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Theodora
Info
Musikrichtung:
Barockoratorium
VÖ: 05.09.2003 (Erato / Warner Classics) Gesamtspielzeit: 178:10 Internet: Les Arts Florissants |
SINNLICHKEIT UND MARTYRIUM: HÄNDELS SPÄTES ORATORIUM THEODORA
GEGEN DEN TREND
Händels Marktanaylse sollte sich leider als realistisch erweisen:
"Die Juden werden nicht kommen (wie bei Judas Maccabäus), weil es eine christliche Geschichte ist; und die Damen werden nicht kommen, weil es eine tugendhafte Geschichte ist." Leider kamen auch die Herren nicht, wohl weil es nicht kriegerisch genug zuging. Händel nahm auch das mit Humor: "Das macht nichts, desto besser wird die Musik klingen."
Die Uraufführung seines neuesten Oratoriums Theodora in der Spielzeit 1749 geriet zu einem veritablen Flop. Auch späteren Versuchen mit einer stark gekürzten Fassung war kein Erfolg beschieden. Händel hatte etwas Neues versucht, als er diesmal keinen alttestamentlichen Stoff zur Vertonung wählte, sondern einen christlichen. Die bewegende Geschichte um die junge Christin Theodora, die sich für das Martyrium entscheidet, um nicht - wahlweise - den heidnischen Göttern opfern zu müssen oder zur Prostitution gezwungen zu werden, hatte ihn offensichtlich inspiriert. Schon nach wenigen Wochen lag die Partitur vor. Hört man die Musik (die sich wie immer zahlreichen Entlehnungen aus eigenen und fremden Werken verdankt), kann man Händels hohe Meinung über das Werk verstehen.
Freilich: Wer den virtuosen, extrovertierten Rausch erwartet, den seine Opern verbreiten, wird vielleicht enttäuscht sein. Gewiß: Auch Theodora trumpft gelegentlich mit Pauken und Trompeten auf - um die Macht- und Macho-Ambitionen der römischen Potentaten vorzuführen. Doch der überwiegende Teil der Arien und Chöre steht in Moll; es dominieren langsame, elegische Arien und ein sehr verinnerlichter Ton, der jedoch frei ist von naiver Frömmelei. Händels dramatischer Instinkt hat ihn die Pathos- und Kitsch-Klippen, die bei diesem Stoff allenthalben drohen, sicher umschiffen lassen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie es dem Komponisten gelingt, innerhalb des starren Schemas von Arien, Rezitativen und Chören Menschen aus Fleisch und Blut entstehen zu lassen, deren Schicksale und Gefühle uns unmittelbar berühren. Dazu kommt die differenzierte Behandlung der Chöre, die mal dramatisch interagieren, mal kommentieren; die Innigkeit des Schlußchors dürfte schwerlich zu überbieten sein.
SINNLICHKEIT UND MARTYRIUM
"Sinnlichkeit und Martyrium"? Geht das überhaupt zusammen? Es geht! Man höre sich nur an, wie die junge Sopranistin Sophie Danemann als christliche Märtyrerin Theodora im 2. Akt von Händels spätem gleichnamigen Oratorium die wohl bewegendste Szene des Werks gestaltet.
With darnkness deep as is my woe / Hide me, ye shades od night - Mit Finsternis so tief wie mein Jammer verbergt mich, ihr Schatten der Nacht. Daneman singt diese angsterfüllte Todesbitte mit anrührend "virginaler" Stimme, mischt aber mit perfekt kontrolliertem Vibrato genau jene Portion blühende Sinnlichkeit dazu, daß die Leidensbereitschaft und Tugendhaftigkeit ihrer Figur menschlich bleibt. Ich kann aber verstehen, wenn manchem Hörer diese Darbietung vielleicht auch zu artifiziell oder allzu naiv-unschuldig daherkommt. Auf jeden Fall unterscheidet sie sich erheblich von den "reiferen" Theodoras, die es bei den nicht wenigen Aufnahmen dieses Werkes sonst zu hören gibt.
VERINNERLICHTE DRAMATIK: CHRISTIES INTERPRETATION
Händel überhöht die Situation noch durch eine außergewöhnlich atmosphärische Simphony mit obligaten Flöten. Nicht nur hier besticht das Spiel von Les Arts Florissants unter William Christie durch sein hohes Niveau. Die Präzision und Feinabstimmung der Klangfarben und Register ist wie immer eine Ohrenfreude. Das gilt auch für den engagierten Chor.
Insgesamt kommt die Produktion temperamentvoller und kerniger daher, als bei den vorangegangenen Händeleinspielungen dieses Ensembles, die es trotz zahlloser schöner Details und betörender Momente mitunter etwas an dramatischer Spannung vermissen ließen. Zum hochgespannten Ansatz eines Marc Minkowski, der überdies andere Stimmtypen bevorzugt, verhält sich Christies Interpreatation freilich nach wie vor geradezu komplementär.
Betörende Momente gibt es auch hier - z. B. im Duett Theodora / Dydimus. Der römische Soldat hat sich nicht nur in die fromme Christin verliebt, sondern auch von ihr bekehren lassen. I hope again to meet on Earth, / But sure schall meet in Heav'n.
Wüßte man es nicht besser, so würde man auch ein Liebesduett aus einer Händeloper tippen. Ein Liebesduett ist es natürlich, aber es geht um geistige Liebe ... oder? So ganz sicher kann man sich auch hier nicht sein. Der Countertenor Daniel Taylor steht als primo uomo Daneman an Sinnlichkeit nicht nach. Allerdings: So sehr man die leichte, lichte Höhe und Reinheit des Tones bewundern mag - für die virtuoseren Partien (und manche Rezitative) fehlen Taylors knabenhaftem Organ einfach die Ressourcen. Z. B. seine erste Arie The rapture'd soul defies the sword: Hier singt er zwar alles "richtig", lädt die Koluraturen aber nicht genügend mit individuellem Ausdruck auf. So bleibt der "Sturm auf die Seele", von dem im Mittelteil die Rede ist, eine dekorative Formel.
Leicht und jugendlich sind auch die übrigen Stimmen. Nathan Berg zeichnet mit seinem lyrischen Baß durch die erregt-dräuende, stellenweise geradezu maliziöse Deklamation einen brutalen Valens. Die Detailfreudigkeit geht freilich etwas auf Kosten der "Gravitas" mancher Töne. Valens' übler Charakter entspringt bei Berg nicht der Gewalt der Stimme, sondern ist mehr eine Sache der überzeugenden Darstellung.
Theodoras Freundin Irene ist mit der schlanken, agilen und natürlichen Stimme der Mezzosopranistin Juliette Galstian gut besetzt. Der Tenor Richard Croft, der zuletzt in Händels Hercules eine sehr geschmeidige Darstellung bot, klingt in der Rolle des Dydimus-Vertrauten Septimus dagegen manchmal ein wenig angespannt.
Durch die Tontechnik wurden Sänger und Musiker präsent und zugleich intim abgebildet. Man meint selbst bei vollem Chor- und Orchestereinsatz ein Kammerensemble zu hören - nicht, weil es dünn klingen würde, sondern transparent und ausgewogen. Für dieses Werk, dem vordergründige Dramatik fremd ist, ist dies ein sehr angemessener Ansatz.
Georg Henkel
Besetzung
Juliette Galstian (Mezzosopran)
Daniel Taylor (Altus)
Richard Croft (Tenor)
Nathan Berg (Bass)
Chor und Orchester Les Arts Florissants
Ltg. William Christie
So bewerten wir:
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
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