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Artikel
Die Veränderung steht niemals still




Info
Gesprächspartner: Standstill

Zeit: 29.06.2004

Stil: Post-Hardcore

Internet:
http://www.standstillband.com

Ein großes Phänomen was Labels angeht ist Bcore aus Barcelona. Irgendwo graben diese Menschen in einer einzigen Stadt regelmäßig hochklassige Bands wie Tokyo Sex Destruction, Aida, Maple, Madee oder The Unfinished Sympathy aus. Seit einigen Jahren sind auch Standstill bei Bcore zu Hause, die sich seither mit jeder Platte fast als völlig neue Band präsentiert hat. Sie zählen unumstritten zu den bemerkenswertesten Post-Hardcore-Bands, meiner Meinung nicht nur europaweit. Konstant ist die Intensität, mit der Standstill live als auch auf Platte faszinieren. Ist The Tide noch New School Hardcore, ist The Ionic Spell schon etwas offener, finden sich auf Memories Collector immer ruhigere Momente und sogar elektronische Elemente. The Latest Kiss ist eine akustisch aufgenommene EP, die ein ganz neues Gesicht offenbart. Auf dem neuen, selbstbetitelten Album greift Sänger Enric oft zu seiner Akustik-Gitarre, die Songs verlieren sich dann irgendwann im Crescendo. In den Liedern gibt es keine Wiederholungen oder klare Gleiderungen, auf technisch hohem Niveau ist jedes sehr dynamisch und in ständiger Bewegung. Die Hardcore-Elemente werden live ganz klar, auf Platte muss man jedoch schon deutlicher hinschauen. Eine der bemerkenswertesten Neuerungen ist der spanische Gesang, den Standstill vor circa einem Jahr schon im Interview angekündigt haben.

MAS: Heute werdet ihr euch mit den spanischen Texten das erste Mal einem Publikum außerhalb Spaniens stellen. Wie ist das für euch?

Enric: Ja, wir sind gespannt. Die einzigen Deutschen, die das Album bisher gehört haben mögen es, aber mal schaun wie’s ankommt.

Elías: Auf den Kanaren letztes Wochenende haben wir die Songs zum ersten Mal vor spanischen Leuten gespielt. Das war wirklich cool.

MAS: Wie ist es für dich auf spanisch zu singen?

Enric: Ich fühle mich besser dabei, vor allem auf der Bühne. Ich kann mich viel besser ausdrücken, viel einfacher das zu sagen was ich möchte.

MAS: Wie war es deine Stimme Spanisch singen zu hören?

Enric: Zunächst komisch, aber jetzt hat sich das umgedreht und ich finde es komisch mich Englisch singen zu hören.

Elías: Für die Musik als ganzes ist das auch besser. Die Instrumente und der Gesang sind sich jetzt näher. Durch die spanischen Texte können wir besser das spielen, was die Texte ausdrücken wollen. Wenn Enric was intensives singt, spielen wir es auch viel intensiver, weil wir es eben viel besser verstehen. Die Sprachbedeutung der Muttersprache ist einem viel bewusster.
Enric: Vorher waren die Texte eher nur meine Sache, aber durch die Sprache teilen wir das jetzt eher alle zusammen. Jeder weiß besser was ich meine.

MAS: Wie würdet ihr die neue Platte in Worten beschreiben?

Enric: Sie ist kompakter, die Instrumente beschränken sich auf das wesentliche und kommen dadurch als einzelne auch besser zur Geltung. Aber auf der anderen Seite auch komplexer. Wir haben einander viel besser zugehört diesesmal.

Elías: Die Kommunikation zwischen den Instrumenten ist klarer. Bass und Schlagzeug sind sich sehr nahe und irgendwie ergibt sich dann der komplette Sound.

Vor allem Elías kämpft immer wieder stark mit seinem Englisch. Er beginnt langsam einen Satz, fängt dann an sehr sympathisch zu lachen... „Sorry, I forgot my English“. Leider konnte mein klägliches Spanisch auch keine Abhilfe schaffen, es führte beim zweiten Teil des Interviews sogar zu krassen Fehlinterpretationen.
Wo wir schon bei Sprachen sind musste ich auch noch Fragen warum sie auf Spanisch singen und nicht auf Catalán, der Sprache die eigentlich in Barcelona und dem Rest Kataloniens gesprochen wird. Das scheint aber ein kulturelles Problem zu sein, weil da wohl sogar Künstler bezahlt werden Musik, Theater, usw. auf Catalán zu machen und somit schnell ein politisches Instrument werden. Da sich die Jungs sowieso auf Spanisch, also Castellano, unterhalten, lag es nahe auch Spanisch zu singen.

MAS: Ihr habt nun einen neuen Gitarristen. Wieso das?

Enric: Carlos war das ganze Touren zu viel und deshalb hat er dann aufgehört. Glücklicherweise haben wir sogar noch einen besseren gefunden, Ruben, der sowieso ein Freund von uns ist.

MAS: War die Freundschaft eine Voraussetzung dafür?

Enric: Ja, auf jeden Fall. Wenn man als Band auf Tour so lange zusammenhängt ist es wichtig sich gut zu kennen. Das mit Carlos hatte aber keine persönlichen Gründe, er war einfach überlastet und konzentriert sich jetzt nur noch auf Half Foot Outside, seine andere Band.

Elías: Wir respektieren seine Entscheidung völlig:

MAS: Habt ihr auch Projekte neben Standstill?

Enric: Die beiden Gitarristen spielen in It’s Not Not, Piti jedoch als Schlagzeug, der Sänger von Tokyo Sex Destruction den Bass und der Sänger ist von einer alten Band aus Barcelona aus den 90ern.

MAS: Als Band seid ihr durch viele stilistische Änderungen gegangen. War das schwer für euch, diese Entwicklung als Band gemeinsam in diese spezielle Richtung zu machen?

Enric: Der Sound hat sich geändert, weil wir uns geändert haben.

Elías: Ich bin nicht der selbe Mensch wie morgen, deshalb verändert sich die Band eigentlich täglich, weil sich jeder Mensch täglich ändert. Auch wenn jede CD anders klingt ist es immer Standstill.

Enric: Memories Collector war sehr extrem, man konnte einen großen Schritt von Ionic Spell zu dem Album erkennen und das selbe fühle ich jetzt eigentlich auch. Und eben nicht nur in der Musik, sondern auch in der Band.

MAS: Ihr werdet auch immer ein bisschen größer und bekannter. Mit jedem Frühling, an dem ihr hier in Deutschland spielt, kommen mehr Leute zu euren Shows. Ist das auch belastend?

Enric: Nein, das ist natürlich toll! Wir treffen immer neue Leute, aber wir treffen auch die gleichen Leute an anderen Punkten wieder. Schau, wir haben letztes Jahr das Interview gemacht und wir drei waren alle anders und jetzt sieht man sich an neuen Stationen wieder. Das ist was ganz besonderes am Touren. Belastend oder beängstigend ist es nur, wenn etwas zu schnell geht, aber bei uns ist das alles sehr gleichmäßig und deshalb ist das auch kein Problem:

Elías: Wir sind ja jetzt auch nicht gerade von ner kleinen Club-Tour zu den Riesenhallen aufgestiegen. Das ist wirklich gut so. Alles geht Schritt für Schritt.

MAS: Wie ist eigentlich euer Theater-Projekt gelaufen? Euer eigenes Theater-Stück?

Enric: Wir haben es dreimal in Barcelona vorgeführt und den Leuten hat es gut gefallen. Es war richtig schön.

Elías: Unser Publikum ist diesen Rahmen nicht unbedingt gewohnt, das war für uns und für sie interessant. Wir haben ganz ruhig hinter einem Vorhang gespielt während zwei Schauspieler mit Videounterstützung vor dem Vorhang waren.

Enric: Wir haben die Songs in der selben Reihenfolge wie auf dem Album gespielt, aber es war eine ganz andere Sicht auf das Album.

MAS: War das Publikum gemischt?

Elías: Das war ganz gemischt, einmal die Leute, die unsere Musik normalerweise hören und eben Leute, die oft ins Theater gehen und mit unserer Musik noch keinen Kontakt hatten. Das war sehr interessant.

Beim zweiten Teil des Interviews in Esslingen ging es dann vorwiegend um das neue Album. Mittlerweile kann man auf der Bandhomepage auch Übersetzungen der Songtexte finden, da diese hübsche Seite zu dem Zeitpunkt aber noch nicht online war, habe ich unsere Runde ein wenig mit den schon erwähnten Fehlinterpretationen ermuntert. So habe ich zum Beispiel rausgefunden, dass Gibellina eine kleine Stadt in Sizilien ist, die in den 60ern von einem Erdbeben zerstört wurde und nun ein zeitgenössisches Kunstzentrum ist, wo Standstill eine Weile im Theater mitgearbeitet haben. „La vieja Gibellina“ ist also die Verarbeitung der Erfahrungen, die die Band dort gemacht hat, selbstverständlich vielschichtig und sehr symbolisch.

MAS: Sind „Feliz en tu dia“ und „Poema No. 3“ real oder erfunden?

Enric: Die sind beide real.

MAS: Bei „Poema No. 3“ geht es um eine Beschreibung einer Trennung zweier Menschen. Interessant ist, dass das „Wie“ egal ist sondern es eine reine Beschreibung von der Situation ist.

Enric: Ja, genau, so war das auch geplant.

Elías: Da gefällt mir die Stimme besonders gut. Die Emotion dieses Songs kommt da besonders gut zum Tragen.

MAS: Ja, das geht mir auch so. Die spanische Sprache passt vor allem ganz perfekt zu der Emotion des Songs. Du hast da auch sehr viele Worte verwendet. Ihr habt wieder einige Verweise zu dem tierischen Wesen des Menschen drin. Ist das eine Art Grundidee? Kann man das mit dem Text von „Naked Monkey“ zum Beispiel vergleichen?

Enric: Da hab ich noch gar nicht so darüber nachgedacht, aber das kann schon von der Denkart kommen. Menschen sind auf jeden Fall Tiere.

MAS: Ich fand es schön zwischen den ganz verschiedenen Sounds der Alben auch irgendwo Parallelen zu entdecken.

Enric: Auch wenn das Denken sich immer ändert wie sich eben alles ändert gibt es doch irgendwelche roten Fäden, die sich durchziehen. Was das tierische angeht geht es zum Beispiel in „Todas Las Cosas“ auf den Alkoholeinfluss. Es eine Beschreibung eines Abends, an dem man sich betrinkt und der rationale Teil des Hirns ausradiert wird und man dem Tier mit jedem Schluck näher kommt. Das ist aber auch nur ein Teil des Textes.

MAS: „Si me levanto“ hat nur wenig Text, ist aber sehr intensiv. Versteht ihr das Individuum als ein Produkt der Gesellschaft?

Enric: Ich wollte das sehr abstrakt machen und es hat auch noch eine nähere Bedeutung für mich, aber das soll sich auf jeden Fall auch auf die Gesellschaft übertragen lassen.

Elías: Ich kann dir da noch einen Aufnahme-Trick verraten. Bei der letzten Zeile „wenn ich aufstehe, bringe ich dich um“ kommt Enric langsam immer näher ans Mikro ran, das hat mich völlig verblüfft.

MAS: War „Cuando“ wichtig um euch reflektierend noch mal zu entscheiden, dass der Weg, den ihr als Band geht, richtig ist?
Enric: Es war sehr wichtig über uns und die Bedeutung der Band für uns im ganzen Album zu sprechen und „Cuando“ ist da am deutlichsten. Man könnte fragen was der Sinn ist eine Band zu haben, es geht eben auch um die schlechten Seiten, die menschliche Natur, Zweifel, das alles... Ich glaube in diesem Song sind wir den Leuten sehr nahe, weil wir mit diesem Song viel teilen.

Elías: Alle Situationen in dem Song sind echt...

MAS: Der Name deines Sohnes (auch Elías) kommt ja auch darin vor.

Elías: Genau, die Geburt des Kleinen ist natürlich was ganz echtes, aber all die Situationen sind sehr persönlich. Ich mag es sehr das beschreiben zu können.

MAS: In „Un gran final“ gibt es die Textzeile “kleiner Cowboy, geh heim”. Ich gehe ja fast davon aus, dass ich das falsch verstanden habe, aber könnte man das politisch verstehen?

Enric: Nein...

Elías: Mach dir nichts draus, die Textaussage habe ich auch falsch interpretiert. Enric ging es um die Heimkehr von so was wie einer Tour.

Enric: Da habe ich ein kitschiges Bild von einem klischeehaftem Western-Happy-End als Symbol für Heimkehr und Einsamkeit verwendet. Wir sind diese Verletzten, die sich noch nach Hause retten.

MAS: In geschickter Überleitung wollte ich euch jetzt über die Geschehnisse des 11.3. in Madrid befragen, aber die Überleitung ist jetzt weniger galant. Trotzdem, wie habt ihr das wahrgenommen?

Enric: Unsere letzte Regierung war sehr konservativ und hat sich den Amerikanern und Briten in dem wirtschaftlichen Krieg angeschlossen. Aznar war auf jeden Fall scheiße, jeder ist dagegen auf die Straße gegangen, aber das hat keinen gejuckt. Es ist schwer was dazu zu sagen, wir haben auch die ETA-Anschläge immer wieder, doch man hat sein Leben und das ist meistens nicht wirklich davon beeinflusst. Das war in dem Fall dann schon schockierender, wir haben gemerkt, dass der Krieg unserer Regierung nicht weit weg ist, sondern auch bei uns stattfindet.

Elías: Das ist schon sehr schwer, was den Regierungswechsel angeht war das natürlich eine gute Konsequenz, aber für die unschuldigen Leute eben der Tot.

MAS: Man kann das fast nicht sagen, aber 200 Leute hätten ohne Regierungswechsel vielleicht eine relativ kleine Zahl sein können im Vergleich zu denen, die woanders auf der Welt dafür umgekommen wären. Glaubt ihr, das Attentat hat die Leute auch irgendwie politisch wachgerüttelt?

Enric: Ich glaube, die Leute vergessen sehr schnell. Als die ETA einen Zivilisten getötet hat waren Millionen Menschen auf der Straße und kurz darauf war das Thema wieder weg. Wir wollen alle in unseren Betten schlafen, uns auf unser Leben beschränken...

Elías: „....y en cada cama almohada para los cerdos buenos“ – „in jedem Bett Kopfkissen für die guten Schweine“

MAS: Jetzt mal weg von den Texten. Hattet ihr musikalische Einflüsse, die euch jetzt gerade stark geprägt haben oder glaubt ihr an so etwas, dass man Musik in sich selber finden kann?

Enric: Nein, das ist Quatsch, ich glaube nicht, dass irgendetwas von innen kommt. Das lässt sich immer irgendwo finden. Einflüsse gab es schon...

MAS: Mars Volta vielleicht?

Enric: Ja, für manche von uns auf jeden Fall, aber wir hören alle sehr unterschiedliche Musik....

Elías: Aber Mars Volta stimmt schon.

MAS: Die Basslinie in 88:88 erinnert mich daran.

Elías: Das kam von der Drumlinie von Ricky und dann habe ich etwas darüber gespielt. Enric hat dann vorgeschlagen wie Linien zu mixen, also muss das dann schon unterbewusst sein. Ich denke da nicht bewusst an Mars Volta oder Salsa oder weiß ich was, aber es ist dann wohl doch irgendwie da.


Kevin Kirchenbauer



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