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Reviews

Genzmer, H. (Pichler, P.)

Works for Mixtur Trautonium. From post war sountds to early krautrock


Info

Musikrichtung: Klassische Moderne Elektronik

VÖ: 27.01.2017

(Paladino / Naxos / CD / 2016 / Best. Nr. pmr 0081)

Gesamtspielzeit: 55:48

NICHT NUR WAS FÜR VINTAGE-FANS

Anders als das französische Ondes Martenot oder der russische Theremin ist das Mixturtrautonium der speziellste Spezialist unter den frühen elektronischen Instrumenten geblieben. Dabei ging das von Friedrich Trautwein und Oskar Sala entwickelte Instrument 1930 sogar als "Volkstrautonium" bei der Firma Telefunken in Serienproduktion und ein namhafter Komponist wie Paul Hindemith und sein Schüler Haralad Genzmer widmeten ihm Kompositionen. Aber die NS-Zeit, das Label "entartet" und schließlich der 2. Weltkrieg verhinderten, dass das Trautonium im Musikleben wirklich ankam. Es blieb später nahezu ausschließlich mit dem Namen Oskar Sala verbunden. Als Trautonium-Konstrukteur, -Komponist und -Interpret prägte er die Nachkriegsgeschichte des Instruments bis zu seinem Tod 2002. Sein Name sozusagen steht stellvertretend für den berühmten Trautonium-Sound, ob es sich nun um Arrangements bekannter Stücke, Aufführungen neuer Werke, die Produktion von Musik zu Edgar-Wallace-Filmen oder Soundeffekte für Alfred Hitchcocks "Die Vögel" handelt.

Immerhin zeigt bereits dieser kleine Überblick, wie vielfältig die Möglichkeiten des Trautoniums sind. Es übertrifft an klanglichem Reichtum und atmosphärischer Raffinesse seine beiden Geschwister. Neben der kühlen, flötigen Eleganz, die man vom Ondes Martenot und dem Theremin kennt, scheinen ihm keine Klangsphären zwischen metallisch-kristalliner Brillanz, perkussiver Markanz und extraterrestrischer Geräuschhaftigkeit unbekannt zu sein.
Davon zeugt auch diese neue Aufnahme mit Kompositionen von Harald Genzmer, die der Multi-Musiker und -Instrumentalist Peter Pichler auf einem Mixtur- und Volks-Trautonium eingespielt hat, die bei Bedarf auch durch Orchester oder Klavier begleitet werden. Nach Salas Tod gehört Pichler zu den raren Könnern auf dem Trautonium.

Es wird übrigens wie ein Saiteninstrument gespielt: Über eine lange Metallschiene ist ein Widerstandsdraht geführt. Die Schiene fungiert sozusagen als Griffbrett. Daran sind eine Glimmlampe und eine Röhre angeschlossen. Je nachdem, wo der Widerstandsdraht beim Spielen runtergedrückt und die Schiene berührt wird, verändert sich die Frequenz der Kippschwingung und damit die Tonhöhe. Zwei Drähte bzw. Schienen ermöglichen mehrstimmiges Spiel. Und durch die Einbeziehung von Subharmonieen (Untertönen) hört man im Grunde immer komplexe "Akkorde" oder "Klangfarben". Über eine komplizierte Schalttafel, die jedes Tüftlerherz höher schlagen lässt, lassen sich die Klangfarben verändern und unzählige Effekte generieren.

Das Trautonium ist also analoge High-End-Technik und Pichler beherrscht deren Möglichkeiten vollkommen. Er hat Genzmers Konzert für Mixturtrautonium & Orchester für eine kleinere Besetzung bearbeitet und die Sätze neu kombiniert. Mit einem launigen Glissando-Whoop setzt sich das Trautonium gleich in Szene und darf in einem effektvollen Virtuosenstück seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das Ganze ist unmittelbar zugängliche Musik, ein griffig-modernistischer Mix aus traditionellem Orchesterklang und elektronischer Exotik.
Fremdartiger nehmen sich die Arrangements aus, die ausschließlich für das Trautonium entstanden sind, darunter eine Fassung der Suite des danses pour instruments electoniques, die ursprünglich von Sala im Mehrspurverfahren Schicht für Schicht auf einem Instrument realisiert wurde und bislang nur auf Tonband existierte. Pichler hat eine Version für drei Trautonien kreiert, so dass jetzt eine Live-Darbietung möglich ist. Mit diesem Stück bewegen wir uns schon im Sci-Fi-Sound-Kosmos der späten 1950er Jahre und der "Krautrock", der im Untertitel der Platte erscheint, liegt gleichsam um die Ecke.

Anders die Wirkung der Sonaten für mixture Trautonium & Klavier. Das Trautonium stattet gleichsam dem Konservatorium einen Besuch ab. Während das Klavier wie üblich "wohltemperiert", also in den Quinten etwas verstimmt ist, spielt das Trautonium in reiner Stimmung. Obgleich stimmungsmäßig korrekt, klingt es also immer etwas "schräg", tritt mit dem akustischen Klavier in eine Art Wettstreit zwischen "des ancien et des modernes". Darüber hinaus kann es hier in den langsamen Sätzen auch immer wieder überraschend lyrische Qualitäten zeigen.
Solistisch präsentiert es sich dagegen in dem frühen Bass-Solo F-Dur und dem Capriccio Trautonico als eine Art Elektro-Revue-Orgel.

Vielleicht war es am Ende auch diese Nähe zu Zirkus und Varieté, die die Meister der Nachkriegsavantgarde Distanz zum Trautonium halten ließen. Stockhausen, Boulez und andere gingen lieber gleich in die neu eigerichteten Studios für elektronische Musik bei den Rundfunkanstalten und konstruierten auf mathematischer Grundlage ihre eigenen seriellen elektronischen Klangwelten - die Instrumente der 1. Generation wirkten da ähnlich charmant und zugleich antiquiert wie das Röhrenradio.
Pichlers Neueinspielung immerhin zeigt auf spieltechnisch, musikalisch und klanglich exzellentem Niveau, was im Trautonium steckt - und das es vielleicht eine Zukunft jenseits der Vintage-Nostalgie hat, wenn wieder mehr dafür komponiert wird.



Georg Henkel

Trackliste

01-05 Konzert für mixture Trautonium & Orchester
06-09 Suite des danses pour instruments electoniques
10-16 2 Sonaten für mixture Trautonium & Klavier
17 Bass-Solo F-Dur
18 Capriccio Trautonico

Besetzung

Peter Pichler: Mixturtrautonium
Jan Kahler: Volkstrautonium
Tschinge Krenn: Volkstrautonium
Manfred Manhart: Klavier
u. a.

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