür ist die Kammeroper von Daniel Ott, der sich für die Aufführung einen ungewöhnlichen Ort, eine Halle am Hafen ausgesucht hat. Dann gibt es auch Produktionen, wo die Musik ein wenig gegenüber dem Aspekt des Hörstücks zurückgenommen ist.
Wir bieten nicht nur diese Dualität von Handlung und Musik, sondern wir bieten auch erzählende Musik: Wir erzählen mit Atmosphären, mit Tonbandeinspielungen, mit Musique concrete. Ich denke, dass sich in der Musiktheaterszene sehr viel verändert. Es gibt inzwischen sehr viele winzig kleine Theater - ich kennen einen Künstler aus Köln, der benötigt für sein Minimal-Konzept nur einen Tisch für die Performance, für die Handlung, für alles, was mit dem Stück passiert; in einem anderen Fall wurde das Internet mit einbezogen, da ist man dann in der „Oper“ an verschiedenen, miteinander vernetzten Orten.
MAS:
Dann muss ich noch mal nachhaken: Haben Sie daran gedacht, auch Karlheinz Stockhausen zur musikalischen „Offenbarung“ einzuladen?
EH:
Der Name ist im Vorfeld gefallen. Aber der Mann macht ja so große, fulminante Aufführungen, die kann man auch in Köln erleben. Wir hatten ihn aber letztes Jahr im Programm. Dieses Mal haben wir mehr auf Kagel und Henze, also zwei andere Klassiker der Neuen Musik, konzentriert.
MAS:
Hört sich ganz so an, als wenn Münster zu einer Heimat der Neuen Musik wird …
EH:
Wir sind da im Aufbau. Die bildende Kunst ist seit der Skulpturenausstellung 1977 sicherlich etablierter, 1997 war das ja fast schon Volksfest. Das Jazzfestival hier hat ist ja auch sehr gut positioniert. In diese Richtung wollen wir. Deshalb werden wir das Label KlangZeit beibehalten und entwickeln.
MAS:
Das neue Projekt ist um ein Vielfaches größer als die vorangegangen Festivals, die ja bereits auf große Resonanz gestoßen sind. Hat die Ausweitung des Festivals auch etwas mit der ursprünglich geplanten Bewerbung Münsters zur Kulturhauptstadt zu tun?
EH:
Wir sind im Vorfeld etwas dadurch beflügelt worden. Markus Müller, der auch der Manager der Kulturhauptstadtbewerbung war, hat das Projekt sehr stark mitunterstützt. Ich weiß nicht, in wie weit das auch für die Bundeskulturstiftung eine Rolle gespielt hat, die über die Hälfte der Fördersumme für das Festival aufgebracht hat. Eine weitere wichtige Förderung kommt von der Kulturstiftung NRW, die bereits sehr früh bei einigen Programmpunkten gesagt hat: Das unterstützen wir. Auch die Stadt Münster ist dabei, wenngleich nur mit dem Level, das auch im Haushalt drin ist.
Wolfgang Quetes, der neue Intendant des Stadttheaters ist sehr offen gewesen für uns und es war schnell klar, dass wir mit den größeren Projekten zu ihm gehen. Auch die Unterstützung durch die Überwasserkirchengemeinde ist immer sehr groß gewesen. Der Pfarrer da hat also keine Probleme damit, wenn da zum Gottesdienst noch Dekorationselemente rumstehen …
MAS:
Gibt es auch interaktive Musik, bei der das Publikum in den musikalischen Prozess oder die Performance miteinbezogen wird?
EH:
Interaktive Musik gibt es so nicht, aber z. B. beim „Kontakt der Jünglinge“ entsteht die Musik an diesem Abend in der gemeinsamen Improvisation der beiden Künstler
MAS:
Wie sieht es mit CD-Produktionen aus? Gibt es da schon was, kann man sich vielleicht vorher einhören?
EH:
Helmut Oehring z. B. ist präsent auf dem deutschen Plattenmarkt. Die Produktionen von Robert Ashley sind auch zum größten Teil erschienen. Dass, was wir beim Festival hören, sind zum großen Teil auch Uraufführungen, also ganz neue Sachen. Der Deutschlandfunk hat sich entschlossen, das Konzert von Stephan Froleyks mitzuschneiden. Wir selbst dokumentieren auch durch Aufnahmen, ich kann aber noch nicht sagen, ob daraus eine Produktion wird, die man dann kaufen kann.
MAS:
Vielleicht noch einige Stichworte zu einigen Künstlern. Was erwartet den Besucher bei der spanischen Sängerin Fátima Miranda?
EH:
Eine fantastische Sängerin mit Gesangstechniken „rund um die Welt“! Es ist aber auch eine Multimedia-Performance mit Video- und Lichtprojektionen. Egal was man zu hören meint: Man hört immer sie und ihre Stimme, auch bei den zugespielten Playbacks. Im Hintergrund sind drei Leute tätig, damit das läuft - ein einstündiges Programm, das sicherlich sehr interessant und vielschichtig werden wird. Bei der Gelegenheit möchte ich auch noch auf Jaap Blonk hinweisen, auch ein sehr versierter „Stimmenmensch“, der von der Lautpoesie kommt und den wir sozusagen als Gegenüber zu Miranda und zweiten Pfeiler im Bereich „Stimme“ platziert haben.
Der Australier Chris Man, eigentlich auch ein Sprachpoet, fällt hier etwas heraus, er seziert die Sprache. Aus acht Lautsprechern kommen bei seinem Tonbandstück „The Plato Songs“ genau selektiert Lautfragmente. Hier wird dann eine Raummusik entstehen.
MAS:
Die Kammeroper von Robert Ashley, „Celestial Excursions“ präsentiert die “Nicht-Sprache” von Obdachlosen und sozial Ausgegrenzten in einem sehr ästhetischen, fast schon kontemplativen Klang-Setting …
EH:
Ja, das Interessante bei Robert Ashley ist, dass er die Melodie aus den Rhythmen der Sprache erarbeitet und zwar immer mit denselben Sänger und Sängerinnen. Sie wirken deshalb so authentisch, weil sie ihren eigenen Sprachgestus mit dem, was er von ihnen will, zusammenbringen können. Es ist also nicht so, dass sie vor einer fertigen Partitur sitzen, sondern die Musik entsteht mit den Ausführenden zusammen. Dadurch bekommt das Ganze eine besondere Dichte. Ashley ist mehr ein Beobachter, ein Milieu-Maler; so gesehen ist das kein sozialkritisches Stück, sondern er hört diesen Leuten am Rande der Gesellschaft zu.
MAS:
Das Programm reicht von der Kirchenmusik - ich denke da an das Oratorium „The Gates of Jerusalem“ von Bronius Kutavicius - über „klassische“ Formen des Musiktheaters bis hin zur Musique concrete, Crossover und Ambient Sound. Wer möchte, kann zwischendurch auch gleich noch die Selbst-Parodie des Ganzen mitnehmen, z. B. Ars vitalis oder Partita Radikale. Klingt so, als wenn die Neue Musik die fast schon fanatische Strenge der 50er und 60er Jahre hinter sich gelassen hätte?
EH:
Genau, da wollen wir raus!
MAS:
Die Eintrittspreise sind ja moderat, in den ermäßigten Kategorien kommt man unter Umständen im Gegenwert einer Kinokarte in die Veranstaltungen rein.
EH:
Ja, man muss sehen, dass auch bekannte Namen nicht überall bekannt sind. Wer kennt in Münster Robert Ashley? Dann gibt es ja noch den Festivalpass für 90 bzw. 60€, was vielleicht erstmal teuer klingt, aber aufs ganze Programm gesehen, günstig ist.
MAS:
Gibt es schon Pläne für das nächste Festival?
EH:
Nein, wir werden im November eine Nachbesprechung machen und dann weitersehen. So ein Projekt benötigt eineinhalb Jahre intensive Vorbereitung.
Das Gespräch führte Georg Henkel.
Georg Henkel
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