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Der Pfeifer auf dem endlosen Fluss - Pink Floyd Part 6: Krieg, Verlust und immer wieder Syd - The Wall





Über The Wall könnte ich vermutlich ein Buch schreiben. Es wurden ja auch schon welche darüber verfasst. Die Fakten zum Album sind hinlänglich bekannt: Die Grundidee kam Roger Waters auf der In the Flesh-Tour zum Animals-Album. Auf dieser fühlte er sich bei den riesigen Stadionkonzerten von seinem Publikum getrennt und die Idee wuchs, auf der Bühne eine Mauer zwischen Band und Publikum zu errichten.

Was er schlussendlich darum baute, sprengte den ursprünglichen Rahmen um ein Vielfaches. Er baute sein persönliches Trauma des Vaterverlustes durch den 2. Weltkrieg ein (welches er bereits auch schon in Coperal Clagg auf dem Piper-Album tat), übte Sozialkritik am modernen England, insbesondere an der Form der Erziehung und dem Schulwesen, verarbeitete seine eigene Scheidung (was er später auf The pros and cons of Hitch Hiking tat, was im übrigen zur selben Zeit entstand). Zusätzlich brachte er das Thema Entfremdung und Vereinsamung mit ein, welche dann schlussendlich in den politischen Komplex des Faschismus führte. Und über dem ganzen Album schwebt auch der Geist von Syd Barret, der einen großen prozentuellen Anteil an der Hauptperson des Pink hat.


Das Album in Rohform schrieb Roger Waters quasi alleine und er stellte es dann als Demo zusammen mit einem Demo von Pros and Cons der Band vor, um eines als nächstes Pink-Floyd-Album auszuwählen. Es erschien schließlich Ende November 1979 und wurde zum bestverkauften Doppelalbum aller Zeiten. Was nicht wirklich zu erwarten war, denn in der Musikwelt des Jahres 1979 hatten Bands wie Pink Floyd an sich nichts mehr verloren. Und ein Doppel-Konzeptalbum schon mal gar nicht. Punk und New Wave, ebenso wie die ausklingende Diskowelle waren auf Singles und kurze Stücke ausgelegt. Allerdings hatten es die Briten mit Zuhilfename des Produzenten Bob Ezrin recht schlau angestellt und in einigen Stücken tatsächlich dem Zeitgeist ein wenig Tribut erwiesen. Stücke wie die erfolgreiche Single-Auskopplung “Another Brick in the Wall part 2“, aber auch “Run Like Hell“ hatten durchaus Diskosounds in sich und wirkten so recht modern.

Auf mich persönlich, einen 12-Jährigen, der gerdae dabei war die Musik zu entdecken, brach vor allem die Single “Another Brick in the Wall pat 2“ herein wie eine Offenbarung. Bis dahin hatte ich mich vor Allem mit der Musik ABBAs beschäftigt. Und - das sei gesagt - auch heute noch verehre ich diese Band, denn sie war einfach eine der größten und musikalisch besten Popbands, die es je gab. Zusätzlich hörte ich das, was Onkel Mal Zandok so Woche für Woche im Radio empfohlen hatte: Electric Light Orchestra, Goombay Dance Band, Fleedwood Mac und anderes. Ach ja, ich kannte auch sogar schon Kraftwerk. Die Alben Radioaktivität und Die Menschenmaschine waren Lieblingsalben meines Kumpels Thorsten und ich fand die Teile auch ganz nett.


Dann kam eben diese Single, und sie haue mich weg. Dieses Gitarrenriff, der pumpende Bass und dieser aufrührende Text, dann auch noch mit Kinderchor. Ach ja, mit meinen zu der Zeit noch eher schlechten Englischkenntnissen und ohne der Möglichkeit den Text irgendwo nachzulesen, hielt ich das Stück anfangs für einen Antikriegssong, hatte ich doch "Another brick in the War" verstanden. Auf jeden Fall taten sich meine Eltern keinen Gefallen, als sie mir die Single dann zu Weihnachten schenkten. Das Teil lief jetzt ständig auf meinem Mono-Kofferplattenspieler (gruseliger Sound, war für Hörspiele gemacht) und dann und wann auch mal auf der großen Kompaktanlage im Wohnzimmer. Doch gelernt haben die Lieben daraus nichts, denn sie schenkten mir zu Ostern dann tatsächlich das Doppelalbum. Noch heute bin ich Ihnen dankbar dafür.

Anfangs gefiel mir vor allem das erste Album. Die erste Seite geht einfach durch in einen Fluss, als wäre es ein einziger Song. “In the flesh“ mit seinem einfachen, aber harten Rock, das bedrohliche und soundtechnisch geniale “The thin ice“, die klaren, dunklen Strukturen aus Bass und Gitarre bei “Another brick in the Wall part one“, dann natürlich der geniale Übergang mit dem Hubschrauber zum ebenso genialen “The happiest days of our life“, ein kalter und glasklarer Sound wie noch nie zuvor gehört, das Zentrum dieser Seite mit “Another brick in the wall part 2“ natürlich und das abschließende, irgendwie versönliche, aber doch bedrohliche “Mother“. Ich glaube, es gibt wenige Alben die mit einer derart starken, kompletten Albumseite aufwarten können. Damals jedenfalls habe ich diese Seite mit meiner oben erwähnten roten Plattenfräse so oft runter genudelt das sie schließlich ganz schön mitgenommen war.


Die zweite Albumseite hingegen ist wesentlich düsterer. “Goodbye Blue Sky“ faszinierte mich damals (wie heute) ob dieser wunderschönen Gitarrenmelodie und dem unglaublichen Gesanges von David Gilmour. “Young Lust“ gehörte seinerzeit musikalisch wie textlich sicherlich zu den härtesten Sachen die ich kannte. “One of my turns“ hatte mich hingegen schon als B-Seite von “Another Brick“ begeistert. Dieser mystische Beginn mit dem sprechenden Mädchen und dem wie abwesend antwortenden Gesang und vor allem dann dieser explosionsartige Ausbruch am Ende. “Don´t leave me now“ zeigte mir dann auf, wie sehnsuchtsvolle und tieftraurige Musik klingen und sich dann ausbruchartig in “Another Brick in the Wall part 3“ wieder entladen kann. Auch “Goodbye Cruel World“ beendet seine Seite ruhig, aber verloren und düster.

Heute gefällt mir tatsächlich die zweite Platte einen Tick besser als die erste, was zum Einen daran liegt, dass die erste Seite sicherlich insgesamt die etwas zugänglichere ist, andererseits aber auch daran, dass man sich vielleicht dann doch ein ganz klein wenig an der Suite der ersten Seite satt gehört hat.

Die erste Seite des zweiten Albums ist für mich irgendwie die klassische Seite von The Wall. Der Komplex aus “Hey You“, „Is there anybody Out there?“, “Nobody Home“, “Vera“ und “Bing the boys back home“ mit seiner morbiden Schönheit, den vielen klassisch anmutenden Gitarrenpassagen, den Streichern, dem aufbegehrenden Gesang in “Vera" und natürlich dem militärischen Klang von “Bring the boys back home“ und den eingesetzten Soundeffekten bringen diese Seite zu einer unglaublichen Dichte. Mit dem später zum Übersong gewordenem “Confortably Numb“ wird die Seite einerseits pathetisch geschlossen, das Album aber andererseits auch wieder in die moderne Musik zurückgeführt.


Mit der zweiten Version von “In the flesch“ wird dann die letzte Seite wieder mit krachendem Rock eröffnet, um dann mit “Run Like Hell“ den Komplex des Faschismus zu öffnen. Erstaunlich, wie aggressiv Diskobeats und schneidende Gitarrenriffs sein können. “Wairing fort he Worms“ habe ich immer geliebt - warum weiß ich nicht so genau. Es ist ein seltsames Stück das Hochmut und Verlorenheit zugleich so lakonisch und überzogen darstellt, dass es mich fasziniert und gleichzeitig gruselt. “Stop“ und „The Trial“ sind natürlich schauriger Höhepunkt des ganzen Spektakels, wobei sich hier Klassik und Rock wohl so gut vermischen wie es sonst noch niemanden gelungen ist. Die Emotionalität wird so auf eine kaum fassbare Stufe geschraubt. Der erlösende Ausklang mit Outside The wall“ hilft, das Gehörte zu verkraften, ist jedoch trügerisch, wie The-Wall-Kenner wohl wissen.

Das war nun wirklich ein schneller Abriss über das, was mir dieses Album bedeutet, und es drückt es auch nicht ansatzweise aus. Denn mit The Wall habe ich tatsächlich begonnen mich mit Musik richtig auseinander zu setzen. Ich begann Texte zu übersetzen, um diese auch wahrzunehmen. Ich denke, ohne dieses Album wäre meine musikalische Welt eine völlig andere geworden.


Aber zurück zum Album und zur Band. Ich behaupte, dass The Wall das einzige wirklich komplett in sich schlüssige Konzeptalbum der Rockgeschichte ist. Inhaltlich wie musikalisch. Selbst große Konzeptalben wie The Whos Tommy oder Genesis' The Lamb Lies Down on Broadway haben immer wieder Passagen an denen sie holpern. Die Story von Lamb hat wahrscheinlich selbst Peter Gabriel bis heute nicht zu 100% verstanden. Anders ist da The Wall, obwohl es sich inhaltlich mit viel mehr und auch mit viel anspruchsvolleren Themen auseinandersetzt. Trotzdem gelingt es Waters und der Band, ein rundes Album daraus zu machen. Das liegt musikalisch vor allem daran, dass sie einen sehr klassischen Ansatz gewählt haben. Viele Songs sind musikalisch auf dasselbe oder ähnliche Grundmuster aufgebaut. Durch das Einsetzen von mehreren Parts eines Songs und auch Reprises gelingt es, ein musikalisches Thema zu finden. Und vor allem: der Einsatz der dichten und fantastischen Soundeffekte. Und dabei ist der kreisende Hubschrauber nur der auffälligste, bei Weitem aber nicht der wichtigste. Man höre nur den ständig laufenden Fernseher auf der dritten Seite.


Bewertung:
Musik: 10
Text(e): 10
Produktion, Klang: 10
Cover: 9

Gesamt: 19,75


Wolfgang Kabsch



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