Musik an sich


Artikel
Gary Thain – Meister der tiefen Töne




Info
Autor: Sonja Wagner

Titel: Gary Thain - Meister der tiefen Töne

Verlag: Novum Verlag

ISBN: 978-3-85022-529-8

Preis: € 23,30

488 Seiten

Internet:
http://www.novumverlag.com
http://www.garythain.com
http://www.nickdrake.com

Gary Thain starb sehr jung: nur 27 Jahre wurde er alt und wird somit zusammen mit Janis Joplin, Jim Morrisen, Jimi Hendrix, Brian Jones und Kurt Cobain in der erweiterten Version des tragischen "Forever-27-Klubs" aufgeführt. Bekannt wurde er vor allem als Bassist von Uriah Heep - von 1972 bis 1975 war er hier neben Ken Hensley, David Byron, Mick Box und Lee Kerslake Mitglied des wohl besten und beliebtesten Line-Ups der Band, ehe ihn ein Stromschlag bei einem Live-Auftritt und seine Drogenprobleme den Anschluss an die Band verlieren ließen und er schließlich durch John Wetton ersetzt wurde. Knapp ein Jahr nach seinem unfreiwilligem Ausstieg starb er im Dezember 1975.

Jetzt, über 30 Jahre später, gibt es ein Buch über ihn mit dem Titel Gary Thain - Meister der tiefen Töne. Die Buchrückseite verspricht dabei folgendes: "Wer war der Uriah Heep Bassist Gary Thain wirklich? Zu seinen Lebzeiten stets die Frau im Hintergrund, tritt Sonja nun hervor und räumt mit den gängigen Klischees über sein Leben als Geheimnis umwitterter Rockstar auf. Teils amüsante, teils dramatische Abenteuer aus seiner Jugend runden dieses ehrliche Portrait ab." Bevor Uriah Heep-Fans jetzt vor Freude in die Luft springen: es handelt sich hier nicht um ein Musik-Sachbuch und nicht um eine vollständige Biografie des ehemaligen Uriah-Heep-Bassisten, sondern um einen "Biografischen Roman". Sonja Wagner hat ihn geschrieben, laut Verlagsangaben eine Reiki-Meisterin und Hildegard-Expertin mit Schwerpunkt Kräuterkunde, die mittlerweile in Niederösterreich schottische Hochlandrinder und seltene Apfelsorten züchtet. Und sie "hatte das Glück, einen Schriftsteller und Rundfunkautor als Deutschprofessor zu haben, der ihr Talent schon in der Schule förderte." Nun gut, mit mittlerweile über 50 wird dieses Talent nun endlich öffentlich und ihr Roman gibt interessante Einblicke in ihren Lebensweg mit Gary Thain.

Zur Handlung: während sich Gary Thain mit seiner Band Me and the Others auf einer Tournee in München aufhält, lernt er zufällig Sonja in einem Park kennen (erzählt wird das Buch übrigens nicht aus der Ich-Perspektive, sondern in der dritten Person). Thain ist 18 Jahre alt (rechnerisch muss sich das also etwa 1966 zugetragen haben, konkrete Jahreszahlen werden aber im Buch bis auf zwei winzige Ausnahmen konsequent vermieden) und Sonja ist angeblich 14. Thain verliebt sich in das österreichische Mädchen, welches für einige Wochen mit ihrer Oma in München weilt, bemüht sich um eine Beziehung mit ihr und entjungfert sie binnen weniger Tage, um kurz darauf festzustellen, dass sie nicht 14 (was eigentlich schon schlimm genug gewesen wäre), sondern gerade erst 11 (in Worten: elf) war.

Diese Tatsache stört ihn nur anfangs, er hält die Beziehung aufrecht und mietet in München eine alte Villa als Dauertreffpunkt. Da es anfangs im Bett noch etwas unbefriedigend verläuft, macht er die Elfjährige zunächst mit Alkohol etwas lockerer, wenig später verabreicht er ihr (gegen ihren Willen) auch schon mal nette Tabletten, damit es etwas besser klappt - mit dem Ergebnis, dass die arme Sonja einige Tage ein Kissen zum Sitzen bevorzugt... Der anscheinend oft durch Joints und Tabletten zugedröhnte Gary ist zu allem Überfluss auch noch sehr eifersüchtig, obwohl er selbst eine zweite Dauerfreundin hat (Gisela, immerhin älter als Sonja); dass er diese dann auch noch schwängert, ist natürlich schon dumm gelaufen. Dumm gelaufen für den Leser dieses Buches ist dabei übrigens, dass diese Schwangerschaft zwar ein kurzes Thema im Buch ist, aber dann doch nie wieder aufgegriffen wird, was etwas irritierend und unbefriedigend ist. Trotz all dieser Eskapaden wird Gary Thain in der Geschichte aber von der Autorin fast immer liebevoll und respektvoll beschrieben.

Im letzten Drittel des Buches muss Gary Thain schließlich während seiner Keef-Hartley-Zeit eine Engländerin heiraten, da seine Aufenthaltsgenehmigung in England abläuft und eine Abschiebung nach Neuseeland droht. Leider wird auch über diese Ehe mit Maureen nur recht spärlich berichtet. Etwa zur Woodstock-Zeit (auf dem Festival war übrigens auch Gary Thain mit der Keef-Hartley-Band vertreten) freunden sich schließlich Gary und Sonja mit dem Gitarristen Nick Drake an und bilden ein sehr freundschaftliches Trio, welches sich regelmäßig trifft, musiziert und sogar gemeinsam auftritt.

Das Buch endet dann mit dem mehr finanziell als musikalisch motivierten Einstieg von Gary Thain bei Uriah Heep - genau ab hier hätte es doch noch mal durchaus interessant werden können, doch plötzlich hört das Buch leider abrupt und eigentlich grundlos auf. Etwa im Jahr 1972 ist man auf der letzten Seite angelangt, bei der Nick, Gary und Sonja noch freundschaftlich und eigentlich auch hoffnungsvoll beisammen sitzen und Champagner trinken - aber es gibt keine Details mehr zu Uriah Heep und kein Wort mehr darüber, wie es mit Sonja, Nick und Gary weiter ging... Etwa zwei Jahre später ist Nick Drake tot (ein Jahr zu früh für den "Forever-27-Klub", er wurde nur 26), ein weiteres Jahr später auch Gary Thain - doch dies erfährt der Leser leider nicht in Sonja Wagners Buch - geschweige denn, wie es dazu kam und ob sie zu dieser Zeit noch Kontakt zu ihnen hatte. Die Geschichte scheint damit irgendwie nicht zu Ende erzählt und lässt vielleicht einen etwas ratlosen Leser zurück. Kommt da noch ein zweiter Teil? Oder ist das Ganze nur ein Fake? Ein abschließendes Kapitel, in dem erläutert wird, was aus wem wurde (einschließlich der Autorin) wäre ebenso wie eine sorgfältigere Interpunktion wünschenswert gewesen.

Was soll man nun von diesem Roman halten? Nun, zunächst ist es ein Roman, nicht mehr, nicht weniger. Die einzigen authentischen Merkmale außerhalb der Romanhandlung sind ein paar wenige Bilder von Gary Thain aus frühen Tagen und ein englischsprachiges Vorwort von Graeme Ching, ein ehemaliges Mitglied der Strangers, mit denen Gary Thain seine musikalische Karriere in Neuseeland begann. Auch wenn die Geschichte mitunter den Charme eines Teenie-Romans oder einer Bravo-Fotolovestory hat, lässt sie sich gut lesen. Aber wie viel des Buches ist wahr, wie viel ist nebulöse Erinnerung nach 40 Jahren und wie viel ist Fiktion oder künstlerische Freiheit (zumal oft über Dinge und Details berichtet wird, bei denen Sonja nicht dabei war)? Antworten auf diese Fragen gibt es im Buch nicht, da muss sich der Leser seine eigene Meinung bilden.

Für Uriah Heep-Fans ist Gary Thain - Meister der tiefen Töne wohl eine Pflicht-Lektüre, ansonsten ist das Buch aber auch eine interessante Geschichte aus den wilden 60'ern, geschrieben von jemanden, der dabei war. Musikansich wird sich übrigens mal um ein Interview mit der Autorin bemühen, um zu erfahren, wie die Geschichte von Sonja, Nick und Gary denn nun weiterging...


Jürgen Weber



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