Musik an sich


Reviews
Stockhausen, K-H. (Lischke, W.)

MIXTUR 2003


Info
Musikrichtung: Neue Musik Orchester/Elektronik

VÖ: 22.08.2015

Stockhausen-Verlag / Stockhausen-Verlag CD (DDD 2006) / Best. Nr. CD 106

Gesamtspielzeit: 55:23



A SOUND ODYSSEY

MIXTUR 2003. A SOUND ODYSSEY. Wenn ein Untertitel auf dieses erste live-elektronische Orchesterwerk von Karlheinz Stockhausen passt, dann dieser! Und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. Das Werk hat eine jahrzehntelange Entwicklung durchlaufen: 1964 entstand als eine erste Version MIXTUR für Orchester und Elektronik (vier Sinusgeneratoren und vier Ringmodulatoren). Daraus ging eine Besetzung für fünf Instrumentalgruppen und Elektronik hervor. Anfang der 2000er Jahre schließlich überarbeitete Stockhausen diese Version noch einmal grundlegend und integrierte die Erfahrungen aus 40 Jahren Aufführungspraxis. 2015 endlich erscheint der Mitschnitt der Salzburger Uraufführung von 2006 mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Wolfgang Lischke als Nr. 106 in der CD-Edition des Stockhausenverlags.

Kathinka Pasveer hat aus den mehrspurigen Bändern eine bestens durchhörbare, dabei volltönende und präsente Stereoversion geschnitten und abgemischt. Bei guter Lautstärke offenbaren sich immer noch mehr frappierende Details. MIXTUR 2003 nimmt den Hörer über 20 Stationen (Stockhausen spricht von „Momenten“) auf eine aufregende Klangreise in oft unerhört fremde Regionen mit. Der abenteuerlustige Hörer, der bereit ist, auf dieser Reise zu folgen, darf sich über die Erweiterung seines Hörhorizonts freuen. Und das gleich zweimal, denn wir hören das modular konzipierte Werk in der Vorwärts- und Rückwärts-Version, reisen durch das MIXTUR-Universum gleichsam einmal hin und wieder zurück.
Schon die alte Version wartet ja mit eine Fülle ungewöhnlicher Klangbewegungen, -effekte und -farben auf. Denn die akustischen Instrumente werden live mit Sinustönen ringmoduliert. Daraus ergeben sich Ober- und Untertonreihen, die über Lautsprecher hinzugemischt werden. Es entstehen außergewöhnliche harmonische Spektren von manchmal bizarrer, manchmal betörender Schönheit, die die Anklangsnerven stimulieren und zu phantastischen synästhetischen Fantasien anregen. Es ist eigentlich unmöglich, beim Hören nichts vor den inneren Augen zu sehen.

MIXTUR 2003 ist gewissermaßen Stockhausens eigene Muster-Interpretation von MIXTUR. MIXTUR ist noch um einiges rauer, kompakter und im Ganzen geräuschhafter, zerklüfteter als MIXTUR 2003. Hier nun ist alles aus einem Guss und bis in die Tiefen hinein ausgehört und organisch durchgestaltet, klingt dabei aber um nichts weniger radikal, dafür aber poetischer, verspielter, virtuoser und auch humorvoller. Der Komponist hat dafür zahllose Details, deren Gestaltung ursprünglich den Interpreten überlassen war, genau ausgearbeitet, so dass die außergewöhnlichen Tonformen kunstvoller klingen als in der Urversion – man hört nicht nur die im Laufe der Jahre gewonnenen MIXTUR-Erfahrungen, sondern auch die verfeinerten Klangvorstellungen des LICHT-Opern-Komponisten. Erstaunlich, wie frisch und brillant dabei die alte Technik tönt; angesichts dieser Qualität wird ohne weiteres nachvollziehbar, wieso Stockhausen sich für die analogen Ringmodulatoren ausspricht.
Die Momente, die der Komponist durch Namen wie „Mixtur“, „Blöcke“, „Wechsel“, „Ruhe“, „Stufen“ oder „Pizzicato“ gekennzeichnet hat, sind klar in ihrer jeweiligen Eigenart zu unterscheiden. Für die seltsamen Erscheinungen muss man aber erst einmal seine eigene Sprache entwickeln. Stockhausen spricht von „unbekannten Farbglissandi“, „Mikro-Rhythmen“, „fliegenden Zupfwolken“, „Klirrflächen“, „schwirrenden“ oder „pralligen Soloinstrumenten“ sowie „schlummernden Farbflözen“. Von dieser Assoziationskaskade darf sich jeder Hörer auf seiner Reise zu eigenen Wahrnehmungen inspirieren lassen.

Die Aufnahme ist exklusiv unter http://www.stockhausencds.com/ erhältlich.



Georg Henkel



Trackliste
1MIXTUR 2003 Vorwärts-Version27:58
2 MIXTUR 2003 Rückwärts-Version27:25
Besetzung

Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin

Leitung: Wolfgang Lischke


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