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Rodelinda - Theodora
Info
Musikrichtung:
Barock-Oper / -Oratorium
VÖ: 29.08./14.06.2005 Warner Classics / NVC Arts / Warner Music DVD (AD 1996 (Theodora) 1998 (Rodelinda)) / Best. Nr. 0630-15481-2 und 3984-23024-2 Gesamtspielzeit: 200:00 |
HÄNDEL-HIGHLIGHTS AUF DVD
Eine doppelte DVD-Nachlese zum vergangenen Jahr: Zwei vielgerühmte Produktionen des Glyndebourne Opernfestivals sind nun - nach einem Video-Zwischenstop - auch auf DVD erhältlich. Regisseur Peter Sellars hat G. F. Händels spätes Oratorium Theodora bereits 1996 in Szene gesetzt. Der Oper Rodelinda widmete sich 1998 Jean-Marie Villégier. In beiden Fällen spielt das bewährte Orchestra of the Age of Enlightment unter der Leitung von Gast-Dirigent William Christie.
HÖR- UND SEHGENUSS: RODELINDA
Für die italienische Barockoper mit ihren Affektschablonen, pathetischen Gebärden und kruden Wendungen in der Handlung entlehnte Villégier seine Bilder der Welt des Stummfilms: Im edlem Art-Deco-Ambiente agieren mit exaltierten Gesten bleichgeschminkte Gestalten in großer Abendgarderobe. Unwirklichkeit, Ironie und eine Prise künstliche Dekadenz kennzeichnen diese bis in die Zigarettenspitzen stilvolle und elegante Inszenierung, während Händels feingesponnene und virtuose Musik für die Wahrheit der Leidenschaften bürgt. Anna Caterina Antonacci in der Hauptrolle ist eine Tragödin erster Güte. Mit ihrem dunkel gefärbtem Sopran verleiht sie Rodelinda königliche Würde und Glaubwürdigkeit. Der Altus Andreas Scholl gibt hier sein überzeugendes Bühnendebut: Edler hat Bertarido seit Senesinos Zeiten wohl nicht mehr geklungen. Auch der Rest der Besetzung ist erstklassig, vor allem die Eduige von Louise Winter mit ihrem vollen, körperlichen Mezzo. Verführerisch spielen und singen dagegen Kurt Streit und Umberto Chiummo die triebgesteuerten Machtmenschen Grimoaldo und Garibaldo. Christie interpretiert die Musik passend mit Verve und viel Gespür für Zwischentöne, Gesten und Stimmungen - Qualitäten, die der jüngsten CD-Produktion von Alan Curtis (Virgin) trotz der sehr guten Vokalbesetzung weitgehend fehlen.
Fazit: Eine glanzvolle Produktion, bei der das Zugucken und Zuhören in jedem Augenblick Spaß macht.
STERNSTUNDE: THEODORA
Wesentlich provokanter hat Peter Sellars die Theodora auf die Bühne gebracht. Dieses Spätwerk Händels aus dem Jahr 1749 war seinerzeit ein Flop. Die Geschichte um die christliche Märtyrerin Theodora, die im 4. Jh. unter Kaiser Diokletian hingerichtet wurde, kam beim Publikum weit weniger gut an als der prächtig-erbauliche Messiah oder das biblische Schlachtengemälde Judas Maccabäus. Außerdem hatte ein leichtes Erdbeben dafür gesorgt, dass viele Londoner aufs Land geflohen waren. Hört und sieht man dieses bewegende Meisterwerk in der Fassung von Sellars und Christie, fragt man sich, wieso es auch heute noch eher ein Schattendasein führt.
Händel hat sich offenbar sehr stark mit dem Stoff identifiziert und eine seiner ergreifendsten und dichtesten Partituren geschrieben, die das äußere Geschehen ganz nach innen, in die Seelen der Figuren verlagert. Das ist Bekenntnismusik, aber ohne falsches Pathos und äußeren Pomp. Zu keinem Augenblick besteht dabei die Gefahr moralisierender Blässe, dafür ist die Musik Händels auch viel zu sinnlich, schwelgerisch, gefühlvoll - hier freilich nicht in einem erotischen, sondern in einem religiösen Sinne. William Christie verfügt zudem mit Dawn Upshaw, David Daniels, Frode Olsen, Richard Croft und Lorraine Hunt-Lieberson über ein grandioses Ensemble, dessen Ergriffenheit beim Singen und Agieren nicht nur gespielt erscheint.
Sellars Idee, das Ganze in der USA von heute anzusiedeln, aus dem römischen Gouverneur Valens einen amerikanischen Staatsmann zu machen, die Christen als verfolgte Sekte in Gods own country zu präsentieren und die Bekenner/innen Theodora und Didymus schließlich per Giftinjektion hinrichten zu lassen, wirkt zwar angestrengt. Personenführung und Bildregie hingegen behaupten die Wahrheit des ungerechten Leidens gegen alle Verklärungsversuche. Wenn Theodora (bewegend: Dawn Upshaw) in der Gefängnisse Zelle auf ihren Vergewaltiger wartet, zeigt Sellars eine völlig verängstigte, der Verzweiflung nahe Frau, die ihr Gottvertrauen nicht gelassen heraussingt, sondern mühsam erringen und gegen Anfechtungen verteidigen muss. Ob Händel, der für diese Szene eine Musik von größter Zartheit und Einfühlung geschrieben hat, sich das so „veristisch“ gedacht hat, ist da zweitrangig.
Stimmig auch die gesungene Trunkenheit des Valens (mit markigem Diktatoren-Bass: Frode Olson) zu Beginn des 2. Akts, die so breitlallend nicht in den Noten steht. Herrlich auch, wie der Sänger das leere Potentaten-Geplärre mit Hilfe der leiernden Koloraturen in der anschließenden Arie aufdeckt.
Dem Didymus leiht David Daniels seinen samtig-reifen Altus. Seine erste Arie über die "entrückte Seele" ist beispielhaft für die Auffassung der Rolle: Form und Inhalt entsprechen einander vollkommen. Keine Frage, dass die geradezu ekstatisch ausgesungenen, überreich angebrachten Verzierungen hier eine Notwendigkeit sind. Daniels scheint dabei geradezu abzuheben. Der religiöse Eros, der den bekehrten Soldaten und Theodora in der Befreiungsszene beflügelt, wird von Sellars realistisch als Gratwanderung zwischen sinnlichen und geistlichen Höhenflügen angesiedelt. So knistert es zwischen den beiden in der Befreiungsszene, obwohl das Duett das hohe Lied jungfräulicher Keuschheit singt. Die reine Liebe findet auf der Todesliege ihre Erfüllung - im Schlussduett, während das Gift in die Venen gepumpt wird: in Sellars Bildsprache ist in ihrer Anspielung auf die Kreuzigung eine Apotheose (die Liegen mit abgespreizten Armlehnen stehen fast aufrecht). Dazwischen agieren der hin- und hergerisse Septimus (mit jugendlichem und ausdrucksvollem Tenor: Richard Croft) und die geistliche Führerin der Christen, Irene (überwältigt mit stimmlicher Intensität und darstellerischer Präsenz: Lorraine Hunt-Lieberson).
William Christie entlockt dem ansonsten eher für seine wenig charaktervolle Perfektion bekannten OAE einen instrumentalen Schmelz, den er selbst mit seinem eigenen Ensemble Les Arts Florissants in der auch vokal nicht ebenso überzeugenden CD-Produktion von 2001 (Erato/Warner Classics) nicht erreicht hat. Vor allem lässt er die Musik atmen. So wunderbar weitschwingend, ruhig und elegisch habe ich dieses Oratorium noch nicht gehört. Und so sprechend und bildkräftig war dessen Rhetorik bislang auch selten zu vernehmen.
Klang und Bild sind in beiden Fällen sehr gut (man merkt beim Bild allerdings die ursprüngliche Video-Qualität), vor allem die von Sellars betreute Produktion erreicht mitunter Spielfilmqualitäten. Mehrsprachige Untertitel, im Fall der Theodora können nur ganze Szenen angewählt werden. Keine Extras.
Georg Henkel
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