Musik an sich


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Die Deckchair Poets sind die etwas verrückte Seite von Jerusalem




Info
Gesprächspartner: Lynden Williams (Voc)

Zeit: 08.11.2013

Ort: Berlin - Southampton

Interview: E-Mail

Stil: Progressive

Internet:
http://www.deckchairpoets.com

Schräge Dinge, die schön neben der 08/15-Spur liegen, sind ganz besonders nach Norberts Geschmack. Eine Band, die auf dem Cover ihrer aktuellen CD Who need Pyjamas? Zebras und im Booklet Krokodile (auf dem Abbey Road Zebrastreifen) über die Notwendigkeit von Pyjamas debattieren lässt und einen dreiteiligen Zyklus über die Bedeutung von Toiletten, Kühlschränken und Waschmaschinen für ein komfortables Leben veröffentlicht, fällt da natürlich sofort in sein Beuteschema. Und wenn dann auch noch Musiker aus dem Yes- und Spock’s Beard-Umfeld beteiligt sind, fließen die Fragen fast von selbst in die Tastaur. Leadsänger Lynden Williams antwortete aus Southhampton.

MAS: Die Deckchair Poets sind ganz offensichtlich keine leichtgewichtige Popgruppe, aber der erste Eindruck geht eher in Richtung der Buggles, als zu Yes oder Spock’s Beard. Würdest Du dem zustimmen?

Lynden Williams: Offensichtlich nicht! Die Deckchairs haben ihre ganz eigenen Gesetze. Sie ähneln eher einigen Vertretern guter Musik, die gerne mal herzlich lachen. Beispiele für solche Bands sind Stackridge, 10cc, The Sensational Alex Harvey Band, Frank Zappa, Cpt. Beefheart und die Rutles. Wir wollen natürlich nicht behaupten auf einer Stufe mit diesen Berühmtheiten zu stehen. Wir mögen nur ihre Einstellung. Wir sind einfach wir selbst, kochen Leckereien in der Küche des Vergessens und schmeißen Torten in die Gesichter der Wichtigtuer.

MAS: Statt Geoff oder Nick stehst Du als Sprecher der Band für Interviews zur Verfügung. Das könnte dazu führen, dass man die Deckchair Poets primär als Deine Band ansieht, die von einigen Big Names unterstützt wird. Ist da was dran?

Lynden Williams: Nun, das Fundament der Band ist meine abgedrehte Sicht der Welt und das, was ich unbedingt weitergeben möchte. Musik ist nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern etwas was man mit anderen teilt. Unter dieser Perspektive liefere ich die ersten Ideen und Texte. Danach bringt Ollie Hannifan sie auf seinen musikalischen Weg, um dort vom Rest der Poets überfallen zu werden. Sie gießen drüber, was immer ihre ungewöhnliche schräge Fantasie mit sich bringt.
Ich werde für die Promotion benannt, weil die Anderen normalerweise sehr beschäftigt sind. Immerhin haben Nick und Ollie mittlerweile ihre Hüte in den Ring geworfen und stehen daher für Fragen zur Verfügung.
Lynden Williams (Voc), Nick d’Virgilio (Dr), Geoff Downes (Keys), Ollie Hannifan (Git), Ashley Cutler (B)

MAS: Um ehrlich zu sein: Ich weiß überhaupt nichts über Lynden Williams. Als ich den Namen Deiner Band Jerusalem zum ersten Mal las, dachte ich an die schwedischen Christenrocker. Was für eine Band ist Dein Jerusalem?

Lynden Williams: Lynden Williams ist Sänger der UK Rockband Jerusalem, deren selbsbetiteltes Debüt 1972 von Deccas Progressive Rock Sublabel Deram veröffentlicht wurde. Es ist von Deep Purples Ian Gillan produziert worden, der die Band auch gemanget hat.
Damals spielten Jerusalem mit Bands wie Caravan, Supertramp, Humble Pie, East of Eden, Deep Purple, Family, Status Quo, Manfred Mann’s Earthband, Rory Gallagher, Curved Air, Silverhead, Black Widow, Medicine Head, Mott the Hoople und anderen. Gott weiß, warum die schwedischen Christen mit dem Namen Jerusalem an den Start gingen. (Na, so fern liegt das bei ner bewusst christlichen Band ja nun nicht; Red.) Sie erschienen erst in den späten Siebzigern auf der Bildfläche.

MAS: Erzähl doch bitte, wie sich die Deckchair Poets zusammengefunden haben.

Lynden Williams: Die Deckchairs sind die etwas verrückte Seite von Jerusalem. Geoff, Nick und ich haben das letzte Jerusalem-Album Escalator (veröffentlicht: 2009) aufgenommen, an dem auch Bassist Dave Meros [Spock’s Beard, Eric Burdon] und Bob Cooke, der Original-Gitarrist von Jerusalem, beteiligt waren. Ollie stieß vor der Veröffentlichung von Escalator zur Band, um Jerusalem wieder zur gewohnten Anzahl von zwei Gitarristen zurückzubringen. Der andere Original-Gitarrist von Jerusalem Bill Hinde ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Bob Cooke hatte 2010 einen schweren Herzinfarkt und kann seitdem den linken Arm nicht mehr bewegen. Er komponiert weiterhin mit Hilfe seines Musikcomputers und ist noch in der Lage als Grafikkünstler zu arbeiten. Ashley Cutler trat der Band 2010 bei.


MAS: Die Deckchair Poets sind erkennbar eine Band mit Sinn für Humor. Man denke nur an die „Household Necessities Trilogy“ oder das Covermotiv. Wer ist für diesen Ansatz verantwortlich?

Lynden Williams: Ich! Eines Tages funktionierte meine Toilette nicht mehr, und als ich sie repariert hatte, sang ich den Song „Toilet”, den ich auf der Stelle fertig machte. Das brachte mich dazu darüber nachzudenken, was in einem Haushalt der wirklich nötige Komfort ist. Das Cover und das weitere Booklet waren Ideen, die mir im Kopf herum gingen. Als legte ich meine Ideen Bob Cooke vor, der sie umsetzte und ausgestaltete. Bob ist ein großartiger Künstler. Er hat auch das kultige erste Jerusalem Cover gemalt.

MAS: Gibt es Reaktion von Fans Eurer anderen Bands auf diese ernsthaft-lustige Prog-Pop-Band?

Lynden Williams: Leute, von denen ich weiß, dass sie Jerusalem mögen, haben mir gesagt, das sei großartig. Geoff zeigte mir Reaktionen auf das Escalator-Album von der Yes-Fan-Site, als das Album herauskam. Sie meinten, er habe nie besser gespielt. Ich denke, wer etwas Verstand hat, wird erkennen, dass in dieses Album eine Menge Arbeit investiert wurde. Die Besetzung ist superb. Alleine vier der Beteiligten haben musikalische Abschlüsse: Geoff, Ollie, Ash und Rachel Hall.
Die Texte von einem Großteil der Songs sind sehr durchdacht und sie sind empfindsam eingesungen. Allerdings sind die Texte gelegentlich etwas gegen den Strich gebürstet. Die Leute sollen etwas intensiver über das nachdenken, was sie hören, und die Gelegenheit bekommen, ein wenig zu schmunzeln.

MAS: Die Band ist mehr als eine Fun-Band. Songtitel wie „Elephants, not Ivory“ lassen auf ernsthafte Anliegen schließen – oder ist das Thema Tierschutz eine Ausnahme?

Lynden Williams: Carolyn White, die die Fotos für das Escalator Album geschossen hat, meinte „Elephants, not Ivory“ sollte eine Hymne für Veganer werden. Ich habe ihr erklärt, es solle eine Hymne für jeden sein. Das Stück ist keine Ausnahme. „Jerk“, ein Stück, das wir gerade für das nächste Poets Album aufnehmen, ist eine weitere Tierschutz Nummer. Weißt Du, manchmal ist etwas Humor der beste Weg ein ernsthaftes Thema anzugehen. Er macht es akzeptabeler.

MAS: Euer Label Angel Air ist vor allem für sein Re-Release Programm bekannt. Warum wurde `Who needs Pyjamas?´ gerade über dieses Label veröffentlicht?

Lynden Williams: Ich habe mich an sie gewandt, weil ich Stackridge mag, die dort veröffentlicht haben. Und natürlich war Rachel Hall Stackridge-Mitglied. Bei Angel Air mochte man das Album und lies es auf einen Versuch ankommen. Sie bringen eine ganze Reihe neuer unveröffentlichter Alben heraus. Es ist eine prima Firma, mit der man gerne zusammenarbeitet.

MAS: Welchen Status haben die Deckchair Poets - eine einmalige Sache neben Euren Hauptbands, oder hat die Band Zukunft?

Lynden Williams: Die Deckchair Poets sind ein Seitenprojekt von Jerusalem. Wir haben eine Menge Material aufgenommen. Daher sind sowohl Jerusalem- wie Deckchair Poets-Alben geplant. Zurzeit arbeiten wir an zwei Alben – jeweils eins für die beiden Bands, obwohl die Besetzung absolut identisch ist. Das gibt uns die Freiheit aufzunehmen, was immer uns gefällt. Fällt es etwas rockig aus mit eher ernsthafter Natur, wird es seinen Weg auf ein Jerusalem-Album finden. Alles andere (das auch rockig sein kann) wird auf einem Poets-Album erscheinen. Live Auftritte haben wir derzeit nicht ins Auge gefasst. Wir sind alle zu sehr damit beschäftigt in anderen funkelnden Formationen zu spielen.

Die MAS bedankt sich für die Antworten.


Norbert von Fransecky



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