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Oedipus Rex / Les Noces
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IRONISCH UND FOLKLORISTISCH
Verdi, Berlioz, eine Prise Vaudville - und natürlich Stravinsky: Diese Zutaten sorgen bei Igor Stravinskys Opern-Oratorium Oedipus Rex für eine ausgesprochen eigenwillige Klangwelt: Alles klingt leicht „neben der Spur“, so als seien dem Komponisten die Noten auf dem Papier verrutscht. Während in den Chören straffe Ryhthmik und gehämmerte Deklamation dominiert, gibt es in Arien einen schrägen, an Verdi gemahnenden Belcanto zu hören, der sich nicht immer ganz ernst zu nehmen scheint. Einige schmissige Momente streifen gar die Gefilde der Operette; anderes wiederum beantwortet den pathetischen Ton der Tragödie von Sophokles kongenial mit kraftvollen, gar nicht klischeehaften Wendungen. Dennoch: Man wird das Gefühl nicht los, dass Stravinsky dieses neoklassizistische Spektakel mit einem ironischen Augenzwinkern serviert. Vor allem die im näselnden Oxford-Englisch vorgetragenen Überleitungen zwischen den einzelnen Abschnitten - das Werk steht ansonsten in Latein - unterlaufen den Ernst der antiken Haupt- und Staatsaktion durch ihr trockenes Understatement.
Sehr viel eindeutiger geben sich da Les Noces. Stravinskys Version einer russischen Hochzeit kommt als Hybride von Kantate und Ballett daher. Die Besetzung mit Solisten, Chor, vier Klavieren und siebzehn Schlaginstrumenten steht ganz im Dienst einer bis auf den letzten Akzent sprachgetreuen Vertonung des russischen Librettos. Die Musik ist so vollkommen auf den Rhythmus und die Melodie der Worte abgestimmt, dass eine Aufführung in einer anderen Sprache kaum möglich ist. Die vier Szenen scheinen wie auf einen einzigen großen Bogen komponiert, der Puls der Musik schlägt für rund 25 Minuten mit nicht nachlassender Spannkraft.
Das klingt nicht unbedingt klassisch „schön“, sondern eher wild und ekstatisch: Stravinsky hat der russischen Volksmusik nicht nur orientalisierende melodische Wendungen, sondern auch manch harsche Harmonisierung abgelauscht. Dies und die kraftvolle Rhythmik unterstreichen den Ritualcharakter von Les Noces.
Robert Craft präsentiert diese beiden Werke mit einer kompetenten britischen Besetzung in einer packenden Interpretation, wobei mich das meisterliche Les Noces musikalisch und sängerisch noch mehr überzeugt hat als der janusköpfige Oedipus. Chor und Solisten agieren in beiden Fällen spannungsvoll, das Orchester spielt mit urwüchsigem Verve. Bei einem insgesamt trocken-kernigen Klangbild ist die Musik stets gut durchhörbar.
Georg Henkel
Trackliste
07-10 Les Noces 24:10
Besetzung
Alison Wells (Sopran)
Susan Bickley, Jennifer Lane (Mezzo-Sopran)
Martyn Hill, Joseph Cornwell (Tenor)
David Wilson-Johnson (Bass-Bariton)
Andrew Greenan (Bass)
Alan Ewing (Basso-Profundo)
Simon Joly Chorale
Internation Piano Quartet
Tristan Fry Percussion Ensemble
Ltg. Robert Craft
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |