Musik an sich


Editorial

Mit ihrem exotischen Timbre, in dem sich die geheimnisvollen Farben des Orients mit der sinnlichen Klarheit des Okzidents mischten, war sie seit den 1970er Jahren eine Ausnahmeerscheinung der (sogenannten) klassischen Musik: die spanische Sopranistin Montserrat Figueras (Foto), die am 23. November 2011 in Barcelona gestorben ist. Als eine „Callas der Alten Musik“ wurde sie einmal bezeichnet – doch derlei Marketing lag ihr selbst fern. Dafür war sie auch viel zu eigenständig, eine Klasse für sich. Angesichts der zahllosen Neuveröffentlichungen hoffnungsvoller junger Talente mit immer wieder den gleichen Stücken war ihr unkonventioneller, repertoireerweiternder Zugriff oft eine Erlösung für die ermüdeten Ohren.

Für Mozart sei ihre Stimme nicht so geeignet, sagte sie einmal und selbst für Bach, Händel oder Vivaldi schienen die glutvollen Klangfarben und archaisch-spröden Töne, mit denen sie die Gesanglinien ausdrucksvoll kolorierte, nicht wirklich angemessen. Zu offenkundig wurde der Klang der Stimme hier selbst zum Ereignis und benötigte entsprechenden improvisatorischen Spielraum, um sich in seiner fremden Schönheit zu entfalten.

Wenn Montserrat Figueras Musik vom Mittelalter bis zum frühen 17. Jahrhundert sang, dann hatte man oft das Gefühl, dass diese Musik auf eine solche Stimme nur gewartet hatte. Zusammen mit ihrem Mann, dem Gambisten Jordi Savall, und den von ihm gegründeten Ensembles „La Capella Reial de Catalunya“, „Hesperion XX/XXI“ oder „Concert des Nations“ hat Figueras zahlreiche maßstabsetzende Aufnahmen herausgebracht. Herausragend sind mehrere Folgen der Canto de de Sibila, der „Sybillinischen Gesänge“, deren mystischer Klangaura man sich kaum entziehen kann. Wem diese Mittelalterfantasien doch etwas zu traumhaft erscheinen, um „echt“ zu sein: Eine Platte für die einsame Insel ist eine Sammlung mit Arien von Tarquino Merula aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wie hier das Temperament und Einfühlungsvermögen der Sängerin mit der nicht minder fantasievollen „Begleitband“ trockenes Notenmaterial zum gänsehauterzeugenden Ereignis werden lässt, kann man so selbst bei Profis der alten Musik nicht alle Tage erleben (alle Aufnahmen bei Alia Vox).

Dem Nachruf folgt der Ausblick: Klassisch bleibt es mit einem Bericht über die Wiederentdeckung einer Telemann-Oper in Hamburg. Altmeisterlich lies sich auch Bluesrock-Legende Johnny Winter in Nürnberg vernehmen.

Weitere Berichte informieren u. a. über die packenden Konzertdoppel von Marillion und Saga sowie von Status Quo und The Hooters. Und auch der Rezensionsteil ist wieder üppig gefüllt und bietet alles von der notwendigen kritischen Sichtung (Besprechungen von Roman Leykams Album The Mainspring und der Retortenband The Wanted) bis hin zu (fast) eindeutigen Empfehlungen, die erfreulicherweise in allen Genres überwiegen …

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht

Georg Henkel