Unbekannter Fehler bei Vollmond: Michael Krebs im Rahmen der Lachmesse in Leipzig




Info
Künstler: Michael Krebs

Zeit: 21.10.2017

Ort: Leipzig, Moritzbastei

Fotograf: Sven Hagolani

Internet:
http://www.michaelkrebs.de

Bei der Leipziger Lachmesse ist Michael Krebs ein gern gesehener Gast, und wie bereits fast exakt zwei Jahre zuvor (Review auf www.crossover-agm.de) stellt abermals die große Veranstaltungstonne der Moritzbastei die Location dar. Der Terminus „groß“ ist freilich relativ zu betrachten: Die Stuhlreihen (es gibt interessanterweise deren 13, nahezu jede mit 11 Plätzen und nahezu jede voll belegt) stehen so eng, dass der Rezensent mit seinen 1,87 m Körpergröße einiges an Spannkraft aufbringen muß, um mit den Knien nicht ständig den Rücken des weiblichen Wesens in der vorgelagerten Reihe zu touchieren (die Stühle haben keine durchgehende Lehne). Bevor der Krebs-Kenner jetzt vielleicht hellhörig wird: Nein, das Alter Ego MC Pussyfind erscheint diesmal nicht auf der Bühne, und somit bleibt „Nehmt die Finger von den Bitches“ ungespielt.

Seine 2015er Tour hatte Krebs als Jubiläumstour zu seinem 11jährigen Bühnenjubiläum (10jährige Jubiläen feiern kann ja schließlich jeder) deklariert und sich folglich kreuz und quer durch sein bisheriges Schaffen gespielt, beginnend beim 2006er Debütalbum Vom Wunderkind zum Spätentwickler. Diesmal sieht die Struktur des Programms anders aus: Krebs hat zwischenzeitlich mit seiner Begleitband Die Pommesgabeln des Teufels ein neues Album namens An mir liegt’s nicht eingespielt, und obwohl er an diesem Abend solistisch auftritt, also ohne Begleitband und nur mit Stimme und Klavier sowie in einem Song einer Loopstation, so stellt doch das neue Material den Löwenanteil der beiden Hauptsets. Dabei wird in Nummern wie dem Titeltrack oder „Lolologik“ klar, dass Krebs nach wie vor messerscharfer Beobachter seiner Umwelt ist, und obwohl er sich im neuen Material stärker mit den Segnungen und Flüchen der neuen Technik und der digitalen Welt auseinandersetzt, bleibt er seiner Tradition, sich auch mit dem Paarungsverhalten des Menschen auseinanderzusetzen, gleichfalls treu.

Schon das Intro führt in die schöne neue Digitalwelt ein und findet seine Fortsetzung im Opener „Unbekannter Fehler“, sowohl allgemein thematisch als auch in einem ganz bestimmten Teil: Das Intro gerät irgendwann in eine Endlosschleife, und genau eine solche simuliert Krebs dann auch im Song live am Klavier – ein wirkungsvoller und technisch alles andere als leichter Effekt, wenn er denn „echt“ wirken soll, und das tut er an diesem Abend. Ein Auftakt nach Maß, würde Heribert Faßbender jetzt sagen, und auf hohem Niveau geht es weiter durch Krebs‘ klavierkabarettistische Welt. Dass er mit seinem Lied über die bürokratischen Hindernisse, die der Schulbau in Berlin zu überwinden hat, auch ein Leipziger Problem anspricht, wo die Stadtoberen angesichts der explodierenden Einwohnerzahl auch vor diversen Herausforderungen stehen, dürfte Zufall sein, paßt aber kurioserweise bestens ins Gesamtbild, wie auch eine andere Nummer, eine für sein Schaffen ungewöhnliche: Hatte sich eine scheinbar tränentreibende Nummer über menschliche Sehnsüchte doch noch ins humoristische Fach gewandelt (das Sehnsuchtsobjekt, stellt sich heraus, ist nämlich Gratis-WLAN), so steht am Ende des ersten Sets ein melancholisches Lied namens „Magdalena“ über Loslassen und Neuanfang, und dieses bleibt ohne humoristische Pointe und stellt einen neuen Farbtupfer in Krebs‘ Palette dar, der sich an diesem Abend aber bestens einfügt.

Der zweite Setteil besteht teilweise auch aus Nummern der neuen Scheibe, aber auch aus einem bekannten und liebgewonnenen Showelement, das Krebs eigenem Bekunden nach nicht mehr durchgängig offeriert, an diesem Abend aber mal wieder auffährt: In der Pause konnte das Publikum Liedwunschzettel in einen am Merchstand befindlichen Pokal werfen, aus denen Krebs dann welche zieht und die Wünsche zu erfüllen versucht. Das Publikum ist freilich dazu geneigt, Schabernack mit dem Künstler zu treiben, und wünscht sich mehrheitlich nicht etwa dessen Eigenkompositionen, sondern Nummern wie „Sing, mei Sachse, sing“ (das dem vom schwäbischen Neu-Kupfer via Hamburg mittlerweile nach Berlin gezogenen Krebs unbekannt ist – die dritte Strophe mit Zeilen wie „Doch kommt der Sachse nach Berlin, da könn’se ihn nicht leiden“ hätte hier mancherlei kabarettistisches Anknüpfungspotential geboten) oder das Pionierlied „Unsre Heimat“. Aber letztlich findet sich im Pokal doch noch einiges, was sich für eine Umsetzung eignet: Aus Grönemeyers „Vollmond“ macht Krebs gleich eine ganze Grönemeyer-Stilanalyse, die Spice Girls werden liebevoll verhackstückt, und der Künstler beweist sogar, dass sich Kreators „Pleasure To Kill“ auch in der Besetzung Stimme plus Klavier umsetzen läßt, theoretische Analyse des Genres Thrash Metal auch hier gleich inclusive. Das alles sorgt für Lachstürme im Publikum und dafür, dass die Leipziger Krebs natürlich nicht ohne Zugaben gehen lassen. Zwei davon gibt es, und hier kommen dann auch die Klassiker zum Zuge: zunächst „Ficken für den Frieden“ und als Grande Finale „Das Mädchen von der Jungen Union“ in einer aktualisierten Neufassung (O-Ton Krebs: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich nochmal ‘ne FDP-Strophe brauchen würde“ – und die gleichermaßen hintersinnige wie direkt-treffende AfD-Strophe, die im Youtube-Mitschnitt aus dem Berliner SO36 noch nicht enthalten ist, erntet Szenenapplaus vom Auditorium) und mit einem improvisierten Intro in einer vom Publikum gewünschten Stilrichtung (die Reggae-Meldung ist die schnellste). So enden über zwei Stunden beste Unterhaltung auf hohem Niveau.


Roland Ludwig



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