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Artikel
"Ich will zeigen, dass Klassik auch cool sein kann!"




Info
Gesprächspartner: Tobey Wilson

Zeit: 05.10.2004

Interview: E-Mail

Stil: Klassik, Pop, Crossover

Internet:
http://www.tobeywilson.de

Über die unlängst erschienene CD des jungen deutschen Tenors Tobey Wilson hat MAS in einer der letzten Ausgaben berichtet (siehe Review) . Diese vom Programm und der Vortragsform durchaus (positiv) überraschende CD war für uns Anlass genug, Tobey um ein Interview zu bitten.


MAS:
Deine jetzt erschienene CD "Lied!" wurde ja bereits 2001 aufgenommen. Wieso hat es so lange gedauert, bis sie auf den Markt gekommen ist?

Tobey:
Hätte ich 2001 eine Dichterliebe auf den Markt gebracht, das hätte doch keinen interessiert – mal davon abgesehen, dass ich wahrscheinlich nicht einmal einen Vertrieb gefunden hätte! Geschweige denn einen Sponsor, der mir Grafiker und Pressung bezahlt!


MAS:
In der Aufmachung der CD bleibst Du Deinem Image als cooler Pop-Star treu. Andererseits dürften Lieder der deutschen Romantik wohl als absolut uncool gelten. Glaubst Du, mit Hilfe Deines Images ein ganz neues Publikum für diese Musik zu interessieren, und wäre das nicht vielleicht nur ein sehr kurzfristiges, allein mit Deiner Person verbundenes Interesse?

Tobey:
Ein gänzlich neues Publikum zu aquirieren wäre natürlich traumhaft, aber da muss man realistisch bleiben... ich hoffe aber natürlich, dass es mir langfristig gelingt, mehr Menschen für die Klassik zu interessieren, die diese Musik vielleicht mögen könnten, mit den Trägern aber nix anzufangen wissen. Ich will zeigen, dass Klassik nicht spießig sein muss, sondern auch cool sein kann! Und es ist erstaunlich, es kamen nach Auftritten schon 13jährige zu mir und meinten, das sei echt coole Musik! Zu Mozarts Zeit war Klassik Partymusik! Dieses künstlich sterile, gepaart mit diesem oft vorhandenen Elitedenken, existiert ja noch gar nicht so lange.

Tobey Wilsons "Lied!"

MAS:
Deine erste CD war eher dem Genre "Crossover" zuzuordnen, die CD "Lied!" gehört in eine völlig andere Kategorie. In welchem der Bereiche siehst Du Deine künstlerische Zukunft? Und: Ist bereits an ein neues CD-Projekt gedacht?

Tobey:
Meine künstlerische Zukunft sehe ich in beidem! Warum soll man nicht am Freitag bei einem Open Air Pop-Klassiker, und am Samstagabend einen Liederabend singen können? Man muss in unserer Zeit endlich mit dem Spartendenken aufhören: wer E-Musik macht, darf keine U-Musik machen, und wer U-Musik macht, kann ja schon mal prinzipiell keine E-Musik machen. Wer Klassik singt, darf sich nicht selbst vermarkten, weil er nur im Dienst der Musik steht, bla, bla, bla... was glaubst Du, was ich da alles schon gehört habe!
Ein neues Projekt ist geplant und wird auch bald realisiert – vorraussichtlich sogar wieder bei BMG Classics: Eine Platte mit allen Klassik-Crossover Hits von Funiculli Funiculla über Granada bis zu O Sole Mio...


MAS:
Deinem Tourplan ist zu entnehmen, dass Du auch viel in Touristen-Clubs (ALDIANA) auftrittst. Welche Musik singst Du bei diesen Club-Auftritten? Ist da auch mal Platz für ein Stück aus dem "Lied!"-Repertoire? Wenn ja: Wie sind die Reaktionen des vielleicht nicht unbedingt kammermusikerfahrenen Publikums darauf?

Tobey:
Aktuell singe ich bei den Auftritten in den Clubtheatern immer mein Tourprogramm mit Pop und Oper, ich habe für „Aldiana“ aber auch schon mehrmals Dichterliebe und Schubert und Beethoven Lieder gesungen, also „Lied!“ komplett – und die Reaktionen waren sehr positiv! Wann immer ich das gemacht habe, kamen zwischen 50 und 100 Gäste, und blieben ruhig und konzentriert bis zur letzten Zugabe! Ich glaube, das Publikum wird oft unterschätzt! Du würdest dich wundern, wer aus meinem Bekanntenkreis „Lied!“ hört und gern hört – von dem Du es nie denken würdest!


Diskografie
Tobey Wilson: Eyes of the Heart, erschienen 2003 bei Catalyst (BMG)

Tobey Wilson: Lied!, erschienen 2004 bei PRRecords (Vertrieb: Note 1)
MAS:
Die schon angesprochene Marketingstrategie setzt bei Dir ganz klar auch auf das Äußere. Mittlerweile im Klassiksegment ja keine Seltenheit mehr (Stichwort: Anna Netrebko & Co.). Begrenzt das nicht auch die eigenen Möglichkeiten in puncto Repertoire und künstlerischer Entwicklung?

Tobey:
Warum sollte das in irgendeiner Hinsicht die musikalische Entwicklung begrenzen? Anna Netrebko zum Beispiel ist eine hervorragende Sängerin und sieht überdies noch klasse aus! Wenn bei uns die Strategie der optischen Merkmale hervorhebt, dann doch nur, weil es eben noch nicht alltäglich ist. Wie viele junge Sopranistinnen, die so gut singen können, und dazu so aussehen, kennst Du? Die Klassik lernt das Marketing kennen! Das war für mich bei „Eyes of the heart“ auch eine neue Erfahrung, dass es gar nicht zwingend nur auf Qualität, sondern zum großen Teil auf's Marketing ankommt, wenn man in dem Segment Karriere machen will – in der Klassik ist das ja ganz anders, da zählt Können, Können, Können, egal ob man 80 oder 150 Kilo wiegt! Auf dem Plattenmarkt ändert sich das nun auch in der klassischen Musik! Denn auch sie verkauft ja einen Traum, ein Bild, und wenn der Träger dann diesem Bild entspricht, um so besser! Ein kurzes Beispiel: Meine Mutter ging mit zwölf Jahren in Mozarts „Zauberflöte“. Tage vorher hat sie sich schon ausgemalt wie der jugendliche Prinz nun aussieht… und als dann ein kleiner dicker älterer Herr mit Brille auf die Bühne kam, hätte sie wohl gerne in „zu Hilfe, zu Hilfe“ eingestimmt. Was ich sagen will: wenn ich zum Beispiel einen Cherubino auf der Bühne hübsch, sympathisch und schauspielerisch frisch und lebendig erleben kann, dann mache ich gerne auch Abstriche an anderer Stelle.


MAS:
"Lied!" muss insoweit als gewagtes Experiment gelten, weil Du als Tenor in ein von großen deutschen Bariton-Vorbildern besetztes Fach vorstößt. Haben Dich die Interpretationen etwa des Liederzyklus "Dichterliebe" von anderen Sängern besonders inspiriert oder eher abgeschreckt?

Tobey:
Ich muss gestehen, dass ich nur eine Dichterliebe, die von Fritz Wunderlich, wirklich intensiv gehört habe, und das dafür immer und immer wieder... Wunderlich hätte, würde er heute leben, sicher auch Crossover machen (das hat er ja damals auch schon), er war ein unglaublicher Sänger und offen für alles neue... das hört man in seiner ungezwungenen freien Interpretation. Komplett vergeistigte Versionen, wie sie manche Kollegen aufgenommen haben, sind nicht das meine… ich selbst war in meiner Interpretation vielleicht teilweise zu frei, aber dafür ist es meine, und das zu 100%. Drei Wochen vor der Aufnahme hat mich nach vier Jahren meine erste Freundin verlassen, das hat einiges authentisch gemacht – und auch zu Track eins „An Sylvia“ geführt... denn so heißt sie...


MAS:
Beim Liedgesang scheint heute die Tendenz weg vom Pathetischen, hin zu einem mehr objektiven Vortrag zu gehen. Hälst Du das für zutreffend? Und: Wie viel von der eigenen Person muß der Sänger preisgeben, um etwa die Lieder, die Du eingespielt hast, so zu interpretieren, dass die Gefühle zwar authentisch erscheinen, aber nicht kitschig?

Tobey Wilson beim Fußballspiel Dtld.-Brasilien

Tobey:
Ich persönlich finde einen objektiven Vortrag besser, inwiefern die Tendenz zu einem solchen geht, kann ich aber nicht sagen – mich würde es freuen, wenn es so wäre. Wenn man Lieder ernsthaft singen will, muss man immer einen großen Teil seines Innersten nach außen kehren, das verlangt diese Art der Musik, wenn man sie leben will, vormachen ist da nicht… authentisch und kitschig liegt da manchmal nicht weit auseinander, aber wenn es authentisch ist, und das vielleicht mitunter ein stückweit kitschig rüberkommt, finde ich das nicht schlimm, und an manchen Stellen sogar passend, denn wenn sie einige Textstellen in Liedern anschauen, das ist doch Kitsch pur! Schön, aber laut unserer Definition Kitsch, also darf es doch auch so interpretiert sein?


MAS:
Wo wirst Du demnächst live zu hören/sehen sein? Vor allem: Wie sieht es mit Auftritten auf der Opernbühne oder im kammermusikalischen Bereich aus?

Tobey:
Gerade erst habe ich u.a. die Nationalhymmnen beim Länderspiel Deutschland-Brasilien in Berlin oder die Verleihung der Quadriga gemacht, in naher Zukunft werde ich den Filmball oder die Powerchild-Gala umrahmen und, wenn es die Zeit zulässt, sicher auch wieder einige Auftritte für „Aldiana“ machen. Klassisch werde ich im nächsten Jahr den „Plistene“ in Salieris „La Grotta di Trofonio“ an der „Oper Lausanne“ und der „Opera comique Paris“ singen, und unter Zinman mit dem Tonhalle Orchester etwas von Beethoven aufnehmen, und auch einige Konzerte mit Alter Musik machen – ich brauche die Klassik für mich selbst – Ostern ist einfach nicht Ostern, wenn man keine Passion gesungen hat, und an Weihnachten sollte schon auch ein Weihnachtsoratorium drinnen sein…...


Sven Kerkhoff



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