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Un Concert pour Mazarin
Info
Musikrichtung:
Barocke Ensemblemusik
VÖ: 20.02.2004 Virgin Classics / EMI (CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 7243 5 45656 2 5) Gesamtspielzeit: 60:48 Internet: Virgin Classics |
HEIMATKLÄNGE: MUSIK FÜR KARDINAL MARZARIN
GEHEIMNISVOLL UND ANDROGYN: DER COUNTERTENOR
Vor über 50 Jahren musste Alfred Deller noch den Umweg über das tenorale Fach nehmen, um sich dann autodidaktisch dem vergessenen Klangideal des Countertenors, des männlichen Altisten, zu nähern. Der hatte lediglich im Kollektiv, nämlich in den englischen Kathedralchören, überlebt. Mit der Wiederentdeckung des (vor)barocken Repertoires und der Expansion der historischen Aufführungspraxis wurde der hohen Männerstimme der Weg zurück auf Bühne und Konzertpodium geebnet.
Ein Sänger wie der 25jährige Philippe Jaroussky konnte sich daher gleich seinem Talent widmen und wird, anders als Deller, wohl kaum noch mit Irritationen seitens des Publikums rechnen müssen. In einer Zeit, in der die Geschlechtergrenzen fließend geworden sind, findet man wieder Geschmack an einem Sängertypus, der Männliches und Weibliches in seiner Stimme in schillernder Mehrdeutigkeit vereint. Hervorragende Sänger in der Nachfolge Dellers wie René Jacobs, Jochen Kowalski, Axel Köhler, Arno Raunig, Michael Chance, Gerard Lesne, David Cordier, Andreas Scholl, David Daniels oder auch Max Emanuel Cencic haben in den letzten 30 Jahren das Feld eindrucksvoll bestellt. Tatsächlich ist aus dem einst so exotischen Stimmfach schon fast wieder eine Mode geworden (bei der leider nicht mehr alles stimmliches Gold ist, was sich so hören läßt).
Was in der sogenannten U-Musik üblich war und ist, gehörte freilich auch in der sogenannten E-Musik bis ins 19. Jahrhundert zum vokalen Instrumentarium: Die Kopf- oder Falsettstimme war für Sänger ein übliches Mittel, um bestimmte Töne jenseits des hohen A's zu erreichen (z. B. das berühmte hohe C der Tenöre), sei es als gezielt eingesetzte geheimnisvoll-überirdische oder auch als erotisch-androgyne Klangfarbe. Bis sich eine neue Vorstellung von Männlichkeit und "Natürlichkeit" durchsetzte, in der für derlei Mehrdeutigkeit und "Effiminiertes" kein Platz mehr war.
GEHEIMNISVOLL UND ÜBERIRDISCH: JAROUSSKY
Nach einem vielbeachteten Recital mit Werken des frühbarocken Komponisten Benedetto Ferrai (Ambroisie / Note 1) legt Jaroussky hier seine erste Produktion bei Virgin Classics vor. Zusammen mit dem Ensemble La Fenice und dessen Leiter Jean Tubery hat der Sänger eine fiktives Konzert für Kardinal Mazarin zusammengestellt. Der Zögling und Nachfolger des berühmt-berüchtigten Kardinal Richelieu mochte auch in Frankreich auf die Musik seiner italienischen Heimat nicht verzichten. Die hier ausgewählten Werke aus diversen französischen Sammlungen zeigen überdies, dass man sich im Mutterland des bon gout auch jenseits der kardinalen Vorlieben eingehend mit den sonst vielgeschmähten musikalischen "Exzessen" der Italiener befasst hat.
Die modernen Musiker lassen diese Tradition durch eine vorzügliche Interpretation wieder lebendig werden. Dass man darauf verzichtet hat, ein reines Vokalprogramm aufzunehmen, ist gleich in doppelter Hinsicht ein Gewinn für den Hörer: zum einen, was die größere Breite des Repertoires angeht, zum anderen, was die unterhaltsame Abwechslung betrifft. Programme, die auf einen einzelnen Solisten zugeschnitten sind, kranken, selbst wenn hervorragende Künstler am Werk sind, häufig an einem gewissen Ermüdungsfaktor. Hier aber steht gerade nicht der (zukünftige) Sängerstar, sondern die Musik im Mittelpunkt.
Die hält einiges an Entdeckungen bereit, z. B. Maurizio Cazzattis virtuoses Capriccio e ciaconna, das nicht zuletzt wegen der abwechslungsreichen, farbigen Besetzung begeistert, bei der die Zinkisten Jean Tubery und Gebhard David noch einmal besonders herausragen. Nicht weniger bestechend geraten Luigi Rossis Passacaglia für Cembalo oder eine reich gearbeitete dreistimmige Sonate von Francesco Turini. Seltsam mutet allerdings in diesem historisch informierten Ambiente der Gebrauch des Playbacks bei Claudio Monteverdis Motette Sancta Maria an, wo Jaroussky die beiden Sopranstimmen singt (die zweite allerdings in virtueller chorischer Besetzung).
Abgesehen davon: Instrumentalisten und Sänger verschmelzen aufgrund der gut abgestimmten Klangfarben perfekt miteinander, am eindrucksvollsten vielleicht in Francesco Foggias getragener Motette O quam clemens, wo sich der charakteristische sanft-herbe Ton von Tuberys Stillem Zink im Timbre von Jarousskys Stimme zu spiegeln scheint - und umgekehrt. Jaroussky führt seine fein ziselierte Stimme sehr geschmeidig und sicher in den Verzierungen, wobei das silbrige Timbre - verglichen mit dem samtigen Ton und dem ausgewachsenen Vibrato mancher Kollegen - manchmal zu einer gläsernen Sprödigkeit tendiert, die aber nicht unangenehm heraussticht, sondern der Stimme ihre charakteristische Färbung verleiht. Für diese filigrane Musik und ihre delikate Rhetorik ist sie wie geschaffen. Immer da, wo Jaroussky Zeit hat, den Klang seiner Stimme zu entwickeln (und hier vor allem noch einmal beim messa di voce), ist die Wirkung geradezu betörend. In schnellen Passagen, wie in den erregten Abschnitten der Kantate In caligine umbrosa von Giovanni Battista Bassana, wirkt der Ton dagegen auch mal forciert. Man spürt, dass diese Musik ursprünglich einem ganz anderen Sängertyp in Kehle komponiert wurde, dessen Revival allerdings eher unwahrscheinlich ist: dem Kastraten.
Vom Klang-Charakter tendiert Jaroussky insgesamt mehr zum überirdisch-geheimnisvollen, als zum erotisch-androgynen Typus. Für die kleiner besetzten geistlichen Musik von Spätrenaissance und Frühbarock, die für die vorliegende Aufnahme ausgewählt wurde, scheint mir seine Stimme denn auch perfekt. In einer Händeloper kann ich ihn mir dagegen nicht so gut vorstellen, trotz der beeindruckenden Virtuosität und des Stimm-Umfangs, der durchaus an den eines Mezzosoprans heranreicht.
Georg Henkel
Trackliste
02 Frescobaldi: Capriccio 02:15
03 Anonym: Bienheureuse est un âme / Foggia: O quam clemens 05:42
04 Anonym: Madre, no mi far monaca / Turini: Sonata a tre sopra la Monica 05:29
05 Roberday: Fuge über ein italienische Thema 02:16
06 Monteverdi: Sanca Maria 03:23
07 Viadana: Canzon für Zink und Violine 03:21
08 Cima: Surge, propera amica mea 03:39
09 Fontei: Laudate pueri 05:42
10 Cazzati: Capriccio e ciaccona 07:39
11 Rossi Passacaglia für Cembalo und:
12-14 Bassani: In caligine umbrosa 14:52
Besetzung
Ensemble La Fenice
Ltg. Jean Tubery
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
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