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Reviews

Diverse (Musik der Reformation) (Aubert)

Gesänge und Musik der Reformation


Info

Musikrichtung: Geistliche Musik

VÖ: 06.10.2005

Gallo / Klassik Center Kassel
CD (AD DDD 2004/2005) / Best. Nr. GALLO CD-1165


Gesamtspielzeit: 74:17

SPURENSUCHE

Die Reformation hat nicht nur die religiöse, politische und soziale Welt des 16. Jahrhunderts zutiefst umgeprägt. Auch kultur- und kunstgeschichtlich wurden die Weichen neu gestellt. Sichtbarstes Symptom für das neue, allein auf das biblische Wort fundierte Kircheverständnis waren die ausgeräumten, weißgetünchten Kirchen bei den Reformierten Johannes Calvin und Huldreich Zwingli. Kein trügerisches Götzenbild sollte vom wahren Gottesdienst und der Anbetung im Geist ablenken und falsche Heilsversprechen machen. Martin Luther sah das gelassener: Sollten die Bilder doch einfach unbeachtet hängen bleiben und an ihrem Ort verstauben! Die Kunst- und Kirchenhistoriker danken es ihm noch heute!
Auch was den Gottesdienst anging, nahmen sich Luthers Reformen weniger puristisch aus. Besonderes Augenmerk hatte er zudem auf die Musik, die ihm ein Geschöpf Gottes war. Als erste Dienerin der Theologie und des Gotteswortes war sie machtvolles Mittel, den Teufel zu vertreiben und die Seele froh zu stimmen. Der volkssprachliche Gemeindegesang wurde mit über 5000(!) Stücken zu einem herausragenden Kennzeichen der neuen Konfession. Damit war zudem die Basis geschaffen für die konzertante Kirchenmusik vom Orgelspiel über die Kantate bis hin zur oratorischen Passion. Luthers Choräle hätten mehr Seelen ins Verderben geführt als seine Schriften, urteilten mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung die Jesuiten. Weil die römische Kirche am Latein und der Klerikerliturgie festhielt, hatten diese Meister multimedialer katholischer Glaubensinszenierungen den Texten und Melodien der Lutheraner nichts Vergleichbares entgegen zu setzten: Wer nur den lieben Gott lässt walten oder Eine feste Burg ist unser Gott erwiesen sich, wenn es drauf ankam, als rechte Kampflieder.

Was die Aktivierung lauer Seelen anging, schätzte auch Johannes Calvin den Gemeindegesang. Aber nur in strenger Reglementierung: einstimmig und kirchlich-schlicht sollten ausschließlich biblische Psalmen gesungen werden. Undenkbar, dass hier ein Johann Sebastian Bach kunstvolle Kantaten als musikalische Predigt im Gottesdienst aufführte. Instrumentalmusik und mehrstimmiger Gesang blieben der erbaulichen Hausmusik und Konzerten vorbehalten.
Huldreich Zwingli, persönlich ein Dichter und großer Musikliebhaber, mochte selbst das nicht gelten lassen: Nichts sollte sich im Gottesdienst zwischen das Wort der Herrn und die Seele des Menschen stellen. Lobgesänge mochte man still für sich im Herzen anstimmen. Hören sollte man nur die schlichte menschliche Stimme und das unverhüllte Wort der Bibel. Was freilich Schule, Konzertsaal und gute Stube betraf, da sollte die Musik gelehrt und praktiziert werden.

Folgenreiches Zeugnis für diese Askese der Reformierten war der so genannte Hugenottenpsalter, eine ursprünglich aus Frankreich stammende gereimte Nachdichtung der 150 Psalmen mit 125 Melodien. Die vollständige Fassung wurde 1562 veröffentlicht. In der Folge entstanden zahlreiche Bearbeitungen der einstimmigen liturgischen Gesänge für das häusliche oder professionelle Musizieren.

Auf dieser CD des Genfer Musée internation des la Réforme mit Gesängen und Musik der Reformation hat man Gelegenheit, die Originale des Hugenottenpsalters und ihre vielschichtigen Bearbeitungen kennen zu lernen. Es ist notgedrungen nur ein kleiner, aber dafür repräsentativer Ausschnitt aus der musikalischen Produktion der Reformation geworden. Auch katholischen Hörern dürfte dabei die eine oder andere Melodie bekannt vorkommen. Mit neuem Text findet sich z. B. die Melodie für den Gesang von Psalm Nr. 9 auch im Gotteslob. Das nämlich wäre ohne die großzügigen Ausleihen bei den ehemaligen Gegnern ein eher übersichtliches Bändchen geblieben. Und auch wenn man sich das Schaffen von Heinrich Schütz, J. S. Bach und G. F. Händel anschaut, bestätigt sich immer wieder: Die Ökumene begann in der Musik.
Das Projekt des Genfer Reformations-Museums ist eine Spurensuche, die an die Wurzeln offizieller liturgischer Musik heranführt und ihr Fortleben im privaten religiösen und weltlichen (Konzert)Leben nachzeichnet. Exemplarisch für das außereuropäische Wirken dieser Traditionen hat man drei Stücke der reformierten Kirchen von Madagaskar mit aufgenommen.
Im Beiheft gibt es einen vielsprachigen Essay und alle Texte. Leider kommen die theologischen und ekklesiologischen Grundlagen für die musikalische Entwicklung zu kurz: Wer warum wie viel Musik macht, bleibt im Dunkeln. Das Instrumentalensemble Carpe Diem Genève sowie die Chöre und Zaram-pifaliana (Madagaskar) und Le Labyrinthe (letzterer mit etwas dünnstimmigen (Knaben?)Sopranen) präsentieren die Musik schlicht, gewissermaßen „liturgisch-authentisch“ und ohne allzu viel Kunst. Fast scheint es, als ob man in den reformierten Kirchen der Macht der Musik auch heute noch nicht so recht trauen würde …



Georg Henkel

Besetzung

Francois Roche, Tenor
Olivier Bettens, Recherche
Francois Delor, Orgel

Ensemble Carpe Diem Genève
Chor Zaram-pifaliana
Chor Le Labyrinthe

Ltg. Jean-Christophe Aubert
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