Bach, C. Ph. (Nevermind)

Quartette WQ 93-95 u. a.


Info
Musikrichtung: Frühklassik Kammermusik

VÖ: 01.10.2021

(Alpha / Note 1 / CD DDD / 2020 / Best. Nr. Alpha 759)

Gesamtspielzeit: 57:27



ATTRAKTIVE NEUFASSUNG

Wie der Vater, so der Sohn! Nun, im Fall von Carl Philipp Emanuel Bach stimmt das nicht so ganz, denn auch wenn der berühmte Bachsprössling wie der Vater einen persönlichen Stil ausgeprägt hat, so gehört er mit seinem empfindsamen experimentellen Stil schon einer anderen als der barocken Welt Johann Sebastians an und stößt die Pforten zur Fühklassik auf.

In seinen drei späten Quartetten, die er in seinem Todesjahr 1788 komponiert hat, schaut er sowohl zurück als auch nach vorn. Man hört allenthalben, dass die an Rhetorik und Affekt orientierte Musikwelt des Elternhauses in ihm weiterklingt. Allerdings werden die barocken Gesten in Richtung einer subjektiveren und spontaneren Ausdruckssprache umformatiert und der dichte kontrapunktische Satz aufgebrochen. Es dominiert die große melodisch-motivische Linie, an der alle Instrumente in unterschiedlichen, auch wechselnden Funktionen teilhaben. Darin spricht sich das "lyrische Ich" des Komponisten aus: Während eine der Stimmen die Motivfäden spinnt und den Ton angibt, akzentuieren die übrigen Stimmen, indem sie die Melodien und Figuren aufgreifen, sie harmonisch und klangfarblich ausbauen, in ihrem Ausdruck intensivieren. Das wirkt mitunter recht modern, wenn man so will, avantgardistisch. Andererseits spürt man, dass die Mittel und die Wahrung einer intimen "Rokoko-Expressivität" gewisse Grenzen setzen - um in gänzlich neue Regionen zu gelangen, brauchte es dann doch die Generation Mozart, Haydn und Beethoven, die sich freilich respektvoll auf den Bach-Sohn bezogen: „Er ist der Vater; wir sind die Bubn. Wer von uns was Rechts kann, hats von ihm gelernt", schrieb Mozart.

Die Besetzung der Quartette ist nicht ausdrücklich vorgeschrieben, in diesem Fall hat sich das Ensemble „Nevermind“ für Flöte, Viola, Gambe und Cembalo entschieden. Die Instrumentierung hat mit dem strenger intonierenden „Kielflügel“ und der obertönigen Gambe eine retrospektive Anmutung, während die sensible Flöte den „modernen“ empfindsamen Zügen der Musik Rechnung trägt.
Die Balance sowie das organische Zusammenspiel gelingen vortrefflich. Es wird im Bewusstsein um die Ausdrucksgehalt jeder Note musiziert. Fehlt es an diesem Gespür für die Eigenmacht des Ausdrucksschattierungen, verlieren sich die vielen ornamentalen Seufzer schnell im Floskelhaften und die Skalen-Motorik in den schnellen Sätzen läuft sich tot.
Das ist hier nicht der Fall. Und dank der expressiven Artikulation von Jean Rondeau wirkt auch das Cembalo keinesfalls als Verlegenheitslösung gegenüber einem sanglicheren und "empfindsameren" Fortepiano, das ebenfalls möglich gewesen wäre.

Doch sind es trotz der unbestreitbaren Qualitäten nicht diese drei Sonaten, die die Aufnahme krönen, sondern zwei „Nebenstücke“: Die Quartett-Bearbeitung von zwei langsamen Klaviersonaten-Sätzen Carl Philipp Emmanuel Bachs durch den Gambisten Robin Pharo sind in der attraktiven Neufassung so eindrücklich und schön geraten, dass man sie für Originale halten möchte und sich noch mehr davon wünscht.



Georg Henkel



Trackliste
Quartette WQ 93-95

Adagio aus der Sonate Wq. 48 Nr. 6
Andante con Tenerezza aus der Sonate Wq. 65 Nr. 32
Besetzung

Nevermind:

Anna Besson, Flöte
Louis Creac’h, Viola
Robin Pharo, Viola da Gamba
Jean Rondeau, Cembalo


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