Musik an sich


Reviews
Cage, J. (Pestova – Meyer Piano Duo)

Works for Two Keyboard 1 & 2 (Vol. 1 & 2)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Klavier

VÖ: 06.01.2014

(Naxos / Naxos / CD / DDD / 2012 / Best. Nr. 8.559726 & 8.559727)

Gesamtspielzeit: 106:44



CAGES KLAVIERMUSIK ZWISCHEN GAMELAN- UND SPIELZEUGKLÄGEN

Diese auf insgesamt drei CDs angelegte Edition mit Werken, die John Cage (1912-1992) für zwei Tasteninstrumente geschrieben hat, bietet zugleich einen Querschnitt durch sein umfangreiches und enorm verschiedenartiges Schaffen. Die ersten beiden Teile, die das Pestova/Meyer Piano Duo währende der Aufnahmesitzungen 2012 im Espace Découverte der Philharmonie Luxemburg eingespielt hat, wurden 2013 und 2014 veröffentlicht und man kann schon jetzt vor maßstäblichen Produktionen sprechen: Hinsichtlich des vollen, präsenten Klangbildes, der rhythmischen Präzision und des klangfarblichen Reichtums bleiben keine Wünsche offen.

Bevor Cage sich einer Musik zuwandte, die vornehmlich durch Zufallsoperationen generiert wurde, komponierte er traditionell notierte Stücke, bei denen er vor allem nach neuen Klangfarben und einem gleichsam objektiven, nicht-westlichen Stil suchte. Eine Station auf diesem Weg waren seine Stücke für präpariertes Klavier: Kleine Schrauben, Metall-, Gummi- und Kunststoffteile zwischen den Saiten dämpfen und verzerren den Klang und machen aus dem Klavier ein Perkussionsinstrument, das manchmal an ein balinesisches Gamelan-Ensemble erinnert. Die Erfindung des präparierten Klaviers war aus der Not geboren: Die meisten Stücke waren als Musik für Tanzproduktionen von Cage Partner Merce Cunnigham gedacht; da es dabei aber an Platz für das ursprünglich vorgesehene Schlagzeug mangelte, simulierte es Cage mit Hilfe eines manipulierten Konzertflügels.
Mitunter komponierte er auch Stücke für zwei präparierte Klaviere, nämlich A Book of Music (1944, CD 1) und Three Dances (1945, CD 2). Beide zeichnen sich durch Virtuosität und vorwärtstreibende, motorische Rhythmik aus, die den Hörer in eine gewisse Trance versetzen kann. Die modale, aus kleinen Zellen gefügte Musik wirkt orientalisch. Es gibt keine Modulationen oder Spannungsverläufe wie in der klassischen westlichen Musik; traditionelle Harmonik und Ausdruck interessieren Cage nicht. Die Werke leben ganz von den ungewöhnlichen, teilweise an elektronische Musik erinnernde Klangfarben und der körperlichen Präsenz der Musik.

Cages Lust auf ungewohnte Klänge und seine Ausschaltung konventioneller Geschmackskategorien führten ihn schließlich auch zum Spielzeugklavier, eine Art Glockenspiel im Mini-Klavierkorpus, das eigentlich für Kinder gedacht ist. Cage bedenkt es mit einer ganz ernsthaft komponierten und zugleich seltsam archaischen Suite für Toy Piano (1948, CD 1), so dass eine Art heimeliger Avantgarde-Sound entsteht. Bei dem bizarren Duo Music for Amplified Toy Pianos (1960, CD 1) kommen jene Zufallsoperationen zum Einsatz, die Cage ab Ende der 1940er Jahre ins Zentrum seines Schaffen stellte und die bis zum Schluss in mehr oder weniger modifizierter Weise seine Musik prägen sollten. In diesem Fall wird aus mehreren mit grafischen Figuren bedruckten Folien ein Diagramm gelegt, das dann als Partitur fungiert. Die Zahl der Ausführenden und die Dauer sind offen. Hier mischen sich noch allerlei undefinierbare Geräuscheffekte (diverses Schlagzeug oder Alltagsgegenstände) unter den Spielzeugklang. Das Ganz erinnert an eine Installation, die nicht von Menschenhänden, sondern von Wind und Wetter bewegt und zum Klingen gebracht wird. Oder an ein Ritual, dessen Regeln den Zuhörenden zwar verborgen bleiben, das aber trotzdem eine starke kontemplative Spannung, ja Magie erzeugt (noch ein genau platzierter Huster kann da gleichsam schamanische Wirkungen entfalten …)

Ähnlich radikal, dabei aber viel abstrakter ist Music for Two (1984/87, CD 2). Während bei Klavier 1 die Saiten gestrichen werden, wird das andere Klavier konventionell gespielt; die Musik ist aber in beiden Fällen frei von jeder thematischen Bindung oder ‚Durchführung‘. Mal gibt es einzelne Töne, mal vollgriffige Akkorde zu hören. Manches erinnert an eine fragmentierte Melodie, anderes scheint ein verfremdetes Zitat klassischer Klavierliteratur zu sein. Eine übergeordnete Ordnung ist nicht zu erkennen. Allerdings ist das Stück in unterschiedlichen Versionen trotzdem wieder zu erkennen.
Beide Klavier-Teile entstanden zunächst unabhängig voneinander und werden erst im Moment einer Duo-Aufführung kombiniert. Dabei kommen auch erstmals jene für das Spätwerk Cages charakteristischen „Zeitklammern“ zum Einsatz, die angeben, innerhalb welchen Zeitraums eine Aktion begonnen oder beendet werden soll. Die Ausführenden behalten eine Stoppuhr im Auge und entscheiden selbständig, wie sie den Zeitrahmen ausnutzen: Halten sie z. B. ein Ereignis lange aus oder spielen sie es nur kurz an? Anders als bei den Stücken für präpariertes Klavier ist diese Musik sehr viel unsystematischer, zerklüfteter. Das Wechselspiel von Klang (der nichts bedeutet, nichts sein will, außer das, was man eben hört) und Stille ist sehr wichtig. Etwas geschieht – nichts geschieht – etwas erklingt – etwas verklingt. Die einzig mögliche Hör-Haltung bei dieser Musik ist eine hellwache meditative Aufmerksamkeit, die jedes Ereignis nimmt, wie es kommt. Die konzentrierte, durchaus sinnliche Widergabe durch das Pestova/Meyer Piano Duo ist dabei eine große Hilfe.



Georg Henkel



Trackliste
Vol. 1: 54:19
01-02 A Book of Music 34:25
03-07 Suite for Toy Piano 7:13
08 Music for Amplified Toy Pianos 12:42

Vol. 2 52:27
01 Music for Two 29:25
02-04 Three Dances 23:02
Besetzung

Xenia Pestova, Pascal Meyer: Klaviere



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