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Psyché. Tragédie en Musique
Info
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 26.05.2008 (CPO / JPC 3 CD /DDD 2007 / Best. Nr. 777367-2) Gesamtspielzeit: 173:42 |
PSYCHÉS METAMORPHOSEN
Es ist vielleicht die italienischste von Jean-Baptiste Lullys musikalischen Tragödien: Psyché. Das Werk hat eine verwickelte Geschichte und erwuchs in mehreren Schritten aus dem ursprünglich 1671 in Zusammenarbeit mit Molière entstandenen tragécomedie et ballet gleichen Titels. Das Werk huldigte der damaligen Favoritin und offiziellen Mätresse des Sonnenköngis, der ebenso geistreichen wie willensstarken Madame des Montespan.
Nachdem sich Ludwig XIV. Mitte der 1670er Jahre kurzzeitig mit einer anderen Dame eingelassen hatte, durften sich Lully und sein Librettist Quinault über die abgelegte Liebe 1677 in der Oper Isis lustig machen: dort zickt eine eifersüchtige Göttin Juno (Montespan) herum, während sich ihr Gemahl Jupiter (Ludwig) mit der Nymphe Isis (Madame de Ludre) einlässt. So zumindest deutete die verschmähte Favoriten die Story.
Zu dumm, dass der König nach dem Intermezzo mit der Ludre seine alte Leidenschaft wieder aufleben ließ! Die Montespan bauschte die Oper zu einem gehörigen Skandal auf. Quinault fiel vorrübergehend in Ungnade. Rasch mussten die Wogen wechselnder erotischer Leidenschaft auch kulturpolitisch geglättet werde werden. Also reanimierte Lully mit Hilfe des kurzfristig engagierten Dichters Thomas Corneille das einst zum Lobe der Montespan verfasste tragischkomische Ballet Psyché und arbeitete es innerhalb von drei Wochen zu einer durchkomponierten fünfaktigen tragédie en musique um. Wie in der ersten Version erringt auch die sterbliche Psyche (Montespan) gegen den Willen der auf Standesehre bedachten Venus (Königinmutter) die Liebe ihres göttlichen Sohnes Amor (Ludwig) und wird zum Schluss zur Unsterblichkeit der Götterwelt erhoben. Voila!
In der neuen Fassung von 1678 präsentierte sich das Werk auf der Höhe höfischer Unterhaltung und konnte ebenso wie die Montespan an alte Erfolge anknüpfen. In der neuen rezitativischen Einfassung war praktisch das ganze Psyché-Ballet mit seinen vielen lyrischen Passagen und Tänzen enthalten. Chöre allerdings gab es kaum - darin und seinem Reichtum an arioser Musik und Ensembles ähnelt das Werk viel mehr als andere Kompositionen Lullys der italienischen Oper des 17. Jahrhunderts.
Es gibt weitere Besonderheiten, durch die Psyché zu einem Unikum unter Lullys Tragédies wird: Das Finale des 1. Aktes ist einem in italienischer Sprache verfassten Divertissement, dem berühmten Plainte Italienne, vorbehalten. Diese französische Version einer Lamentoszene für Sopran sowie eine hohe und tiefe Männerstimme gehört zu den berückendsten Passagen, die Lully komponiert hat. Obwohl in den üppigen Verzierungen und weitgespannten melodischen Bögen die italienische Herkunft des ursprünglich aus Florenz stammenden Komponisten durchaus vernehmbar ist, gelingt ihm doch durch die noble Darstellung der Affekte und klassisch ausgewogenen Proportionen eine überzeugende Quadratur des Kreises. Auch aus Signor Lulli wurde ja durch die Änderung eines kleinen Buchstabens ein Monsieur Lully.
Ebenefalls ein Relikt aus dem ursprünglichen Ballet ist eine komische Szene im 2. Akt., bei der Vulkan und seine skurrilen Gehilfen im Auftrag Amors eine Palast für Psyche errichten. Die Mischung der Genres war ebenfalls typisch für die italienische Oper der Zeit, in den auf Stilreinheit und „Höhe“ bedachten französischen Opern stellt sie eine unterhaltsame Ausnahme dar.
Die Musik ist hinreißend und vielgestaltig, wenngleich weniger monumental als bei anderen Werken des Florentiners. Aber selten klingt eine Lully-Oper so entspannt, überlässt sie sich so ungezwungen den Reizen melodischen Singens. Der Höhepunkt ist ohne Frage das breit ausgemalte Schlussfest des 5. Aktes, in dem die ganze Götterwelt unter Gesang, Tänzen und Märschen (und Chören!) aufmarschiert, um Amor und Psyche ihre Reverenz zu erweisen. Das Rezitativ spielt, vielleicht abgesehen vom 4. Akt, eine weniger beherrschende Rolle. Und der Reichtum an Airs und Tänzen entschädigt etwas für die fehlenden Chöre, die für die Kontrastdramaturgie französischer Barockopern eigentlich unerlässlich sind.
Nach dem herrlichen Thesée ist dies die zweite französische Barockoper, die uns das Label cpo in Kollaboration mit dem Boston Early Music Festival und Radio Bremen kredenzt. Sie mundet in jeder Hinsicht vorzüglich, verbindet sie doch die Vorzüge einer technisch ausgefeilten Studioproduktion mit den Erfahrungen einer lebendigen Bühnenfassung, von deren Pracht zahllose Fotos im luxuriösen Booklet zeugen (nebenbei: Wie wäre es einmal mit einer DVD-Fassung? Lully ist dafür prädestiniert!).
Allein mit dieser sorgfältigen Präsentation (mehrere Essays, vollständiges Libretto, umfangreiche Künstlerbiographien, Fotogalerie) unterstreicht cpo seinen Ruf als eines der führenden Klassiklabel in Deutschland. Musikalisch ist die Produktion allerdings nicht minder überragend: Ein ausgezeichnetes Solistenteam, angeführt von Carolyn Sampson als sinnliche Psyché und Karina Gauvin als leidenschaftliche Venus, überzeugt stilistisch und interpretatorisch in jeder Hinsicht.
Herz und Seele des Unternehmens sind ohne Frage die beiden Ensembleleiter, Paul O’Dette und Stephen Stubbs, die als Gitarristen und Theorbisten selbst tüchtig im kleinen, aber feinen Orchester mitmischen. Wer hätte gedacht, dass die USA einmal zu einem Zentrum der französischen Barockoper würden? Was das Continuo angeht, ist dies wie schon der letztjährige Thesée eine ungemein farbige Aufführung geworden. Wie es gelingt, mit dem variablen Einsatz der Instrumente vor allem den Rezitativen und Airs ein individuelles Gepräge zu verleihen, ist genial und lässt den musikalischen Spannungsbogen kaum einmal abreißen. Der fantasievolle Schlagzeugeinsatz schließlich macht aus vielen Tänze eine Überraschungsnummer und sorgt für szenisches „Lokalkolorit“: Bei Vulkan klingelt der Ambos, in der Unterwelt rasseln die Ketten der Höllenhunde, Kastagnetten bringen mediterranes Flair herein und Tambourins setzten kernige Akzente.
Großes Lob dafür.
Georg Henkel
Besetzung
Karina Gauvin, Venus
Aaron Scheehan, L’Amour
Colin Balzer, Vucain
Amanda Forsythe, Algaure
Mireille Lebel, Cidippe
Oliver Laquerre, Le Roy
Yulia van Doren, Femme Affligée
u.a.
Chor und Orchester des Boston Early Music Festivals
Ltg. Paul O´dette und Stephen Stubbs
So bewerten wir:
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
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