Musik an sich mit-bester-empfehlung.com - Webkatalog - TopNews - Linktausch - Onlinespiele - Mahjongg - Solitaire - Puzzle - Mahjong - Blumen - Singlebörsen


Artikel
"Wir waren viel mehr als eine Band" - Johannes "Alto" Pappert erinnert sich an Kraan, seine Solo-Scheiben und einiges mehr





Im Juli hatten wir unsere große Kraan-Story mit dem ersten Teil begonnen. Am Ende mussten wir uns von Gründungsmitglied Johannes "Alto" Pappert (Saxophon) verabschieden. Er hatte die Band nach fünf LPs verlassen und wurde durch den Keyboarder Ingo Bischof ersetzt. Wer schon begierig auf eine direkte Fortsetzung wartet, muss sich noch etwas gedulden. Dazwischen geschoben ist ein ausführliches Interview mit dem ausgeschiedenen Alto. Ich habe ihn in den Räumen seiner Firma "Mixed Media" besucht, die sich im Herzens Berlins am Tauentzien in unmittelbarer Nachbarschaft von Gedächtniskirche und Europa-Center befindet. Alto hat mit bereitwillig Auskunft geben über die Zeit mit Kraan, die Umstände des Ausstieges, sein Soloprojekt Alto und einiges mehr. Fangen wir einfach ganz vorne an.

Alto:
Als wir uns zusammen getan haben waren alle noch sehr jung, so 16 oder 17. Peter war damals noch nicht dabei. Wir haben anfangs als Schülerband Jazzgeschichten gemacht und uns ganz hochtrabend Progressive Jazz Group Ulm genannt. Hellmut war am Kontrabass. Wir hatten einen Pianisten. Einer hat Querflöte gespielt; Ich Saxophon. Jan war am Schlagzeug. Wir haben damals John Coltrane und Archie Shepp gespielt, so diese Richtung; also eher Jazz; teilweise auch modern Jazz mit Ballett und Theater, also ganz abgefahrene Sachen. Wir waren in diversen Jazzkellern im Schwabenländle unterwegs, bzw. ganz allgemein in Süddeutschland.

MAS:
Alles noch schülermäßig?

Alto:
Ja, wir waren zu dem Zeitpunkt alle noch Schüler. Bis auf Peter. Der hatte gerade angefangen in Berlin zu studieren. Deswegen war er bei der Progressive Jazz Group Ulm auch nicht dabei. Als er später dazu gestoßen ist, hat das Ganze einen etwas härteren Charakter gekriegt. Dadurch haben wir wirklich den Grundstein für Kraan gelegt. Hellmut hat dann auch auf Baßgitarre gewechselt. Wir hatten diesen Pianisten und den Flötenspieler nicht mehr. Peter hat aus Berlin einen sehr starken Einfluß in Richtung Jimi Hendrix und Hard Rock mitgebracht. Daraus entstand dann diese besondere Mischung. Wir waren ja doch eher melodiös. Vom Saxophon her kamen die Melodien. Und Hellmut war ja auch nicht der typische Bassist. Er hat auf dem Bass ja richtig Melodien gespielt. So begann das mit Kraan.

1969/70 haben wir uns dann entschlossen, das richtig berufsmäßig zu machen. Ich hatte zu der Zeit auch in Berlin studiert, Musik. Peter hatte Grafik studiert; Jan Photographie. Hellmut war kurz vorm Abitur. Wir haben dann gesagt: "Wir ziehen jetzt zusammen." Wir haben alles abgebrochen, sind erst mal in Kreuzberg am Kottbuser Damm zusammengezogen und haben da Musik gemacht. Kurz- oder mittelfristig hatten wir einen Bauernhof irgendwo auf dem Lande gesucht, aber zwischendurch sind wir erst wieder nach Ulm gegangen. Hier in Berlin waren die Möglichkeiten nicht so gut. Wir hatten wenig Geld und in Ulm und Süddeutschland waren wir ein bißchen bekannt. Dort hatten wir Gigs, konnten auftreten und 'n bißchen Geld verdienen. Dann haben wir uns zerstritten und Hellmut wollte bei einer anderen Band einsteigen. Die war aus Aalen, hatte aber auf diesem Bauernhof in Wintrup gelebt.

MAS:
Das war Erna Schmidt.

Alto:
Erna Schmidt, ja! Das war die Erna Schmidt Combo. Ich habe Hellmut mit seinen Sachen hochgebracht. Wir hatten damals einen Ford Transit als Bandbus. Und ich kam mit diesen Erna Schmidt-Leuten ganz gut klar. Und die meinten - So hatte ich das verstanden! -, wir können da einziehen. So war es aber gar nicht gemeint. Die dachten, wir könnten sie mal besuchen, oder so. Aber es war irgendwie mißverständlich. Auf jeden Fall bin ich wieder nach Ulm gefahren und habe gesagt: "Mensch Kinder, wir können da oben einziehen!" Und dann sind wir mit Maus und Mann da hoch - auch mit Kindern. Damals gab's ja schon David, also den Sohn von Peter.

MAS:
Ich hab im Internet gelesen, irgendwer sei gerade schwanger gewesen.

Alto:
Das war Gundi, die Frau von Peter. Die war mit David schwanger. Wir sind auf dem Hof eingezogen. Und niemand hat etwas gesagt. Die haben sich auch nicht gewehrt. Inzwischen hatte sich für Hellmut rausgestellt, daß er mit denen gar nicht konnte. Die waren auch gar nicht in der Lage, dort als Kommune zu leben. Die hatten sich so richtig abgeschottet. Da hatte zum Beispiel jeder sein Zimmer und genau vor dem Zimmer stand der Schrank, so dass man erst um den Schrank rum laufen musste, wenn man zu denen wollte. Das hat nicht funktioniert und dann ist einer nach dem anderen ausgezogen. Schlußendlich waren wir da. Was uns geblieben war, war Walter Holzbaur, der Manager von denen, der auch dort lebte. Er ist geblieben und hat dann eben uns gemanaget, genau wie Willi, ein Techniker, der dann auch für uns bei Konzerten den Ton gemischt hat.

MAS:
Dann habt ihr sozusagen den Mäzen und die Infrastruktur abgegriffen.

Alto:
Genau! Aber völlig unbeabsichtigt. Es war ja nicht geplant. Es hat sich so ergeben. Dann waren wir die Hausherren und der Graf war auch damit zufrieden. Das war ja ein großer Kunstmäzen, der Graf Metternich. Er hatte schon in Kassel auf der documenta immer viele Künstler unterstützt. Er hatte mehrere Schlösser in der Gegend, unter anderem eben auch dieses alte Rittergut und hat es ermöglicht, dass wir da leben. Er wollte uns sogar finanziell unterstützen, aber das haben wir nicht in Anspruch genommen. Dazu waren wir zu stolz. Es reichte schon, dass wir das Haus hatten. Das war ja ein Riesengebäude mit fast 30 Zimmern, uralt, zwei Meter dicke Mauern, also so'n richtig altes Rittergut. Es ist zum ersten Mal 500 nach Christus urkundlich erwähnt worden. War also uralt.


MAS:
Was ist da heute drin?

Alto:
Der Graf hat es total renoviert. Das war auch nötig. Heute hat er die Jagd dort verpachtet. Rund um Wintrup ist eine richtige Naturlandschaft mit Wäldern, Wiesen und Bächen. Das ist ganz abgelegen. Es gibt kein anderes Haus in der Nähe. Da hat er so eine Jagdgemeinschaft, die am Wochenende immer dort ist. Die hatten schon damals eine Hütte am Rand von Wintrup; sind aber eigentlich nie zum Jagen gekommen. Immer wenn die mit ihren Schrotflinten ankamen, um die Wildenten auf dem Teich am Haus zu jagen, sind wir mit Pauken und Trompeten raus und haben Musik gemacht. Meistens zogen die denn mit so 'nem Gesicht ab. Wir waren da sehr kontraproduktiv und das hat denen immer gestunken. Sie hätten uns immer schon gerne raus gehabt.

In Wintrup haben wir dann schließlich und endlich mit 18 Leuten gelebt. Das waren eben die Musiker, dann kamen noch 'n paar Techniker dazu, der Teddy Götz (Licht) zum Beispiel, der mittlerweile eine eigene Firma hat und Tourservice in Bielefeld macht, und Günter Theiss (Ton) und die Familien dazu, also die Frauen und die Kinder. Insgesamt waren wir dann 18 People und haben da fast 15 Jahre lang gelebt. Wir haben uns eigentlich gut verstanden und das lief sehr, sehr gut.

MAS:
Fast 15 Jahre? Das heißt, ihr habt dort noch nach deiner Trennung von Kraan zusammengelebt?

Alto:
Nicht alle, aber teilweise ja. Wir haben in der ersten Jahren dort ja sogar richtig kommunistisch gelebt. Wir hatten Privatvermögen und so was abgeschafft. Es gab also nur eine gemeinsame Kasse.

MAS:
So ähnlich, wie das hier in Berlin auf dem UFA-Gelände passiert.

Alto:
Ja! Ja! Das ging wirklich so in die Richtung "Kommune Eins". Wir waren dann auch mehrfach im Fernsehen als Beispiel für eine sozialistische Lebensweise im Westen (lacht). Und ich muß sagen, wir hatten den Bezug zum Geld wirklich ein Stück weit verloren. Es war einfach nicht mehr wichtig. Wir hatten Erfolg und wir hatten genügend davon, damit jeder seine Bedürfnisse befriedigen konnte.

MAS:
Ihr brauchtet den Adel auch nicht zu enteignen, weil der euch unterstützte.

Alto:
Ja, genau, genau. Wir haben selber unser Geld verdient. Aber wir hatten kein Privatgeld. Es ging dann irgendwann los, dass wir 50 Mark pro Gig pro Kopf ausgezahlt haben, so als Taschengeld. Das steigerte sich dann langsam. Bis schliesslich und endlich am Ende dann doch wieder ganz normal die Wirtschaft eingekehrt ist.

MAS:
Dann kam es aber doch zum Auseinanderbrechen der Lebensgemeinschaft in Wintrup.

Alto:
Hellmut ist mit seiner damaligen Frau Lilo ausgezogen, als die schwanger war. Die wollte das Kind nicht in Wintrup zur Welt bringen. Das war ihr zu chaotisch. Das ist ja auch einzusehen. In Wintrup herrschte ein 24-Stunden-Betrieb. Wenn die ersten aufgestanden sind, waren die letzten gerade ins Bett gegangen. Und das Ganze spielte sich meistens in der Küche ab. Das war wie 'ne Kneipe. Da war 24 Stunden lang nonstop immer was los. Und mit dem Haushalt funktionierte es auch nicht immer so richtig. Man kann sich das vorstellen bei der Masse von Menschen. Und es kamen immer noch Besucher dazu. Wir hatten oft 20 Besucher zusätzlich da, denn Platz gab es ja ohne Ende. Da konnten auch 50 Leute übernachten. Das war gar kein Problem. Es war dann sehr undankbar in der Küche zu spülen. Während man gespült hat, wurde mindestens genauso viel wieder neu dreckig gemacht. Das war ein unendliches Spiel. Der Zustand, dass man sagen konnte: "So es ist alles sauber." wurde nie erreicht. Das muss man ein bisschen so sehen, so wie Crump damals. Man hat geflucht und gemacht und getan, aber fertig ist man schliesslich nie geworden. Irgendwann hat man einfach aufgeben und dann musste der Nächste halt irgendwann mal weiter machen. Mit dem Kochen war es ähnlich.


Ansonsten haben wir natürlich auch viele Konzerte gehabt. Gerade Mitte der 70er, 73/74/75. Wir waren 300 Tage im Jahr unterwegs. Wir waren also so und so ganz selten da. Das war eigentlich das Hauptproblem - nicht für uns, aber für die Frauen. Wir waren ja zusammen, weil wir was gemeinsam gemacht haben. Die Frauen waren zusammen, weil sie unsere Frauen waren. Ansonsten hatten die nicht viel gemeinsam. Und wenn wir dann immer so lange unterwegs waren, gab's da immer starke Reibungsgeschichten. Wenn wir da waren, war's immer ok. Aber wir waren ja so selten da. Daher hat Lilo irgendwann auch die Entscheidung getroffen: "Hellmut, mein Kind kommt hier nicht zur Welt." Und ist dann als erstes ausgezogen.

MAS:
Wann war das im Ablauf der Bandkarriere?

Alto:
Das muss so 75/76 gewesen sein.

MAS:
Das war schon fast der Zeitpunkt, zu dem du raus gegangen bist.

Alto:
Ja, das muss kurz davor gewesen sein. Oder vielleicht sogar danach. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber es war auf jeden Fall so in dem Dreh rum.

MAS:
Let it out müsste 75 gewesen sein.

Alto:
Let it out war 74. Und Let it out das war die letzte, die ich
noch mitgemacht habe.


MAS:
Da sind wir bei einer interessanten Fragen. Da beissen sich nämlich die Liner Notes in der CD und die Bücher. Laut Matthias Mineur im CD-Booklet habt ihr Let it out zu fünft in der Scheune von Wintrup aufgenommen. Rainer M. Schröder ("Rock in Deutsch", Heyne Verlag, 1978) stellt es so dar, als sei Let it out "noch in der alten Viererbestzung" eingespielt worden...

Alto:
Nein!

MAS:
Let it out sei also noch ohne Ingo Bischof entstanden.

Alto:
Nein, nein, das stimmt nicht. Nee! Nee! Ingo kam kurz vor Let it out dazu. Wir sind zu fünft im Studio gewesen und haben auch 'ne Tournee zusammen gemacht. Dann ist er zwischendurch wieder ausgestiegen. Auf der England-Tournee war alles zu stressig für ihn und wir haben auch gemerkt, dass es ihn live sehr stark eingeschränkt hat. Wir haben ja immer sehr viel improvisiert. Mal haben Peter und ich allein ein Konzert angefangen, mal Hellmut und wir anderen. Dann haben wir eine Stunde oder anderthalb improvisiert. Und irgendwann haben wir dann vielleicht auch noch ein bisschen zusammen gespielt. Mit einem zweiten Harmonieinstrument wurde das zunehmend schwieriger, zumal wir natürlich auch schon so lange schon zusammen waren. Wenn Peter 'n Verminderten gespielt hat - Wobei der gar nicht wusste, was 'n Verminderter ist, aber er konnte das genial spielen. -, dann wußte jeder ganz genau, wo es hingeht. Das war einfach eingespielt und mit Ingo war das dann 'n bisschen schwieriger. Man musste das Ganze dann doch stärker konzipieren. Und dabei gab es auf der Tournee dann starke Dispute und Diskussionen, die soweit führten, dass Ingo noch während der Tournee einfach gesagt hat, er mache das nicht mehr.

MAS:
Ihr wart drei Solisten und ein Bassist, der im Grunde auch noch als Solist auftrat.

Alto:
Richtig. (lacht) Das stimmt. Ja ja. Der Hellmut war ja auch'n Solo-Bassist - auf jeden Fall.

MAS:
Ich hab ihn ein Mal so erlebt, 1982 im Leine Domicil in Hannover. Peter war eine Saite gerissen und während er eine neue aufzog, fing Hellmut an 10 Minuten lang ein Bass-Solo zu spielen. Genial und fesselnd. So prominent erlebt man den Bass relativ selten.

Alto:
Das war auch ein wichtiger Teil von unseren Live-Konzerten. Das Bass-Solo von Hellmut war immer sehr beliebt. Peter hat richtig darunter gelitten, dass Hellmut da so im Vordergrund stand. Das hat ihm nicht so richtig gepasst, weil Peter selber auch ganz gern im Mittelpunkt stand. Ich meine, Peter ist ja auch ein genialer Gitarrist. Nur hat er's live manchmal eben nicht so hin gekriegt. Hellmut konnte auch richtig mit dem Publikum arbeiten. Der war 'n Frontschwein, sag ich mal. Der konnte sich hinstellen und die Leute anfeuern, während Peter eher introvertiert war.

MAS:
Selbst der Schlagzeuger war...

Alto:
Der war total introvertiert.

MAS:
Ja??

Alto:
Das war ja der Bruder von Peter, der Jan Fride.

MAS:
Er heißt vollständig Jan Fride Wollbrandt.

Alto:
Richtig. Das ist der Bruder von Peter. Jan war eigentlich auch 'n introvertierter Typ. Aber bei 'nem Live-Konzert konnte er auch sehr in den Vordergrund gehen.

MAS:
Darum stutzte ich eben. Bei diesem Konzert im Leine Domicil, einem ziemlich kleinen Laden, hatte er nämlich vollkommen aufgedreht. Das Bild, wie er die kleinen Becken, die er oben am Schlagzeug hängen hatte, geradezu mit Händen und Füßen bearbeitet hat, wird sicher eine der Konzertimpressionen bleiben, an die ich mich ewig erinnern werde.
Der Schlagzeuger hat meiner Erinnerung nach ja auch nie gewechselt. In den 80ern wird das ja etwas unübersichtlich, weil das Besetzungskarussell sich massiv zu drehen begann.

Alto:
Ja, da hat sich ja dann das Karussell gedreht.

MAS:
Und aus Kraan ist eigentlich eine ganz andere Band geworden.

Alto:
Ja!. Das hatte mit den ursprünglichen Kraan eigentlich gar nichts mehr zu tun. Da war dieser Amerikaner am Schlagzeug, Jerry... äh ... "schlag-mich-tot". (Gerry Brown - auf Nachtfahrt; NvF) Zwischendurch kam Udo Dahmen aus Hamburg. Der war dann am Schlagzeug. Es gab auch einen völlig anderen Gitarristen zwischendurch. Eine Zeit lang hat auch mal Curt Cress am Schlagzeug gespielt. Das war allerdings schon Mitte der 70er.

MAS:
Nach deinem Ausstieg bist du nie wieder dabei gewesen.

Alto:
Nicht fest. Ich hab nicht mehr mit Kraan geprobt und kein Programm mehr mit erarbeitet, aber ich bin hier und da mal dabeigewesen.


Auch bei meiner ersten Alto-LP waren eigentlich alle Kraan-Leute dabei, allerdings in den verschiedensten Besetzungen. Die Kraan-Leute haben auf dieser LP nie zusammen in einer Besetzung gespielt. Es gab Stücke, bei denen Hellmut gespielt hat. Es gab Stücke mit Peter und Jan, aber nie haben alle zusammen mitgespielt.


MAS:
War das bewußt gesteuert, oder Zufall?

Alto:
Das war eigentlich bewusst. Ich wollte mit Alto keinen Kraan-Sound produzieren.

MAS:
Wieso bist du bei Kraan ausgestiegen? Wenn man die Bücher liest, gewinnt man den Eindruck, dass da auf der einen Seite Hellmut war, der die Karriere plante und bereit war, dafür auch Holz ins Feuer zu werfen und sich auf entsprechende Strukturen einzulassen, während du dir die Freiheit erhalten wolltest und es dir mit den Tourneen und dem ganzen drum und dran zu eng geworden wäre.

Alto:
Nee, so war's eigentlich nicht.

MAS:
Es ist vielleicht überspitzt dargestellt.

Alto:
Jaja, ganz stark überspitzt. Denn so war es eigentlich nicht. Sondern es war einfach... (zögert) Wir hatten einfach... Wir waren sehr lange zusammen und irgendwie war die Luft raus. Also für mich. Das war keine intellektuelle Entscheidung, sondern eher aus dem Gefühl heraus. Ich hatte einfach keine Perspektive mehr gesehen auch. Und letztendlich war's nicht alleine meine Entscheidung. Es kam auch von den anderen. Es war also eine gegenseitige Geschichte. Der ausschlaggebende Punkt war eigentlich folgender. Ich war auf Sardinien im Urlaub und Hellmut rief mich an, sie hätten dann und dann ein Konzert. Ich hatte keinen Flieger mehr gekriegt und bin einfach nicht zu diesem Konzert gekommen. Damit war dann eigentlich besiegelt, dass man mich nicht mehr haben will und ich hatte dann auch keinen Bock mehr, noch darüber zu diskutieren.

MAS:
Bei Rainer M. Schröder klingt das so, als wärst du ein Stück weit unzuverlässig gewesen. So sollst du mal in Afghanistan gewesen sein,...

Alto:
Ich war nie in Afghanistan.

MAS:
Schröder zitiert Hellmut. "Jan und der Saxophonist waren einmal plötzlich verschwunden gewesen und ein anderes Mal hatten sie einen Trip nach Afghanistan gemacht. Und dann waren sie auf einmal wieder da. Es war alles so unsicher." (S. 165)

Alto:
Na gut. Aber ich war in meinem ganzen Leben nie in Afghanistan. (lacht) Ich bin nicht so der Asien-Typ. Ich stehe eher auf Jamaika und so was. Also nee. So war das nicht. Das war das einzige Konzert in meinem Leben, das ich versäumt habe, und nicht mal aus eigenem Verschulden. Das war einfach sehr kurzfristig angesetzt und ich war, wie gesagt, noch in Urlaub und bin einfach nicht mehr dahin gekommen. Ich hab's einfach nicht mehr geschafft. Ich hab keinen Flieger gekriegt. Ich hab's dann mit dem Auto probiert und hab's auch so nicht mehr hingekriegt. Es war einfach zu weit.

Unzuverlässig war ich nicht. Ich war sonst immer pünktlich bei jedem Konzert da. Da gab es überhaupt kein Vertun. Ich glaube, ein Konzert konnte ich nicht spielen, weil mir da der Schädel explodierte. Da konnte ich es einfach physisch nicht. Aber ansonsten habe ich jedes Konzert mitgespielt. Ne, das war's nicht. Es war einfach die Luft raus - auch rein mental zwischen uns. Ich hab in der Zeit auch sehr viel mit anderen Bands gespielt. Zum Beispiel mit dem Release Music Orchestra, mit Aera, mit ... mit... hier aus München mit dem ... wie heißen se? .... die später dann mit orientalischen Klängen....

MAS:
Embryo?

Alto:
Embryo! Mit Embryo war ich auf Tourneen. Und ich habe auch sonst sehr viel nebenher gemacht mit anderen Geschichten. Dabei habe ich gemerkt, dass es in dieser Kraan-Besetzung nicht mehr vorwärts geht. Und ich glaube, es hat Kraan auch wieder nach vorne gebracht, dass ich weg war. Der Ingo hat neue Ideen rein gebracht und frischen Wind und auch einen neuen Sound. Es hat sich anders angehört. Es gibt ja manche alte Kraan-Fans, die immer noch behaupten, ohne Saxophon wäre es kein Kraan-Sound.

MAS:
Sicher da gibt es Unterschiede, keine Frage.

Alto:
Aber dass die Luft eigentlich raus war, sieht man ja auch daran, was danach lief. Da drehte sich dann ganz schnell das Karussell. Dann hat plötzlich Peter nicht mehr mitgespielt. Dann hat Jan nicht mitgespielt. Da war nicht mehr viel Substanz da. Die eigentlichen Kraan waren ziemlich vorbei. Dann gab es die verschiedensten Besetzungen und Hellmut hat das natürlich aufrecht erhalten. Er hat es weiter repariert, aber erst heute hat sich das wieder so weit regeneriert, dass dieses alte Kraan-Feeling wieder da ist. Ich habe in den letzten Jahren ja auch wieder ein paar Konzerte mitgespielt.

MAS:
Aus deinen Formulierungen hört man sehr deutlich heraus, dass deine Identifikation mit Kraan nie aufgehört hat. Auch wenn du über die Zeiten erzählst, in denen du nicht dabei warst, redest du von "wir".

Alto:
Wir waren ja viel mehr als eine Band. Wir waren eine richtige Family. Wir haben zusammen gelebt. Wir haben so viel Zeit zusammen verbracht. Wir haben uns auch sehr lange sehr gut verstanden dafür, dass wir so eng zusammen waren. Und es hat auch 'n unheimlichen Spaß gemacht. Also ich möchte keine Sekunde missen.

MAS:
Hast Du denn nach dem Rausschmiß noch mal versucht die Mißverständnisse aufzuklären und wieder einzusteigen?

Alto:
Nein. Da war die Luft raus. Das verpasste Konzert war nur der Auslöser. Irgendwann war es für mich mental einfach vorbei.

MAS:
Was wurde dann bei Alto anders?

Alto:
Naja, Alto hatte ein ziemlich anderes Konzept. Bei Kraan entstanden die Stücke mehr oder weniger gemeinsam, während ich die Stücke bei Alto hauptsächlich allein geschrieben habe. Oder die Stücke kamen von 'nem anderen Musiker von Alto und wurden dann von allen umgesetzt.

MAS:
Also gab es jeweils einen Autor für ein Stück.

Alto:
Genau. Bei Kraan waren wir ja sogar bei der GEMA als "Kraan" gemeldet. Das war ein einmaliges Ding damals. Wir waren als Musiker zwar auch einzeln gemeldet. Aber als Komponisten und Textdichter liefen wir bei der GEMA unter "Kraan". So was gibt's ja heute gar nicht mehr. Wir waren eine richtige Band damals, nicht so ein Retortenbaby. Und wir haben auch starken Einfluss auf die ganze Produktion genommen, auf den Sound, auf die Gestaltung des Covers und und und. Das war uns damals sehr wichtig. Wir hatten ja Produzentenverträge und konnten daher auch relativ frei entscheiden. Das war ein Verdienst von unserm Walter Holzbaur, der das sehr gut organisiert hat. Der hat uns gut aufgebaut und auch versucht, uns nicht zu verheizen. Das muss man ihm hoch anrechnen.


MAS:
Du bist nur bei den ersten fünf Kraan-LPs dabei gewesen. Danach gibt es auch optisch einen Bruch. Wenn man sich das Cover der folgenden LP Wiederhören mit dem Bandfoto anguckt, dann fällt das völlig aus dem bisherigen Rahmen.

Alto:
Die Cover hatte meistens Peter gemacht, oder auch Hellmut, der ja auch ein bisschen Grafik - so Comic-mäßig - gemacht hat. Aber hauptsächlich kamen die gestalterischen Ideen von Peter. Er war guter, passabler Grafiker, der richtig gute Sachen gemacht hat - zum Beispiel bei der Live-LP. Das waren auch Comics. In Amerika ist die so gar nicht erschienen.

MAS:
In England auch nicht.


Alto:
In England auch nicht. Da sind die zu prüde zu gewesen. Die haben gesagt: "Nee! Also das geht nicht." (lacht) Da wurde ein anderes Cover gemacht. Aber eins muss ich sagen: Die amerikanische Version der Live-LP hat viel mehr Druck. Die haben die komplett neu abgemischt. Die haben richtig amerikanisch mit "compressor" und "limiter" gearbeit (Elektronische Effektegeräte, die leise Töne und Nebengeräusche besser zur Geltung bringen) - so und gib's ihm. Das haben wir mit Conny Plank nie hingekriegt. Wenn wir gesagt haben "Probier's doch mal.", hat er uns stundenlang erklärt, warum das nicht geht. Bei dem Wissen, das er hatte, haben wir oft gar nicht alles verstanden.

Bei Alto ging das so weit, - Die erste LP habe ich ja auch bei Conny Plank aufgenommen. - dass ich gesagt habe: "Ich will 'n anderen Toningenieur haben." Er hat mir dann einen Engländer gegeben. Der konnte das. Der wusste, wie das geht. Der hat auch nicht diskutiert. Der hat das gemacht.

MAS:
Wie lange hat es Alto dann gegeben?

Alto:
Alto hat es nicht sehr lange gegeben - drei, vier Jahre. Es war auch nicht sehr erfolgreich. Wir hatten die erste Tournee sogar noch mit Jan und Peter gemacht, denn die lebten noch in Wintrup. Hellmut war ja schon in Ulm. Am Bass war Hans Hartmann, der auch hier in Berlin lebt. Die zweite Tournee war dann mit Heinz Gembus, Micky Stickdon, mit einem Keyboarder, dessen Namen mir im Moment nicht einfällt (lacht in sich hinein), und mit Ellen Meier Clarke.

MAS:
Und ihr habt zwei Platten raus gebracht?

Alto:
Wir haben zwei LPs raus gebracht. Die eine hieß Happy Ambrosia; die andere nur Alto. Die Alto war die, auf der ganz viele Musiker drauf waren, bei der auch Hellmut, Peter und Jan, mitgespielt haben.

MAS:
Was hast du nach Alto gemacht? An deiner Tür steht jetzt "Mixed Media".

Alto:
Ich habe hier eine Event-Agentur. Wie machen Events für Industriekunden - sprich Kongresse, Tagungen, Produktpräsentationen, Imagepräsentationen, Videofilme. Es geht also eher weniger um Musik, obwohl wir für die Filme natürlich immer Musik brauchen.

Aber eigentlich mache ich die Musik seit Mitte der 80er nur noch hobbymäßig. Ich habe aufgehört Berufsmusiker zu sein und bin heute in der glücklichen Situation, nur noch zu spielen, wann ich will, wo ich will, was ich will, mit wem ich will. (Lacht) Das ist natürlich optimal, sag ich mal.


MAS:
Wenn das seit Mitte der 80er Jahre so ist und ich zu der Zeit deines Ausstiegs bei Kraan noch vier Jahre Alto dazurechne, bleibt immer noch ein Loch von mehreren Jahren.

Alto:
Bevor ich Alto gemacht habe, hatte ich zwischendurch, wie gesagt, mit Aera, Munju, RMO und mit den Münchern da,...

MAS:
Embryo!

Alto:
...Embryo gespielt. Alto gab es ja erst Ende der 70er. Die erste Alto-LP ist von 78 oder 79. Die zweite wohl von 81. Und 85 habe ich dann endgültig mit der Berufsmusik aufgehört und jamme halt hier und da. Das macht mir halt immer noch Spaß. Ansonsten mach ich auf meinem Laptop Pupils Recording. (Dabei ersetzt der Rechner die Bandmaschine. Alle Instrumente und Sounds sind auf dem Rechner und werden per Keyboard angespielt und es können auch noch alle anderen Instrumente über Mikro oder Line-Eingang zugespielt werden.) Das macht mit den Möglichkeiten, die man heute hat, unheimlich Spaß.

Ich gehe auch ab und zu ins Studio und arbeite zum Beispiel mit Potsch, dem Potsch Potschka dem Gitarristen von Spliff, oder auch mit allen möglichen Musikern aus den 70ern, die es hier in Berlin immer noch gibt. Dann machen wir mal eine Studiogeschichte oder eine Jam. Mit der schwarzen Sängerin Queen Yahna habe ich sehr viel Livegeschichten gemacht. Das hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, obwohl sie ziemlich chaotisch ist. Sie hat eine tolle, gewaltige Stimme. Diese schwarze Musik liegt mir sehr, Soul, funky, so diese Richtung. Ansonsten spiele ich vom Saxophon her bedingt natürlich gern so ein bisschen jazzig. Ich spiele eigentlich laufend, aber eben nur zum Spaß, zum Beispiel auch in einer ganz abgefahrenen Geschichte, einer Jimi Hendrix-Besetzung mit deutschen Texten. Das ist ein Trio hier aus Berlin mit Schlagzeug, Bass und Gitarre - original Jimi Hendrix, aber mit deutschen Texten. Und die Texte sind so gut, dass man gar nicht merkt, dass es deutsche Texte sind.

MAS:
Wie heißt die Truppe?

Alto:
Elektrische Männerwelt. Der Bassist ist der Micky Westphal. Die anderen Namen fallen mit jetzt nicht ein. Der Gitarrist ist ziemlich bekannt aus dem Osten. Er war da wohl bei irgend einer recht bekannten Band, ein sehr guter Gitarrist, also richtig Jimi Hendrix. Der Schlagzeuger singt und macht auch die Texte. Wir spielen in so Schuppen wie dem Yorckschlößchen. (Jazzclub in Kreuzberg; NvF) Neulich haben wir Open Air beim Bergmann-Straßen-Fest (ebenfalls in Kreuzberg; NvF) gespielt, oder eben in kleineren Jazz-Läden. Das geschieht ab und zu, aber eigentlich relativ wenig. Ich probe auch nicht mit denen, und wenn dann maximal eine Stunde vor einem Auftritt. Ich habe einfach nicht die Zeit, konstant wieder mit einer Band zu arbeiten. Die Firma geht natürlich erst mal vor. Aber ich spiele auch lieber so jamtechnisch mit verschiedenen Musikern, steig mal hier und mal da ein. Das macht mir am meisten Spaß. Am liebsten spiele ich mit akustischem Piano unplugged richtig original Saxophon.

MAS:
Noch ein Frage zu Alto. Ich habe da das Stück "Dark Veils" im Kopf. Vom Text her eine interessante Sache. Das schien mir schon damals auf die islamistische Revolution im Iran gemünzt zu sein.


Alto:
Genau darauf war das abgezielt, ja!

MAS:
Anfang der 80er war die Warnung vor einer fundamentalistischen islamischen Kultur aber eigentlich völlig außen vor. Das oft etwas unkritische Multi-Kulti-Denken dominierte die Kulturszene ja völlig. Für diese Zeit ist "Dark Veils" ein ungewöhnlich kritischer Blick auf die islamistische Kultur.

Alto:
Ja, No music, und so weiter.


MAS:
Es gibt da Textzeilen wie "Bald tragt auch ihr dunkle Schleier". Das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Kopftuchdiskussion ja fast schon prophetisch gewesen.

Alto:
Ja, vielleicht waren wir unserer Zeit voraus. Das war damals oft so. Auch mit Alto mit Sicherheit. Deshalb hatten wir auch keinen Erfolg. Es war einfach nicht kommerziell, was wir gemacht haben.


MAS:
Sind denn die Texte durchweg politisch oder gesellschaftskritisch?

Alto:
Nicht alle! Es sind zum Teil auch poetische Texte. Die stammen ja aus verschiedenen Federn. Ich selbst habe viele Texte gemacht. Aber auch Ellen, die Sängerin, hat Texte geschrieben. Sie hat weniger politische Texte, sondern eher Liebeslieder und so was gemacht - also mehr die poetischen Geschichten. Aber dieses "Dark Veils" das war tatsächlich eine Art Protestsong, der ganz genau auf den damaligen Iran abgestimmt war. Das Stück war von der zweiten LP. Da gab es auch nur eine feste Besetzung: Keyboards, Bass, Schlagzeug und Saxophon. Mit dieser Besetzung hatten wir auch die Tourneen gemacht. Das lief eigentlich sehr gut. Die Besetzung hat ganz gut funktionierte. Aber dann kam Inga Rumpf und hat mir den Keyboarder und den Schlagzeuger weggeschnappt. Da konnte ich nicht gegen an. Sie hatte einfach das Dreifache gezahlt und da habe ich gesagt: "Tut mit leid! Da kann ich nicht mithalten. Das müsst ihr jetzt machen."



Ich bedanke mich bei Michael Bohn, der die wohl auführlichste Website über Kraan und die Solo-Projekte der Bandmitglieder führt und uns die Benutzung der beiden schwarz-weiß-Fotos (Alto im Jahre 1974 und Kraan 2002 vor dem Rittergut Wintrup) gestattet hat. Die aktuellen Fotos von Alto habe ich in den "Mixed Media"-Büros aufgenommen.

Das Interview führte Norbert von Fransecky


 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>