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Reviews

Lully, J.-B. (Rousset, Chr.)

Lully, J.-B., Alceste (ou le Triomphe d'Alcide)


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 01.12.2017

(Aparté / 2 CD / DDD / 2017 / Best. Nr. AP164)

Gesamtspielzeit: 150:59

UNWIDERSTEHLICHES BAROCKSPEKTAKEL

Noch kurz vor Jahresschluss veröffentlicht das Label Aparté eine weitere Lully-Oper mit Les Talens Lyrique unter der Stabführund des Cembalisten Christophe Rousset. Gerade noch hat man vom nämlichen Ensemble den finalen Drachenritt der Armide aus Lullys gleichnamiger letzter Musiktragödie im Ohr, da fahren schon die Pauken- und Trompeten der Alceste aus den Boxen.
Lullys zweite Oper verfügt in der formalen Gestaltung sowie der Charakterisierung der Figuren noch nicht ganz über die Beweglichkeit und Differenziertheit seines späteren Meisterwerks. Aber das Libretto von Quinault ist eines seiner besten und die musikalische Einfallskraft des Komponisten findet reiche Betätigungsmöglichkeiten vor allem in den großen Tableaus mit vollem Orchester, Chor, Soli- und Tanzeinlagen: Vom Seestück mit Ministurm über martialische Kriegsmusiken und ein ergreifendes Begräbnisritual bis hin zu fantastischen Unterweltszenen reicht das Spektrum. Kein Wunder, dass selbst Lullys eifersüchtige Gegner dem Reiz des Werks auf Dauer nicht zu widerstehen vermochten und das Werk dauerhaften Erfolg in Versailles, Paris und darüber hinaus in Frankreich hatte.

Die Alceste erfährt eine exemplarische Darstellung durch die "Lyrischen Talente". Das Orchester hat in inzwischen sieben Lully-Opern-Expeditionen einen Ton entwickelt, der historische Kenntnisse mit modernen Aufführungsgepflogenheiten unangestrengt verbindet. Die Riesenbesetzungen Lullys bringen heute allein aus Kostengrüngen nur wenige Veranstalter auf die Bühne. Aber die gute Akustik des Pariser Salle Gaveau und die erstklassige Tontechnik sorgen für einen vollen Klang. Und wie der auf dem Notenpapier oft starr und eintönig wirkende Orchestersatz Lullys durch die rund dreißig Musiker unter virtuose Spannung gesetzt wird, wie das dynamische und klangfarbliche Spektrum ausgereizt wird, das setzt wieder Maßstäbe. Dazu kommt mit dem Choeur de Chambre Namur ein nicht minder versiertes Ensemble, das in fast-solistischen wie in Tutti-Besetzungen durch Textverständlichkeit, Klangfülle, Kraft und Delikatesse gleichermaßen überzeugt.

Was Rousset bei seiner Interpretation leider weitgehend unterschlägt, sind die komischen Elemente, die Lully und Quinault in ihren frühen Musiktragödien noch gepflegt haben. Erst mit der vierten Oper Atys dominiert jener bereinigte barocke Klassizismus, der gemeinhin mit Lully assoziiert wird. Man muss den Text schon genau mit verfolgen, um die komödiantischen Züge in den Figuren von Céphise, Lycomède und Straton zu erkennen (das Trio bildet gleichsam einen Gegenpol zu den hohen Charakteren Alceste, Admète und Alcide (Herkules)); gleiches ist zur zurückhaltenden Präsentation des eigentlich eher burlesk angelegten Fährmann Charon zu sagen, der die Seelen der Toten gegen Gebühr über den Styx schifft.

Für die Solopartien bietet Rousset wieder eine Schar versierter Sängerinnen und Sänger auf, die bis auf den Bariton Edwin Crossley-Mercer in der Rolle des Alcide in mindestens zwei Rollen auftreten. Alcide/Herkules ist denn auch, wie der Untertitel es andeutet, die eigentliche Hauptrolle der Oper: Der in Liebe zu Alceste entbrannte Held überwindet sich am Ende selbst und verzichtet auf die Liebe der Königin, die sich ihrerseits aus Liebe zu ihrem Gatten Admète geopfert hat und an dessen Stelle in die Unterwelt gegangen ist. Aus der errettet sie dann Alcide auf Bitten seines Freundes Admète - unter der Bedingung, die Wiederbelebte zur Belohnung ehelichen zu dürfen. Doch am Ende möchte er dem erneuerten Glück des Paares nicht im Wege stehen. Sein moralischer Triumph ist zugleich ein Lob auf Ludwig XIV., dessen mythologisch maskiertes Alter ego er repräsentiert.

Crossley-Mercer zeichnet sich durch ein edles, samtig-dunkles Timbre aus, das dem Helden ebenso heroische wie sensible Züge verleiht. Sein Alcide hat unverkennbar belcantische Qualitäten. Lully, der sich beim Komponieren am hohen Deklamationston des französischen Sprechtheaters seiner Zeit orientierte, benötigte aber vor allem singende Schauspieler. Von daher sind heutige Aufführungen wohl immer ein Kompromiss zwischen der speziellen barocken Bühnen-Rhetorik und modernen Vorstellungen von schönen Stimmen. Es bleibt eine besondere Herausforderung, die Musik Lullys von innen her zu beleben und ihre sprachliche Energie in emotionale Kraft zu übersetzen.
So gesehen bietet die neue Aufnahme viele schöne Stimmen, was die Individualisierung des Ausdrucks angeht, gäbe es aber noch Spielräume. Das gilt für die feinsinnige, wohlklingende Alceste der Judith van Wanroij ebenso wie den würdevollen Admète des Emiliano Gonzales Toro (beide haben in vorherigen Lully-Produktionen die von ihnen dargestellten Charaktere stärker profilieren können). Gleichwohl gibt es sehr ergreifende Momente wie der kurze, in die Stille ersterbende Duett am Ende des 2. Aktes: "Alceste, vous pleurez?" - "Admète, vous mourez?"
Frisch, manchmal geradezu vorwitzig klingt die Céphise von Ambroisine Bré; etwas unstet ist der hohe Tenor von Enguerrand de Hys. Am überzeugendsten in der deklamatorischen Ausgestaltung ihrer diversen Rollen sind die Bässe Douglas Williams (als Lycomède und Charon) und Étienne Bazola.

Rousset würde gerne sämtliche Opern Lullys einspielen - ein sehr erfreulicher Ausblick auf die kommenden Jahre!



Georg Henkel

Besetzung

Judith van Wanroij
Edwin Crossley-Mercer
Emiliano Gonzales Toro
Enguerrand de Hys
Ambroisine Bré
Douglas Williams
Étienne Bazola
Bénédicte Tauran

Choeur de Chambre de Namur

Les Talens Lyriques

Christophe Rousset
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