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Reviews

Rameau, J.-Ph. (Christie - Montalvo)

Les Paladins. Comédie lyrique in drei Akten


Info

Musikrichtung: Opern-Komödie

VÖ: 15.11.2005

Opus Arte / Naxos 2 DVD (AD 2004) / Best. Nr. OA 0938 D

Gesamtspielzeit: 200:00

PARODIE?

„Der Apfel war noch nicht reif“, soll Jean-Philippe Rameau nach dem Flop seiner letzten zu Lebzeiten aufgeführten Oper Les Paladins gesagt haben. „Das verhinderte nicht, dass er vom Baum fiel“, konterte eine Sängerin. Das Urteil von Publikum und Kritik war vernichtend. Vor allem die Story fand keine Gnade: „Totaler Blödsinn“. Es geht, frei nach einer Fabel von La Fontaine, um zwei verliebte junge Leute und ihre Gefährten, denen ein rachsüchtiger Alter querkommt, bis der von einer Fee verführt wird, die dafür kurzerhand das Geschlecht wechselt, damit am Ende alle doch noch den Richtigen kriegen. Wobei die Nummer mit der sexuell ambivalenten Fee Manto schon wieder sehr interessant ist. Immerhin ist dies ein Werk des 18. Jahrhunderts. Mochte auch das vorrevolutionäre Frankreich vor allem in Paris alle Spielarten der sexuellen Libertinage durchprobiert haben: Auf die Bühne der königlichen Oper durfte man derlei Freizügigkeiten nicht so einfach bringen. Schon gar nicht mit einem kruden Musik-Mix aus Versatzstücken der komischen und tragischen Oper. Heroische Gesten und pathetische Formeln werden ins Lächerliche gezogen, die Deklamation wirkt noch gespreizter als sonst. Das Ganze hat der Komponist in zahllose knackige Balletteinlagen verpackt, die die dünne Handlung nach Belieben unterbrechen und etwa 50 % des ganzen Werks ausmachen.

Das Werk strotzt allerdings nur so von jugendlicher Anarchie. Glaubt man dem Dirigenten William Christie und dem Regisseur José Montalvo, so hat sich der immerhin 78jährige Rameau mit diesem Werk schlicht selbst parodiert. Freilich auf intelligente, hintergründige Art. Dafür sprechen die vielen Zitate, mit denen er auf berühmte Nummern aus seinen früheren Arbeiten anspielt. Dafür spricht auch die Kunstfertigkeit, mit der Stilebenen vermischt werden, so dass man einfach nie genau weiß, was der Komponist (bzw. die Figuren des Stücks) wirklich meinen, glauben, fühlen. Alles scheint möglich. Tatsächlich funkelt und blitzt Rameaus elektrisierender Vokal- und Orchestersatz für über zwei Stunden mühelos über die dramaturgische Wahllosigkeit der Vorlage hinweg und schafft mit klanglichen Mitteln jenen Kitt, der das Ganze zusammenhält.
Das sowieso eher kurzatmige Tempo der Musik wurde an die damals so erfolgreichen italienischen komischen Opern angepasst, denen der als altmodisch verschriene Rameau seine französische Variante gegenüberstellte. So gibt es wenig Raum für große musikalische Tableaus, alles ist im Fluss. Der geniale Teufel steckt also im Detail der inspirierten Musik und fordert vom Zuhörer stete Aufmerksamkeit (wozu das Pariser Publikum im 18. Jh. selten bereit war). Und wer bislang sicher war, dass erst Mozart drei unterschiedliche Charaktere mit ihrer eigenen Musik durch ein Ensemble geführt hat, wird seine Überraschung erleben.

José Montalvo hat mit der Choreographin Dominique Hervieu die Flucht nach vorne angetreten. Ebenso spektakuläre wie verspielte Videoprojektionen versetzten die ohnehin nicht an Glaubwürdigkeit interessierte Handlung in ein popbuntes Wolkenkuckucksheim, in dem man eine ganze Menangerie von wilden Tieren - gleichsam als animalischen Kommentar zum Geschehen - losgelassen hat. Sämtliche Sänger/innen werden durch Tänzer verdoppelt, die Worte und Handlung sogleich in geschmeidige Bewegung umsetzten. Zitiert werden alle Formen des Streetdance, gemixt mit Pantomime und barocken Zitaten. Die kraftvolle, körperbetonte Performance passt bestens zur athletischen Musik Rameaus, die selbst in ihren beschaulichen Momenten von ihrem ureigensten inneren Rhythmus angetrieben wird.
Sängerisch und musikalisch gibt es nichts auszusetzen, Christies Team zeigt sich wieder einmal in Bestform, vor allem das mit allerlei exotischem Schlagzeug angereicherte Orchester trumpft temperamentvoll auf.
Auch Dank gelegentlicher Split-Screen-Schnitte geht einem kein Detail der fantasievollen Produktion verloren. Der Klang ist präsent und voll.



Georg Henkel

Besetzung

Topi Lehtipuu, Atis
Stéphanie d’Oustrac, Argie
Laurent Naouri, Orcan
Sandrine Piau, Nérine
René Schirrer, Anselme
Francois Piolino, Manto

Orchester und Chor Les Arts Florissants
Ltg. William Christie

José Montalvo, Regie
Dominique Hervieu, Choreographie

Extras: Galerie, Synopsis; einstündige Dokumentation „Baroque that rocks“ von Reiner E. Moritz
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