Musik an sich


Artikel
10 Jahre musikansich.de – Die MAS-Redaktion erinnert sich




Info
Gesprächspartner: Die MAS-Redaktion

Zeit: Mai 2011

Ort: Quer durch Deutschland

Interview: E-Mail

Stil: Alles

Internet:
http://www.musikansich.de

Norbert von Fransecky: Juni 2011! Seit 10 Jahren erscheint musikansich.de im Netz der Netze. Grund genug, Rückschau zu halten. Vieles ist passiert. Manches ist geblieben – das ungewöhnliche monatliche Erscheinen eines Online-Produkts zum Beispiel, oder die völlige Entgrenzung musikalischer Stile. Leider fehlen Free Jazz, Kinderlieder und krachlederne Volksmusik weitgehend.
Vieles hat sich verändert. Zum Beispiel die Mitarbeiterschaft. Wenn ich das Impressum der ersten Ausgabe von musikansich.de aufrufe, finde ich nur zwei Namen, die bis heute dabei sind: den von Rainer Janaschke und meinen eigenen.
Persönlich gesehen habe ich in diesen zehn Jahren genau zwei Mitarbeiter: Mit Sascha Christ und dem Herrn Pippin Peregrin bin ich im Jahre 2003 zusammengetroffen, als wir alle drei den Ökumenischen Kirchentag in Berlin nach musikalischen Schätzen abgesucht haben. Beide sind schon lange nicht mehr dabei.
Mit drei oder vier anderen aktuellen und vergangenen MitarbeiterInnen habe ich gelegentlich telefoniert. (Leider ist nur hier die inklusive Schreibweise von Nöten, da sich das weibliche Geschlecht sehr rar macht.). Aber die alltägliche Kommunikation innerhalb der Redaktion läuft über e-mails, Mailing Groups und das Internet. Wir sind offenbar ganz eindeutig ein Baby des virtuellen Jahrhunderts.
In diesem – selbstverständlich per e-mail geführten Gespräch – wollen wir ein wenig Licht in die Geschichte eines Internet-Magazins werfen, das ohne jede Unterstützung von irgendwem 10 Jahre lang allmonatlich mit einer lesenswerten Ausgabe an die Öffentlichkeit heran getreten ist.
Um einen Anfang zu machen frage ich meinen Dinosaurierkollegen Rainer einfach mal: Wie bist Du eigentlich zu musikansich.de gekommen?
MAS-Gründer Hendrik Stahl

Rainer Janaschke: Hendrik Stahl, der Gründer von musikansich.de, hatte mich angeschrieben. Meine email Adresse hatte er wohl aus dem Rock Hard entnommen. Ich hatte damals einen Leserbrief an das Rock Hard geschrieben. In diesem Brief hatte ich mich über die damalige Veröffentlichungspolitik eines Rage Albums geärgert. Auf diesen Leserbrief hat damals nicht nur Hendrik reagiert, sondern auch ein Mitarbeiter von Nuclear Blast, dem es überhaupt nicht gefallen hat, dass man sich öffentlich darüber beschwert, dass es einem Fan nicht gefällt, wenn ein paar Wochen nach Erstveröffentlichung eines Albums, eine neue Version mit Bonussongs erscheint!

Über Hendriks Mail habe ich mich damals sehr gefreut. Ich fand das Konzept, eines nicht auf eine Sparte reduzierten Magazins sehr interessant. Dummerweise habe ich damals zeitgleich mein Abendstudium abgeschlossen, den Job gewechselt (wir Hobby Schreiber müssen ja auch von irgendwas leben) und war gerade in den Planungen für den Bau eines Hauses. Da blieb wenig Zeit für musikansich.de, so dass ich mich erst mal wieder von dem Projekt verabschiedet habe und meine Tätigkeit für musikansich.de erst Anfang 2006 wieder aufgenommen habe.

Die Frage möchte ich gleich an Dich zurückgeben Norbert, wie waren Deine Anfänge bei musikansich.de. Erinnerst Du Dich noch an besondere Gegebenheiten aus der Anfangsphase?

Norbert von Fransecky: Die Anfänge waren ähnlich wie bei Dir. Hendrik hatte um 2000 herum wohl alle Leserbriefschreiber, die in den etablierten Hard Rock und Metal-Postillen mit e-mail Adresse angegeben waren angeschrieben. Er war in der Abiturphase dabei eine semi-wissenschaftliche Arbeit zur „Ästhetik des Heavy Metal“ zu schreiben. Dazu wollte er auch die Stimmen von Fans hören.
Und so erhielt ich von ihm einen Fragebogen, der sich darauf bezog, wie der Output von Rage, Rhapsody und Six Feet under auf mich gewirkt hat.
Der Fragebogen hatte mich neugierig gemacht und so hatte ich Hendrik gefragt, wozu er ihn brauche und ihn dann um ein Exemplar, bzw. eine Datei seiner Arbeit gebeten, die letztlich wohl sehr gut bewertet worden ist.
Einige Zeit später bekam ich dann die Anfrage, ob ich Lust hätte bei musikansich.de mitzuarbeiten. Das kam mir gelegen. Ich hatte während meiner Tätigkeit als Freier Mitarbeiter der Märkischen Allgemeinen Zeitung Kontakt zu mehreren Labels aufgenommen, um über Bands zu schreiben. Unter anderem ist dabei ein fast ganzseitiger Artikel über Cradle of Filth und Black Metal herausgekommen.
So stand ich auf der Verteilerliste einiger Plattenfirmen und bekam immer wieder CDs zugeschickt, die ich nur in Einzelfällen unterbringen konnte. Musikansich.de bot sich damit als Abnehmer regelrecht an.

Dass ich so am Start eines neuen Online-Magazins beteiligt war, habe ich damals gar nicht realisiert. Ich habe Hendrik einfach meine fertigen Reviews zugeschickt und er hat sie veröffentlicht. Als wir dann irgendwann die „Steckbriefe“ eingestellt haben, hatte ich bei Hendrik noch mal nachgefragt, seit wann ich dabei bin. Und er sagte: „Von Anfang an.“
Als ich letztes Jahr unser Archiv mit den frühen Ausgaben vollständig gemacht habe, sah ich, dass er Recht hatte.

Und jetzt werde ich mal privat. Du sprichst von Jobwechsel und Abendstudium. Was für ein Mensch steckt denn hinter dem Redakteur Rainer Janaschke?

Rainer Janaschke

Rainer Janaschke: Schwierige Frage, wenn man etwas über seine eigene Person sagen soll. Abendstudium und Jobwechsel fielen damals (un)geschickterweise auf einen Zeitpunkt, da mein damaliger Arbeitgeber (eine amerikanischer Automobilkonzern) nach Berlin umgezogen ist. Ich hätte zwar mitgehen können, aber aufgrund irgendwelcher Bestimmungen konnte ich mein BWL / Marketing Abendstudium in Berlin nicht vollenden. Da ich aber schon mehr als die Hälfte meines Abendstudiums abgeschlossen hatte, habe ich mir einen neuen Job gesucht und bin bei einem japanischen Automobilkonzern gelandet, wo ich auch heute noch beschäftigt bin. Zudem nehme ich gerne neue Herausforderung an, ganz nach der Devise „Stillstand ist Rückschritt“

Als geborener Kölner bekommt man mich aber auch nicht länger als 3 Wochen aus meiner Heimatstadt weg, ein weiterer Grund damals nicht nach Berlin zu gehen!

Neben dem beruflichen Menschen Rainer Janaschke gibt es aber natürlich den privaten Menschen, der ein paar Hobbies hat. Das wären zum einen Musik und zwar in Form von musikansich.de, ganz viel Musik hören und das Erlernen der elektrischen Gitarre, was zunehmend besser klappt. Dann gibt natürlich noch die Familie, welche der wichtigste Bestandteil im Leben ist. Meine Tochter aufwachsen zu sehen, ist wohl das spannendste, längste und manchmal auch nervigste Erlebnis.

Leider hat der Tag manchmal zu wenig Stunden um das alles unter einen Hut zu bekommen. Da muss dann schon mal das eine oder andere Hobby leiden. Ich weisß, dass Du Lehrer bist, Familie hast und wohl auch ein Pastorenamt ausübst! Wie bekommst Du das alles unter einen Hut?

Norbert von Fransecky: Gute Frage! Eine Frage, die mich selber seit Monaten begleitet. Logischerweise steht der Brötchenjob vorne an. Ich bin Religionslehrer an zwei Schulen, einem Gymnasium und einer Realschule, die gerade mit einer Hauptschule fusioniert wurde und sich jetzt Sekundarschule schimpft. Berliner Schulpolitik.
Zudem ist Religion, anders als in (fast) allen anderen Bundesländern kein Pflichtfach, das von staatlichen Lehrern unterrichtet wird, sondern ein freiwilliges Darüberhinaus. Die Lehrer sind von den Kirchen angestellt. Das ist ein Erbe des Vier-Mächte-Status, da weder die UDSSR noch Frankreich ein reguläres Fach Religion akzeptiert hätten.
Seit der Einführung des Faches Ethik als Pflichtfach für alle Schüler ist es für uns Religionslehrer immer schwieriger geworden arbeitsfähige Religionsgruppen zusammenzuhalten. Das bindet uns arbeitsmäßig massiv an die Schulen.

In der Gemeinde muss ich mich daher ziemlich rar machen. Gemeindekirchenratssitzungen schwänze ich regelmäßig. Aber ich bemühe mich, meinen Rhythmus von einem Gottesdienst in 6 Wochen einzuhalten.
Norbert von Fransecky

Dann gibt es da die Familie, d.h. Frau und angeheirateten Sohn, Haus, Garten und zwei Katzen, die gelegentlich über meine zu geringe Anwesenheit klagen.

Ja und dann die MAS. Mein selbst gesetztes Ziel besteht in einer Review und einer News pro Tag. Bekomme ich selten hin. Außerdem möchte ich mit mindestens einem Artikel pro Ausgabe vertreten sein. Da helfen mir die Buch-Rezensionen gut weiter und natürlich die Kolumne Mein Leben mit der CD, die ich kürzlich begonnen habe. Dazu kommt jeden Monat die News- und VÖ-Seite. Hält mich schon in Trab.
Manchmal denke ich über eine Reduktion auf ein oder zwei Bands pro Monat nach – mit Hintergrund, Interview und Konzertbericht. Aber ich schrecke immer wieder zurück. Zurzeit kann ich jeden Monat zwischen Reggae, Punk, Songwriter, Metal, Progressive, Klassik und was weiß ich noch pendeln – und das entspricht meinem CD-Regal, in dem Mozart, Motörhead, Madonna, Marillion, Mannfred Mann, Gary Moore, Mud, Reinhard Mey, Bob Marley, Mortification, Glenn Miller, Möley Crüe und Van Morrison friedlich nebeneinander stehen.

Rainer Janaschke: Dein Musikgeschmack ist ja sehr vielseitig. War das auch schon vor Deiner musikansich.de Zeit so, oder hat sich das erst mit der Mitarbeit an unserem Magazin entwickelt? Von mir kann ich sagen, dass sich mein musikalisches Weltbild in den letzten Jahren, gerade durch den Zugang zu Musik, welche ich mir sonst nicht unbedingt gekauft hätte, enorm erweitert hat!

Friday Night at San Francisco von Al di Meola, Paco de Lucia und John McLaughlin

Norbert von Fransecky: Ja und Nein! Es hat mich immer schon gereizt, Musik zu verstehen, die mich erst einmal überfordert hat. Ich erinnere mich daran, wie in unserer Gemeindejugend einige Leute plötzlich völlig begeistert das Live Album Friday Night at San Francisco von Al di Meola, Paco de Lucia und John McLaughlin hörten. Für mich war das zuerst nur nervig. Heute liebe ich es.

Ich glaube, die größte Erweiterung durch die musikansich-Arbeit sind die Alben des Kölner Westpark Labels, die viel Folk aus Nordeuropa im Programm haben, eventuell auch die von mir meist recht kritisch bewerteten HipHop-lastigen Sachen von Rootdown, einem Label und Promo-Verein, dem ich mich vor allem wegen des Reggae-Outputs genähert habe.

Perspektiven erweiternd sind dann auch die Bücher über musikalische Phänomene, die ich regelmäßig bespreche; und zwar vor allem dann, wenn ich von dieser Musiksparte noch wenig oder gar nichts gehört habe. Manchmal eine kostspielige Angelegenheit, wenn nach der Lektüre plötzlich sechs neue Alben auf der Einkaufsliste stehen.

Rainer Janaschke: Hast Du mal Reaktion von Fans eines bestimmten Künstlers / Band erhalten? In meinem Fall erinnere ich mich an eine Rezension einer Daniel Küblböck Single, welche ein paar Fans wohl nicht so toll fanden und mir lustige emails geschickt haben!

Norbert von Fransecky: Von Fans eigentlich nicht; gelegentlich von den Künstlern selber oder den Promotern. Das Schönste war bislang eine Nummer, – Ich lasse mal Namen weg – dass ich von einer Plattenfirma, mit der ich bis zu diesem Tag nur per email verkehrte, einen „echten“ Brief erhielt – und zwar von einer Dame, mit der ich bislang nichts zu tun hatte, die meine Kritik auf einer eng beschriebenen DinA 4-Seite, als völlig unberechtigt, nicht nachvollziehbar und im Gegensatz zum Geschmack der angesprochenen jungen Zielgruppe bezeichnete. Das mag ja im Einzelfall stimmen. Da es sich aber um einen christlichen Künstler handelte, habe ich ihr einen Vorschlag machen können.
An beiden Schulen, an denen ich unterrichte, mache ich zwei bis drei Mal im Jahr vor den Ferien im Religionsunterricht die so genannte „Christparade“, d.h. die Schüler hören sieben Titel christlicher Interpreten und stimmen am Ende über sie ab.
Ich habe die Dame also gebeten mir den Titel von dem verrissenen Album zu nennen, dem sie bei Jungendlichen die größte Chance zumisst und habe den in die nächste Christparade aufgenommen. Ergebnis? An beiden Schulen Platz 7 von 7. Ich glaube, bei einer 6. Klasse hatte er es auf den 6. Platz gebracht, weil die mit irgendeinem heftigen Metal-Song (noch) nichts anfangen konnten. Einen Kommentar zu diesem Ergebnis, das ich natürlich weiter gegeben habe, habe ich allerdings nie erhalten.
Mario Karl

Mario Karl: Hallo Norbert, Rainer! Ich misch mich mal ein! Ich erlebe es immer wieder, dass Plattenfirmen und Promotionagenturen einen drängen bestimmte Themen unbedingt zu besprechen oder Storys in Form von Interviews zu führen. Fühlt ihr Euch da manchmal wie als eine Art Erfüllungsgehilfen gebraucht?

Norbert von Fransecky: Erst einmal hasse ich Standardinterviews mit dem immer gleichen Fragen über Besetzungswechsel etc. Viele Alben sind schlicht und ergreifend das neuste Produkt von ein paar Kerlen, die zufällig Musik machen. Da kann man dann eine Review zu schreiben und sagen, was dabei raus gekommen ist. Vielmehr nicht!
Von daher hebe ich meinen Finger für Interviews eigentlich nur dann, wenn mich beim Hören einer CD irgendwas besonders interessiert hat. Da ich selber kein Instrument spiele, dreht sich das meistens um inhaltliche auf die Texte bezogene Fragen. Ich glaube Neugier auf der Seite des Interviewers ist die beste Voraussetzung für einen guten Artikel.
Klar, kommen von den Firmen schon mal Bitten und „dringende“ Anfragen. Aber auf die kann ich so „dringend“ sowieso nicht reagieren. Ich habe da einen Beruf, der erst mal vorgeht. Und bislang habe ich Fragen und Angebote auch als Anliegen verstanden, zu denen ich ganz frei Ja oder Nein sagen kann. Als besonderen Druck habe ich das daher bislang nicht erlebt. Vielleicht habe ich da auch einfach nur ein dickes Fell!
Ich habe auch noch nie den Eindruck gehabt, dass eine Firma einen Zusammenhang zwischen Bemusterung und Interviews herstellt und droht uns nichts mir zu schicken, wenn wir keine Storys bringen – nur in Einzelfällen umgekehrt! Firmen, die mir generell gesagt haben, wir können Euch nicht bemustern, sind gelegentlich bereit eine Ausnahme zu machen, wenn man von vorneherein ein Interview verspricht.

Rainer Janaschke: Es kommt natürlich vor, dass man von Promoagenturen oder Labels auf Interviews angesprochen wird, insbesondere nach positiven Reviews. Bisher wurde ich allerdings noch nie genötigt ein Interview zu machen, um mit einem bestimmten Thema bemustert zu werden. Ich würde allerdings gerne mehr Interviews führen. Ich habe mir eigentlich vorgenommen pro Monat ein Interview abzuliefern. Momentan bekomme ich das zeitlich aber nicht hin und musste ein paar interessante Angebote ablehnen.

Mario Karl: Auf der anderen Seite wird allerdings auch immer wieder versucht die Schreiberlinge zu gängeln, auch werden Promos beschnitten oder mit Störgeräuschen versehen, oder man bekommt nur schöne Onlinestreams. Ganz so als wollte man den Firmen was Schlechtes. Was ist Eure Ansicht dazu? Also bei mir geht da manchmal schon der Spaß verloren.

Rainer Janaschke: Zu dem Thema Onlinestreams, beschnittene Promos oder den beliebten Störgeräuschen habe ich eine ganz klare Meinung! Liebe Labels und Promoagenturen, behaltet den Mist, sowas will kein Redakteur haben! Die Mindestvorraussetzung für eine Rezension ist für mich ein Download in akzeptabler Qualität. Am liebsten sind mir natürlich Promoversionen und Retailversionen (Verkaufsversionen; Red.) von Alben.

Norbert von Fransecky: Sehe ich genauso. Beschnittene Sachen, Voice overs (CDs, bei denen alle 30 Sekunde ein Satz wie „Sie hören die Promoversion des neuen XY-Albums.“ erklingt; Red.) etc ignoriere ich völlig.
Dass CDs vor dem VÖ-Termin nicht mehr raus gegeben werden, um zu verhindern, dass sie gleich im Netz stehen verstehe ich. Von daher bin ich bereit Downloads oder auch Streams zu besprechen. Das mache ich aber fast nur für Labels die bereit sind, mir nach VÖ eine reguläre CD zuzusenden, wenn ich daran interessiert bin. Es gibt ja auch CDs, von denen man weiß, dass man sie eh nie wieder auflegen würde.
Das schön aufgemachte Album The quiet Lamb von Her Name is Calla aus dem Hause Denovali.

Rainer Janaschke: Als Betriebswirt kann ich natürlich verstehen, dass Labels versuchen Kosten zu sparen, wo es geht und auf die günstigere Bemusterung per Download umschwenken. Ich bin allerdings auch wieder erstaunt, dass dieses betriebswirtschaftliche Denken vor allem bei den grösseren Labels zu greifen scheint. Oft erhalte ich gerade von kleineren Label, z.B. Denovali, wirkliche schöne und teilweise limitierte Digipack Versionen zur Rezension! Sowas ist dann immer ein kleines Highlight!

Mario Karl: Vielfach kommt seitens der Leser immer wieder der Vorwurf Online-Musikschreiberlinge würden nur kostenlose Platten und Konzertbesuche abstauben wollen und als Pflichterfüllung dann irgendwelchen Unsinn schreiben. Finde ich etwas ungerecht, da bei mir wirklich die Leidenschaft für Musik und die Freude gute Bands anzuspreisen den Großteil der Motivation an der Sache ausmacht. Was treibt Euch im Allgemeinen an?

Rainer Janaschke: Der Vorwurf ist mir bekannt, ist aber noch nicht an mich persönlich gerichtet worden. Bei mir steht ganz klar die Leidenschaft für Musik im Vordergrund. Ich möchte gar nicht den Wert meiner CD Sammlung zusammenrechnen, welche ich mir selber zusammengesammelt und gekauft habe. Ich glaube da hätte ich mir auch einen Kleinwagen für kaufen können.

Was halt auch selten gesehen wird, ist die Zeit, welche engagierte Redakteure investieren. Das ist ja immerhin unsere Freizeit. Wenn wir die erhaltenen Promos und Konzertbesuche mal gegenrechnen, sieht der Stundenlohn ziemlich armselig aus! Es gibt ja noch Tätigkeiten, die neben dem Rezensieren erledigt werden wollen.
Dennoch denke ich, dass wir im Bezug auf Zugang zu Musik etwas privilegiert sind. Zudem steht es ja auch jedem offen sich bei Onlinemagazinen zu bewerben und somit ebenfalls zur schreibenden Zunft zu gehören.

Mario Karl: Was waren bisher Eure beeindruckensten oder schönsten Momente in Eurer MAS- bzw. Schreiberkarriere? Ich denke da immer wieder an nette Kontakte diverser Musiker.

Norbert von Fransecky: Zum einen die diversen „ersten Male“; auf einer Gästeliste, im Backstagebereich, ein Telefoninterview mit Australien etc. Das nutzt sich natürlich mit der Zeit ab.
Ansonsten erinnere ich mich an ein längeres Telefongespräch mit den Blind Passengers, in dem der Sänger(?) plötzlich ganz überrascht sagte: „Du hast Dich ja richtig auf das Interview vorbereitet und hast dir den Inhalt sämtlicher Texte angeschaut.“ Da merkt man, auch wie manch ein Journalist, der natürlich immer unter Zeitdruck steht, arbeitet. Oder ein über zwei Stunden langes Gespräch mit dem Subway to Sally Texter Bodenski, damals noch in seiner Potsdamer Wohnung; ein längeres Gespräch mit Martin Walkyier von Skyclad im Tourbus. Ganz witzig war der Tag, an dem ich nachmittags ein Interview mit Dany Filth gemacht habe, dann fix zu einem wissenschaftlichen Vortrag über die Logotherapie des Psychoanalytikers Viktor Frankl inclusive Interview gerast bin, um sofort wieder zurück zum Opeth / Cradle of Filth Konzert zu fahren. Da prallten Welten aufeinander.

Rainer Janaschke:: Da stechen ganz besonders die Kontakte zu Musikern hervor.
Spontan fällt mir das Interview mit Thunder Sänger Danny Bowes ein. Thunder gehören zu meinen absoluten Favoriten und das Telefoninterview war tatsächlich sehr gut und Danny sehr nett.

Wenn ich einen Musiker interviewen soll, von dem ich ein Fan bin, dann bekomme ich vor dem Gespräch immer wieder feuchte Hände. Leider muss ich viele Interviews per email erledigen, meist weil mir die Zeit fehlt.

Mein Trauminterview wäre eines mit Rush und zwar mit allen drei Musikern, ich glaube da würde ich wackelige Knie bekommen. Mal schauen vielleicht, man soll die Hoffnung ja nie aufgeben!

Wie sieht es bei Dir aus Mario? Gibt es irgendeinen Trauminterview Partner?

Mario Karl: Das klingt gut. Im Falle von Rush würde ich mich gleich neben Dich aufs Sofa setzen. Oder wie wäre es mit einer Tour mit Mike Ness im 54'er Chevy durch Orange County oder im Gespräch mit Robert Plant ihn beglückwünschen, dass er es nicht nötig findet, bei einer Led Zeppelin-Reunion mitzumachen? Naja, träumen darf man ja. Aber wesentlich realistischer: Ein entspanntes Gespräch mit Weirdo Devin Townsend.
Ingo Andruschkewitsch

Ingo Andruschkewitsch: Hallo ihr beiden, nun habe ich auch noch eine Frage: Wie sieht für Euch eine gute Rezension aus? Gibt es da ein Standardrezept und nach welchen Kriterien bewertet Ihr die Musik, Texte, Bücher etc.?

Rainer Janaschke: Gute Frage und auch nicht einfach zu beantworten. Ich bin ein Anhänger des Prinzips „Kurz und Knapp“. Ich mag keine Rezensionen, in denen jeder einzelne Song durchgekaut wird. Der Leser soll zwar einen Hinweis bekommen was ihn erwartet und es ist auch wichtig, dass klar wird, dass eine Rezension immer nur die subjektive Meinung des Schreibers wiedergibt. Eine Rezension darf aber nicht zu viel vorweg nehmen. Der Hörer muss noch die Chance haben, auf einem Album Überraschungen zu erleben.

Norbert von Fransecky: Für mich muss eine gute Rezension oder eine gute Review vor allem nachvollziehbar sein. Wieviel Punkte ich gebe, das ist nicht zuletzt ein Bauchgefühl. Eine Scheibe, bei der ich am Ende keine große Lust habe, sie noch mal aufzulegen, wird nur geringe Chancen auf 15 oder mehr Punkte haben, auch wenn sie noch so gut gemacht ist, während ein recht banal gestricktes Album, das schlicht Spaß macht, durchaus gute Noten einfahren kann.

Wenn ich ein HipHop-Album vernichte, weil es typisch HipHop ist, dann sage ich das auch möglichst deutlich, um HipHop-Freunden klar zu machen, dass ihre Mägen mit großer Wahrscheinlichkeit anders bewerten werden. (Ähnlich würde es mir gehen, wenn irgendein Rezensent ein Hard Rock Album mit 6 Punkten abtut, weil es altbacken und überholt klinge, wie ein Uriah Heep Album aus den frühen 70ern. So was würde bei mir natürlich sofort auf dem Einkaufszettel landen.)
Darüber hinaus versuche ich aber so gut es geht die Besonderheit des Albums beschreiben, um dem Leser eine Vorstellung davon zu vermitteln, was er bekommt, wenn er sich dieses Album zulegt.
Last not least gebe ich ganz gerne noch mal ein, zwei Punkte oben drauf, wenn die CD in einer hochwertigen Aufmachung erscheint, mit fantastievollem Booklet, Liner Notes, oder ähnlichem. Dazu können auch die Texte oder ein Textkonzept gehören.

Rainer Janaschke: Was wünscht ihr euch für die Zukunft von musikansich.de?

Jürgen Weber: Ich würde mir wünschen, dass es musikansich.de noch lange gibt und nicht irgendwann sanft entschläft. Aber ich denke, wer 10 Jahre in der heutigen Zeit überlebt hat, hat gute Chancen noch ein paar Jährchen länger weiterzumachen. Musikseiten im Netz gibt es ja viele, jeden Monat kommen einige hinzu und andere verschwinden - was uns von anderen abhebt ist neben der monatlichen Erscheinungsweise wohl vor allem, dass es wie bereits erwähnt eben keine Stilgrenzen gibt und wirklich sehr viel regelmäßig auch tatsächlich thematisch abgedeckt wird. Und auch wenn Norbert oben schreibt, dass z.B. Kinderlieder weitgehend fehlen, muss man doch sagen, dass es auf unseren Seiten selbst dazu durchaus Beiträge gibt und diese auch jederzeit weiterhin möglich sind.
Ferner würde ich musikansich.de wünschen, dass der Mitarbeiter(innen!)stamm weiter wächst, damit nicht zu wenig Schultern diese Aufgabe allein tragen müssen und ggf. Ausfälle weggesteckt werden können (wenn Norbert mal pausieren sollte, wird es wohl schwierig für uns...). Vielleicht ist dann irgendwann auch mal das Versenden eines monatlichen Newsletters möglich, um den Bekanntheitsgrad weiter zu steigern (Sorry, mir fehlt momentan die Zeit dafür). Aber vielleicht hat der eine oder andere Leser dieser Zeilen den Mut, den Schritt vom Hörer und Leser zum Hobby-Redakteur zu wagen... "Bewerben" könnt ihr Euch hier. Ihr seid jederzeit willkommen!

Norbert von Fransecky: Ein passendes, in die Zukunft weisendes Schlusswort, das ich noch ganz im Sinne des Editorials von Sven ergänzen möchte. Wir sprengen bewusst alle Genre-Grenzen. Überlegt also nicht lange, ob ihr dazu „passt“. Am besten tun uns Fans der Genres, die bei uns (noch) ein Schattendasein führen.


Die MAS-Redaktion



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