Musik an sich


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Play Latin # 1





Herzlich willkommen zur neuen Kolumne PLAY LATIN. Sie soll ein denkbar breites und ein weltweit vorhandenes Spektrum von Neuerscheinungen in der Latin Music erfassen. Dabei spielt keine Rolle, ob die Musik in ihren Ursprungsländern eingespielt wurde oder stilistisch sich mit anderen Genres wie der Clubmusik überschneidet. Vorerst wird auf eine Wertung verzichtet. In den diskografischen Angaben wird eine stilistische oder manchmal auch landesmäßige Zuordnung gemacht. Für Uneingeweihte: Die bedeutendste Abkürzung ist dabei MPB: Música Popular Brasileiro.
Man sollte sich bei der Gelegenheit bewusst machen, dass es einst vor allem Latin-Künstler wie die verstorbene Mercedes Sosa waren, die den Begriff Weltmusik in Deutschland bekannt machten und Latin Acts wie der Buena Vista Social Club zu Weltmusik-Megasellern wurden. Ich wünsche daher viele neue Hörerlebnisse.


Diana Panton
To Brazil With Love
In-akustik
61:38 Min
Bossa Nova Jazz

Es ist schon lange Mode, klassische brasilianische Bossa Novas von Tom Jobim oder Marcos Valle zu vertonen. Inzwischen geht das ja in die Legionen. Man mag das einen Fall für ewige Nostalgiker halten, andererseits zeugt es von der ungeheuren Qualität zeitloser Songs wie „Felicidade“ usw. Dabei mit hoher Qualität oder neuen Ideen aufzufallen, fällt immer schwerer. Auf der Suche nach der perfekten Interpretation ist das Feeling von Aufnahmen wie der Klassiker im Stil des legendären Getz/ Gilberto-Albums immer noch das Maß der Dinge. Die Kanadierin Diana Panton geht auf To Brazil With Love auch in diese Richtung. Panton singt die Bossa-Klassiker auf Französisch und Englisch, die Begleitung trifft mit ihrem cooljazzigen Einschlag mit gestrichenem Bass oder Vibraphon exakt die klassische Bacardi-Stimmung und Bossa-Sammler sollten dies durchaus in ihrer Sammlung haben.

Natalie Cole
En Espanol
Verve/ Universal
43:55 Min
Latin Ballads

Ähnlich entspannend ist Natalie Coles Album En Espanol, mit dem sie auf den Spuren ihres Vaters Nat King Cole wandelt, der 1958 als einer der ersten US-Sänger romantische Klassiker der lateinamerikanischen Musik einspielte – damals keine Selbstverständlichkeit. Das mit vielen Streichern und verzichtbaren Gaststars eingespielte Album streift zwar manchmal die Art des Caetano Veloso-Albums „Fina Estampa“, verfällt dann aber auch wieder in rührseligen Tavernenschmalz. Wenn Cole bei „Oye Como Va“ ein einziges Mal in tanzbaren Latin Pop umschwenkt, wirkt sie noch am stärksten. Der Rest: Bei hochgradigem Kuschelbedürfnis durchaus eine Wahl.

Verschiedene
Funk Globo – The Sound Of Neo Baile
Mr. Bongo/ Harmonia Mundi
54:56 min
Baile Funk Brasilien

Genau das Gegenteil davon bietet Funk Globo – The Sound Of Neo Baile. Nach Baile Funk gibt es nun also Neo Baile, was aber nur heißt, dass sich hier ein paar Produzenten dieses schrillen Electro-Stils aus den Favelas von Rio angenommen haben. Manches klingt dadurch hörbarer, aber Tonschwankungen, gnadenloses Hämmern und kriegsspielähnliches Gezische gehören immer noch zum Repertoire. Also alles, was Adrenalin anregt. Manches erinnert an den Sound des Electro-Punkers Mark Stewart aus den 80ern, ist also was für Leute, die ihre Anlage damit killen wollen.

Maria Bethânia
Noite Luzidia 1
Discmedi Blau/ MC-Galileo
44:22 Min
Brasilien MPB

Nach den 70. Geburtstagen von Caetano Veloso und Gilberto Gil ist es vielleicht Zeit, sich auch mal wieder Velosos Schwester Maria Bethânia zu erinnern, obwohl die drei Jahre jünger ist. Aber das Live-Album Noite Luzidia 1 ist eigentlich zum Abfeiern der großen Sängerin ganz gut geeignet, auch wenn es aus dem Jahr 2001 stammt. Immerhin versammeln sich hier bedeutende Weggefährten wie Bruder Caetano und Gil, etliche ihrer Komponisten wie Chico Cesar, Carlos Lyra, aber auch damals angesagte neue Stars der MPB wie Arnaldo Antunes, Lenine, Vanessa da Mata. Maria Bethânia machte sich wohl damit selbst ein Geschenk, ihr wichtige Leute mal in einem Konzert um sich zu versammeln. Das hat was von Fernsehshow an sich, mit dem Nachteil, dass viel erzählt wird und die Titel manchmal etwas kurz sind. Die Begleitung ist gewagt abwechslungsreich zwischen vollem Orchester und a capella. Interessante Mischung für ihre Long-Time-Fans. Gibt’s auch als DVD.


Joao Bosco
40 Anos Depois
Universal
79:19 min
Brasilien MPB

Wenn Musiker Gaststars zu ihren Alben einladen, erhöht das vielleicht den Verkauf, selten aber die Qualität. Joao Bosco hat auf seinem Jubiläums-Album 40 Anos Depois da allerdings ein passendes Konzept gefunden: Er lässt seine Gäste öfter seine Titel singen und diesen ihren Stempel aufdrücken. Gleich beim ersten Titel „Agnus Sei“ überlässt er so Milton Nascimento und Toninho Hortas Jazzgitarre die Ausführung, die sich denn auch in Bestform präsentieren. Ähnliches geschieht mit anderen Gästen wie Chico Buarque, Joao Donato oder Roberto Sá. Das Album präsentiert eher die romantische und jazzige Seite Boscos. Da fallen die eigentlichen Talente seines Könnens, seine perkussiven Titel oder sein improvisierter Gesang besonders auf und man erinnert sich, dass Bosco live immer noch mal eine Nummer zulegen konnte. Vielleicht wäre deshalb auch ein Live-Album zu den 40 Jahren seiner Karriere zündender gewesen. Dieses Album zählt dennoch zu seinen besseren. Er zeigt sich dabei strikt akustisch und macht keine Zugeständnisse an aktuelle Strömungen.

Da Lata
Fabiola
Agogo records/ !K7/ Alive
41:57 Min
Latin Afro Dancefloor

Totgesagte leben länger. Nach zehn Jahren Pause und Folgeprojekten wie Zeep hat sich nun das legendäre Duo Da Lata mit dem Album Fabiola wiedergemeldet. Einst wurde Da Lata als Pioniere des Brazilectro gehandelt, richtig gestimmt hat das nie. Im Grunde präsentieren Da Lata eher afrikanische Rhythmen und kombinieren sie u. a. mit portugiesisch-sprachigen Sängerinnen, im jetzigen Fall mit Luisa Maita und Mayra Andrade. Damit setzen Chris Franck und Patrick Forge dort an, wo sie aufgehört hatten und lassen noch viele weitere Elemente eine Rolle spielen. Das schließt sogar Rockelemente, Soul und Spoken Word ein. Hinzu kommt, dass Elektronik kaum noch eine Rolle spielt. Hier ist alles von Musikern eingespielt. Stark ist der Afro Beat-Opener und auch das Kora-Stück, impliziert aber, dass die brasilianischen Elemente inzwischen mehr sprachlicher als musikalischer Natur sind. Auf Brazilectro-Sampler landet man damit gewiss nicht mehr. Höhepunkt ist vielleicht „Ronco Da Cuica“, das einst schon Joao Bosco spielte. Hier mit funkigem Groove versetzt, überzeugt die Band am ehesten. Leider bremst sie sich im Tempo aber zu oft selbst aus. Insofern ist Fabiola nicht mehr der Geniestreich des ersten Albums, aber eine erfreuliche Wiederauferstehung.

Bet.e & Stef
It´s All Right
Compost Records/ Groove Attack
59:19 69:47 min
Brazilectro

Bet.e & Stef waren vor zehn Jahren für Kanada in etwa das, was Zeep in England darstellen: Ein mit viel brasilianischem Touch bestücktes Pop-Pärchen für den Dancefloorbereich. Das Doppel-Album It´s All Right des jetzt wiedervereinten Duos bietet seine Hits sowie Remixes von Produzenten wie Richard Dorfmeister oder Louie Vega. Die weibliche Stimme verführt dabei dazu, gerade zu Beginn zu glauben, Sade hätte sich hier inkognito versucht, neu zu erfinden. Verblüffend ähnlich diese Stimme. Allerdings endet manches davon bald in zu viel „baajaa bab daa“-Gesängen oder um mit Helge Schneider zu sprechen, in „Sommer, Sonne, Kaktus“. Der Brasilien-Touch verliert sich zudem im Laufe der ersten CD. Die Remixes weiterer Titel klingen nach einer Wiederkehr von Brazilectro, was es denn wohl auch ist. Und in dieser Richtung gab es selten große Würfe, eher einfachste harmonische Drei-Akkord-Muster.


Maguaré
Cumbia Insomnia
Zephyrus/ mc-galileo
50:39 min
Cumbia

Die belgische Cumbia-Bigband Maguaré liefert mit vielen Bläsern und Akkordeon den neuesten Beitrag zur Cumbia-Welle mit Cumbia Insomnia. Was sich anfangs noch recht traditionell anhört, entwickelt sich allmählich zu einer sich ins Ohr einschmeichelnden Musik. „Jungle Fever“ ist eines dieser betörenden Stücke, denen man sich nicht entziehen kann. Und bei den Gesangsnummern meint man mitten im Schlager der 50er Jahre gelandet zu sein, als noch volle Orchester eingesetzt wurden. Später vermischt man Cumbia mit Afro Beat und setzt quirlige Klarinetten kontrapunktisch zu brummigen Posaunen. Auch die vibrierenden Trompeten der Balkan Brass Bands werden zitiert. Und selbst der Remix eines Stückes ist hier mal gelungen. Maguaré sind also mehr als eine Latin Bigband. Das Album wurde denn auch von den angesagtesten Musikern der Cumbiaszene in Kolumbien, Mario Galeano von Ondatropica und Eblis Alvarez von den Meridian Brothers gemixt.



Hans-Jürgen Lenhart



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