Musik an sich


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Pink Floyd verenden in der Dorf-Disco – Rock-Classic Open Air auf dem Krongut Bornstedt




Info
Künstler: The fabulous Rock Philharmonic Orchestra plays Pink Floyd

Zeit: 07.08.2010

Ort: Krongut Bornstedt, Potsdam

Besucher: 600

Veranstalter: Lux concert.events

Fotograf: Norbert von Fransecky


Das Fabulous Rock Philharmonic Orchestra trat mit dem Anspruch an, „die Explosivität von Pink Floyd mit seinem Orchesterklang und einmaligen Klangeffekten wieder zu geben.“ (Editorial des Programmheftes). Das Ergebnis lässt sich mit drei Überschriften wieder geben. Vor der Pause mit einem leidenschaftslosen „Na ja“. Nach der Pause wechselte das überraschte „Oh, ja!“ mitten in „Shine on you crazy Diamond“ zu einem verärgerten „Oh, Nein!“.
Dem kaum kategorisierbaren Publikum im praktisch ausverkauften Krongut war’s egal. (Potsdamer Gesellschaft oder Pink Floyd-Fans waren kaum zu erkennen. Ich habe exakt zwei Floyd-Shirts gesehen.) Es klatschte brav und begeistert nach jedem Stück frenetischen Beifall.
Aber der Reihe nach.

Die Rahmenbedingungen waren fast ideal. Auch wenn es den Tag über unsicher war, ob es trocken bleiben würde, herrschten am Abend Temperaturen, die es ermöglichten je nach Veranlagung im kurzärmligen Hemd oder mit einer leichten Sommerjacke dem Konzert beizuwohnen. Aufgrund des bedeckten Himmels wären spektakuläre optische Lichteffekte (wie im Programmheft abgebildet) von Anfang an wirkungsvoll gewesen, wenn es denn welche gegeben hätte.

Pünktlich um 20 Uhr 30 rief die Glocke zum Platz nehmen auf.
Das Konzert startet mit dem Schlusstrack von The final Cut“ und feuert das grandiose „Wish you were here“ bereits auf Startplatz 2 ab. Im Mittelpunkt stehen drei Personen(gruppen) und das wird sich auch im Laufe des Abends nicht ändern. Da ist zum einen Dirigent Michel Machee. Er agiert auch als Conferencier und wirkt mit seinem osteuropäischen Charme sehr sympathisch, an dieser Stelle aber nur bedingt passend.
Vor Jahren habe ich bei einem Tschechienbesuch einmal einen Sonntag Nachmittag-Tanz auf der Terrasse einer ehemaligen Poststation am Rande Karlsbads miterlebt. Als Nachmittagbegleiter für diese Gesellschaft reifer Kurgäste hätte Machee gepasst, wie Faust auf’s Auge. Rock und Klassik gehen anders.
Auch ohne Engisch kann man leben – Pierre Julles

Blickfang Nummer 2 war das Vokalquartett Q Vox, an dem sich das Problematische der ersten Konzerthälfte besonders gut verdeutlichen lässt. „Die Publikumsauftritte dieses Quartetts begeistern … durch vollkommenen musikalischen Ausdruck,“ heißt es im Programmheft. Stimmt! Aber Vollkommenheit ist nun gerade kein Wesensmerkmal von Rockmusik. Und der „hohe emotionale Einsatz“, von dem das Programmheft weiter spricht, ist entweder hinter der Vollkommenheit der geschulten Stimmen verborgen oder er wirkt unfreiwillig komisch. Das wird vor allem bei Thomas Badura deutlich, dem es erkennbar Spaß macht aus der „braven Rolle“ auszubrechen. Wenn er aber die Qual oder das Leiden der waterschen Texte darstellen will, überschreit er sich im besten Fall. Besonders niedlich ist Pierre Julles, der offenbar kein Englisch versteht. Dafür macht er seine Sache sehr gut. Aber es kommt dann doch mal vor, dass Vokabeln vertauscht werden. So erzählt er in „Wish you were here“ dem „Heaven“ nicht von der “Hell“, sondern dem „Hill“, aber das ist für den nach 35 Jahren vielleicht mal eine gelungene Abwechslung. An anderen Stellen ergaben sich dafür aber eher sinnfreie Sätze.

Während dem Gesangsquartett die linke Seite der Bühne neben dem Dirigenten vorbehalten ist, agiert auf der rechten Seite einer der Aktivposten des Abends, Anton Mühlhansl am Saxophon. Seine Auftritte werden ebenso wie die der Q Vox besonders hervorgehoben. Ihr Platz ist hinter dem Vorhang. Und so haben sie die Möglichkeit bei jedem ihrer Einsätze publikumswirksam neu aufzutreten.
Mühlhansl gelingt es wie keinem anderen Musiker an diesem Abend die Emotionalität der Pink Floyd Kompositionen wirklich zu übersetzen.
Nach „Wish you were here“ gibt es ratlose Blicke und verlegenes Schulterzucken im Publikum. Das wie ein Kinderlied klingende „The Gnome“ vom Debüt-Album The Piper at the Gates of Dawn, eine der Überraschungen des Abends, kennt wohl kaum jemand – übrigens auch der Macher des Programmheftes nicht, der daraus kurz entschlossen „Gnom“ macht.
Die erste Konzerthälfte wurde nach „Time“ von einen zehnminütigen Stromausfall unterbrochen, beim dem dem Ensemble die Routine und Flexibilität fehlte, die Panne zu überspielen. Da half ein Kopfstand(!) des Dirigenten und ein knappes Schlagzeugsolo auch nur bedingt weiter.
„Dogs“, „Time“ und „Another Brick in the Wall” waren die Highlights der ersten Hälfte. Aber selbst meine Frau, die mit dem Pink Floyd Material überhaupt nicht vertraut war, erkannte wie zahm und glatt alles wirkte und stellte in der Pause den Sinn (rebellische) Rockmusik von einem klassischen Ensemble aufführen zu lassen grundsätzlich in Frage.
“Spektakuläre“ Lichteffekte

Vielleicht lag das Ganze auch an der Präsentation. Optisch wurde wenig geboten. Die gelegentlichen Lichteffekte waren eher hilflose Versuche an die spektakulären Multi-Media-Shows Pink Floyds anzuknüpfen. Besonders unverständlich, warum man den Gitarristen Jerry Sova und dem im Programmheft namentlich nicht erwähnten Bassisten konsequent hinter(!) dem Schlagzeug versteckt hat. Sova war gut, wenn er Gilmour natürlich auch nicht ersetzen konnte. Aber bei seinen Soloparts konnte man ihn nur aus einem bestimmten Winkel als Spiegelbild in den Plexiglaswänden neben dem Schlagzeug sehen, während die sichtbaren Musiker Pause hatten. Mit heutiger Drahtlostechnik hätte man ihn problemlos wie Mühlhansl für seine Soli nach vorne treten lassen können – zumal er als einziger Musiker so etwas wie Stageacting bot.

Das nie auf einem regulären Album erschienene „When the Tigers broke free“ eröffnete unspektakulär die zweite Hälfte, lies nach dem sehr ruhigen Beginn aber erkennen, dass das Orchester nach der Pause entspannter, lockerer und warm gespielt auf die Bühne kam. Das etwas Steife und Zahme schien abzufallen. Einer der ganz großen Floyd-Songs „Echoes“ kündigte sich mit dem charakteristischen Echolot-„Pling“ an. Das überraschende Highlight des Abends folgte aber mit einer der ersten Singles der Band. Bei „See Emily play“ ging wirklich die Post ab. Das Orchester spielte wie eine echte Einheit und mit einer Unmittelbarkeit, die man bei Ensembles, die vom Blatt spielen, in der Regel nicht findet. Entsprechend gut gestimmt hörte man die Ansage zu „Shine on you crazy Diamond“. Hier wurde meine Frau zum ersten Mal von Pink Floyd gefesselt, wie sie mir später erzählte. Der Aufbau des Stückes, seine Melodie und dessen verwandelte Durchführung hätten das Scheinen des Diamanten richtiggehend erfahrbar gemacht. „Oh, Ja!“ Das waren Pink Floyd.
Viel mehr war von der Band nicht zu sehen.

Und dann bäumt sich das Stück auf – und trifft den Mixer offenbar mit voller Wucht am Hinterkopf. Bässe rein! Lautstärke rauf! Geflüsterte Bemerkungen der Nachbarin waren in der dritten Reihe plötzlich nicht mehr zu hören. Die Streicher hätten eigentlich nach Hause gehen können. Hören konnte man sie bei dem Bassgewitter eh nicht mehr.
Das Filigrane, das „Shine on you crazy Diamond“ zu einem der schönsten Stücke der Rockgeschichte macht, wurde mit dem Absatz des Mixers im Staub zertreten. Dass auf seinem Mischpult eine silberne Miniatur-Disco-Kugel montiert war, ist wohl kein Zufall. Mit dem Umta-Umta-Sound einer Dorfdisco wurde ein Orchester, das sich gefunden hatte, in die Nacht geschickt.
Schade! Vor allem, weil es in den ersten drei Vierteln erstaunlich gut gelungen war, Drums und Orchester in der Balance zu halten.
Nach dem Beginn von „Money“ haben wir um 22.30 Uhr das Schlachtfeld mit der noch zuckenden Leiche eines Konzertes verlassen. Das Publikum klatschte wie blöde.
Nach fünf Minuten Fußmarsch hingen die Bässe noch in der Luft. Auch für die Bewohner des malerischen Bornstedts wäre ein Mixer mit Gefühl für das, was er macht, - nicht zuletzt um diese Uhrzeit - ein Gewinn gewesen.



Norbert von Fransecky



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