Reviews
Orlando Paladino
Info |
KRACHLEDERNDE OPERNPARODIE
Spätestens seit Nikolaus Harnoncourt Joseph Haydns klassische Opera Seria Orlando Paladino 2004 für CD eingespielt hat, dürfte unbestritten sein, dass vom Komponisten in Esterhazy nicht nur fabelhafte Instrumentalwerke, sondern auch prickelnde Opern serviert wurden. Wenn Haydn auch in der musikdramatischen Durchformung nicht Mozarts Niveau erreichte (was er neidlos anerkannte), so ist die Musik trotzdem erste Güte, hat Fantasie, Geist und Witz. Durch die Händel-Vivaldi-Renaissance der letzten Jahre ist der moderne Hörer zudem vorbereitet auf den rituellen Ablauf einer klassischen Seria mit ihrem vorherrschenden Wechsel von Rezitativ und Arie. Das Schema war zu Haydns Zeit unter dem Einfluss der Opera Buffa allerdings schon erodiert; Duette, Terzette und Ensembles bereichern das Geschehen.
Beim Orlando liegen die Dinge freilich noch etwas komplizierter. Haydn beherrscht das musikalische Vokabular so perfekt, dass er im Gewand einer ernsten Heroenoper zugleich die Parodie der ganzen Gattung mitliefern kann, ohne die Figuren und ihre Gefühle - und um die geht es ja vor allem in den Arien - einfach mit billigen Gags vorzuführen.
Worum geht’s? Orlando, der Ritter am Rande des Nervenzusammenbruchs, zieht, sekundiert von seinem bauchfixierten Diener, zum Kampf nicht nur gegen rauflustige Muselmanen, sondern vor allem gegen seinen sarazenischen Nebenbuhler Medoro, der ihm die schöne Angelica ausgespannt hat. Angelica versichert sich der Hilfe der sinistren Zauberin Alcina, um Orlando im Schach zu halten, während sie sich mit ihrem Geliebten in lamentösen Abschiedsszenen ergeht.
Die Musik nimmt die Personen auf gewisse Weise so ernst, dass sie wie von selbst leicht schräg, gewissermaßen überspannt und darum hintergründig sich selbst entlarvend und komisch wirkt. Angelica und Medoro leiden zu viel und zu gerne - einfach weil sie es genießen, sich in ihren Gefühlen zu ergehen. Orlando rast in Leidenschaft und Wahn, wirkt aber - ähnlich wie der kampflustige Rambo Rodomonte - wie ein ewig pubertierender Junge. Alcina macht als Zauberin viel okkultes Gedöns, während das niedere Paar aus Diener und Schäferin alle unbukolischen Klischees ihres Standes (verfressen & faul) bestätigt.
Der aufmerksame Hörer wird dies alles unter der Oberfläche von Haydns abwechslungsreicher Musik entdecken können. Und René Jacobs, seine quicklebendige, reaktionsschnelle Sänger/innenriege und das zupackend, aber immer mit Swing aufspielende Freiburger Barockorchester sorgen dafür, dass sich der Humor mit mehr Nonchalance entfalten kann als weiland bei Harnoncourt.
Leider fällt der Regie (Nigel Lowery) nichts ein, was der Subtilität der Haydnschen Einfälle ebenbürtig wäre. Sie setzt auf Deutlichkeit bis zur Plattheit: Orlando wirkt mit angeklebtem wirrem Bart und zerissener Kleidung wie ein verstörter Robinson Crusoe, Rodomonte kommt als (langweiliger) Pirat vom Faschingsball. Angelica und Medoro scheinen einem Melodram entsprungen, nur Alcina bekommt als delirierendes Medium eine nicht nur depperte komische Note. Dazwischen tanzen und turnen viel Bewohner aus der Anstalt (Choreographie: Amir Hosseinpour) durch ein Blockhüttenambiente, ohne dass der Sinn dieser Aktionen sich erschließen würde.
Georg Henkel
Besetzung
Orlando – Tom Randle
Rodomonte – Pietro Spagnoli
Medoro – Magnus Staveland
Eurilla – Sunhae Im
Alcina – Alexandrina Pendatchanska
Pasquale – Victor Torres
Licone / Caronte – Arttu Kataja
Freiburger Barockorchester
René Jacobs: Leitung
Nigel Lowery und Amir Hosseinpour: Regie
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |