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Reviews

Rameau, J.-Ph. (Tournet, V.)

Les Paladins (Comedie Lyrique)


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 04.02.2022

(CVS / Note 1 / 3 CD / DDD / 2020 / Best. Nr. CVS054)

Gesamtspielzeit: 165:00

EIN GROSSER FRECHER SPASS

Jean-Philippe Rameau war nicht nur ein genialer Komponist, wenn es um Musiktragödien und Opernballette ging. Nicht weniger avantgardistisch sind seine komischen Beiträge: die lyrischen Komödien "Platée" und "Les Paladins". Dass er sich in jüngeren Jahren seine Sporen als Komponist leider nicht erhaltener Bühnenmusiken für ein Pariser Jahrmarktstheater verdient hat, glaubt man sich angesichts der späteren humoristischen Feuerwerke jedenfalls sofort.

Die 1760 uraufgeführten "Paladins" zeigen den Endsiebziger immer noch als einen geradezu jugendlichen Schöpfer inspirierter und neuartiger Musik. Von sehr viel Musik, mehr, als am Ende auf die Bühne kam, da Rameau eine erste Fassung der Oper wohl schon um 1756 komponierte und dann 1760 zur Erstaufführung noch einmal rundum überarbeitete. Dies unter anderem deshalb, weil zwei neue sehr gute Naturhornisten dem Pariser Opernorchester beitraten, die der Komponist sogleich mit außergewöhnlich herausfordernden Partien bedachte. Die Einspielung von "La Chapelle Harmonique" unter Valentin Tournet präsentiert eine Fassung unter Berücksichtigung der verschiedenen Quellen. Auch die im Zuge der Überarbeitung gestrichenen Teile werden als Zugabe dargeboten. Nichts von dieser alternativen Ouvertüre, den prickelnden Tänzen und einem aufregenden Duett möchte man danach missen!

Dass das Werk in seinem ganzen närrisch-vertanzten Reichtum auf die Hörbühne gebracht wurde, macht diese Version zu einem großen Repertoire-Gewinn. Man hört in jedem Takt, wie Rameau den hohen und niederen Stil, barocken französischen Tragödienton und frühklassische italienische Buffoleichtigkeit auf eine einerseits sehr intelligente und kunstvolle, andererseits geradezu selbstparodistische und anarchische Weise mischt. Diese Grenzüberschreitung war damals zu viel für ein Publikum, das die Anspielungen nicht verstand und die Ambivalenzen nicht goutierte: "Les Paladins" fiel durch und verschwand nach 15 Aufführungen von der Bühne. Heute reizen gerade diese Mixturen und Doppelbödigkeiten.
Das Setting klingt ein bisschen nach Mozart und Rossini: Der knurrige Alte Anselme will sein Mündel Argie heiraten, das er in seinem Palazzo von einem leicht depperten Domstiken namens Orcan bewachen lässt, der wiederum auf die Dienerin der Schönen, die flotte Nerine, scharf ist. Das Mündel aber liebt den jungen, schneidigen Paladin Atis. Mit Unterstützung der guten Fee Manto und allerlei Budenzauber werden die Verhältnisse gehörig aufgemischt, so dass am Ende jeder bekommt, was zu ihm passt. Oder auch nicht.

Auch wenn die Geschichte wenig Substanz hat, bietet sie Rameau Gelegenheit, die Figuren allein durch eine Musik zu theaterwirksamen Leben zu erwecken und die Situationen der Vorlage reich auszumalen: Musikalisch sind "Les Paladins" ein großer, frecher Spaß am Ende einer Epoche, ein revolutionäres Musiktheater.
Die komplexe Partitur bedarf einer nuancierten, aber eben nicht karikierenden Darstellung. Noch gespreizter als üblich wird die französische Sprache inszeniert. Rameau spielt gelegentlich mit unsinnigen Wortverknotungen – ganz so, als wollte er seinem Gegenspieler Jean-Jaques Rousseau eine lange Nase drehen: Ja, Rousseau, Sie haben so recht, Französisch ist zum Singen wirklich völlig ungeeignet, aber hören Sie nur, was man daraus machen kann, wenn man einfach tut, als handle es sich um Italienisch!
Und weil das anonyme Libretto formal eher locker gestrickt ist, kann er stufenlos zwischen Rezitativen, Ariosi und Arien wechseln. Dazwischen hüpfen und springen, kichern, rotieren und schnattern immer wieder reichlich originelle Tanzeinlagen, mit seltsamen Figurationen für die Bläser, denen zusammen mit den Streichern yogaartige Gelenkigkeit abverlangt wird. Instrumentales Theater, szenische Orcherstermusik! In den Ensembles werden all diese Zutaten noch einmal geschwinde zusammengezwirbelt.
Wie gut diese Komödie funktionieren kann, haben Anfang der 2000er Jahre bereits William Christie und Jose Montalvo in ihrer DVD-Produktion (Opus Arte) gezeigt, mit klanglichem Feinschliff und einer popbunten Multimedia-Inszenierung. Auch der CD-Mitschnitt einer Düsseldorfer Aufführung von 2010 unter Konrad Junghänel (Coviello) besticht nach wie vor durch sein mitreißendes Tempo (wenngleich um den Preis zahlreicher Striche v. a. bei den Tänzen).

Die neue Einspielung entstand unter Studiobedingungen in der räumlichen Akustik der monumentalen „Schlachtengalerie“ in Versailles. Das Ensemble spielt unter seinem jungen Leiter strahlkräftig und mit herzhafter Virtuosität auf, ohne das Ganze ins Atemlose zu treiben. Die Tontechnik rückt die Stimmen der durchweg französischen Besetzung gerne in den Vordergrund. Gesungen wird mit ausgreifender stimmlicher Geste, zu der auch ein vernehmliches, aber flexibel eingesetztes Vibrato gehört. Genüsslich reizen die veritablen Solist:innen die performativen Möglichkeiten ihrer umfangreichen Partien aus, kombinieren vielfältige Charakterisierungen und Ausdruckswerte. Die Vorgängerversionen sind da, auch im Chorischen, deutlich schlanker disponiert.

Sandrine Piau, bei Christie in der Rolle der Dienerin Nirene, schenkt nun der hübschen Heldin Argie in Freud und Leid ihre reiche Palette an Sopran-Farben. Nicht weniger vielschichtig agiert Mathias Vidal in der Rolle des Paladins Atis zwischen heroisch und amourös. Im Duett sorgen beide immer wieder für entrückende Momente. Kokett und patent sekundiert Anne-Catherine Gillet mit fruchtigem und soubrettenhaftem Sopranton als Argies jugendfrische Vertraute, die den tumben Orcan von Florian Sempey gehörig vorführt. Dieser hat besonders in seiner tremblösen "Messer-Arie" einen einprägsamen Auftritt. Der bitter-melancholische Anselm von Nahuel Di Pierro kommt angesichts der Reize der sich kurzhand in eine dunkelhäutige Schönheit verwandelnden Fee Manto (mit hochtenoraler Pose: Philippe Talbot) auf einen auch für ihn selbst überraschend neuen Geschmack.

Die Ausstattung der Produktion ist äußerlich wie beim Versailler Label gewohnt aufwändig, aber die (offenbar automatischen) Übersetzungen der Begleittexte und des Librettors aus dem Französischen ins Deutsche sind holprig oder fehlerhaft und besagen manchmal das Gegenteil von dem, was eigentlich gemeint ist.

Abgesehen davon: Musikalisch eine perfekte Begleitung in der bevorstehenden und leider wieder arg coronafizierten Karnevalssaison!



Georg Henkel

Besetzung

Sandrine Piau, Anne-Catherine Gillet, Mathias Vidal, Florian Sempey, Nahuel Di Pierro, Philippe Talbot

La Chapelle Harmonique

Valentin Tournet, Leitung
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