Musik an sich


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Umzug auf Zeit – Die Staatsoper verlässt das sanierungsbedürftige Haus Unter den Linden





Die ehrwürdige Lindenoper in Berlin wird ab Herbst komplett saniert. Daher muss das Ensemble für drei Jahre umziehen. Das neue, vorübergehende Domizil ist das Schiller-Theater in Berlin-Charlottenburg in unmittelbarer Nähe zur (West)Berliner Deutschen Oper.
Am 6. April luden der neue Intendant Jürgen Flimm (rechts) und Generalmusikdirektor Daniel Barenboim zur Pressekonferenz, um das Programm der ersten Spielzeit vorzustellen. Zuvor gab es eine Möglichkeit die neue Spielstätte zu besichtigen, in der der Umbau vom Sprech- zum Musiktheater auf vollen Touren läuft. Norbert von Fransecky ist in die Welt der Oper eingetaucht.





Aus dem Sprechtheater wird eine Oper mit großem Orchestergraben

Das neue Haus
Die Hauptbühne ist verhüllt und komplett eingerüstet. Davor gähnt zwischen Bühne und Zuschauerraum ein großes Loch. „Das Schiller-Theater hatte nur einen sehr kleinen Orchestergraben,“ erklärt Hans Hoffmann, der technische Direktor, der die Führung übernommen hat. „Den mussten wir für unser Orchester natürlich beträchtlich erweitern. Außerdem werden wir Akustiksegel über den Graben hängen.“ Das ist nötig, da sich der Klang in einem Musiktheater ganz anders verteilen muss. „Der Klang muss zurückgeworfen werden, damit die Musiker sich selber hören. Er muss auf die Bühne gehen und von dort kommen, damit Sänger und Musiker sich gegenseitig hören – und vor allem muss er natürlich von Bühne und aus dem Orchestergraben ins Publikum gehen.“
Unglücklich über die neue Spielstätte wirkt Hoffmann nicht, auch wenn er es bedauert, dass man die alte Drehbühne, die für die Bedürfnisse der Staatsoper nicht geeignet war, ausbauen musste. „Wir haben hier 976 Plätze. Das sind etwa 400 weniger als Unter den Linden. Aber die sind komfortabler, da man beim Bau des Schiller-Theaters mehr auf Beinfreiheit geachtet hat und die Reihen nicht so dicht angeordnet hat.“ Darüber hinaus gibt es in Charlottenburg aufgrund der schräg gestellten Bühnenseiten, anders als in Mitte, keine Plätze mit Sichtbehinderung. „Und wir haben hier bessere Möglichkeiten der Beleuchtung.“ Beim Bau des Schiller-Theaters wurde bereits auf entsprechende Möglichkeiten in den Bühnenwänden und in der Decke des Zuschauerraums geachtet.

Die Wekstattbühne kann auch im Winter bespielt werden.

Neben der Hauptbühne wird die Werkstatt-Bühne eingerichtet. „Das ist eine flexible Spielstätte für etwa 100 Zuschauer,“ erklärt Hoffmann. „Da können wir das machen, was wir bisher im Magazin gemacht haben.“ Die Werkstatt-Bühne bietet insofern erweiterte Möglichkeiten, da sie heizbar ist und so auch in der kalten Jahreszeit benutzbar ist.
„Wenn wir da eine Dekoration reinbauen würden, wäre kein Platz mehr für das Publikum,“ witzelt Jürgen Flimm später, als er auf die Finanzen angesprochen wird. „Daher haben wir hier gleich ganz darauf verzichtet.“

Die erste Spielzeit
Flimm und Barenboim empfangen nach der Führung im Foyer, der dritten Spielmöglichkeit im Haus, zu einer der dilettantischsten Pressekonferenzen, die ich je erlebt habe. Flimm beschränkt sich weitgehend darauf, fast das komplette Jahresprogramm von einem Zettelstapel, in dem er sich beständig verheddert, abzulesen – und hat am Ende seines langen Monologs dann doch einen Teil vergessen. (Immerhin kann man Schüler, die ihre MSA-Präsentationsprüfung vergeigen, jetzt damit trösten, dass man so immer noch Opern-Intendant werden kann.)
Das für die Pressekonferenz vorbereitete Foyer

Daniel Barenboim verteilt Artigkeiten in alle Richtung, hat aber ansonsten sichtlich wenig Lust Substanzielles von sich zu geben. Immerhin merkt er pflichtschuldig an, dass das Schillertheater keine Notlösung sei, sondern eine Herausforderung. Die habe man unter anderem derart angegangen, dass man Jens Joneleit damit beauftragt habe zur Eröffnung der neuen Spielstätte am 3. Oktober eine neue Oper zu schreiben. Dazu zitiert Barenboim, der die musikalische Leitung hat, einen Kommentar von Christoph Schlingensief, der die Oper inszenieren wird. Der habe gesagt: „Dann brauchst Du nicht, wie sonst, alles umzuschmeißen, weil du mit dem Künstler reden kannst.“
Der fühlt sich geehrt, denn: „Von mir ist noch nie Musik in Berlin aufgeführt, bzw. uraufgeführt worden. Und jetzt gleich eine Oper im Schiller-Theater!“, zu der René Pollesch den Text geschrieben hat. Weiteren Auskünften entzieht sich Joneleit mit der weisen Erkenntnis, dass man über Musik eigentlich nicht reden kann.
Die beiden ebenfalls anwesenden Regisseurinnen Reinhild Hoffmann und Andrea Breth, die jeweils ein Werk in der Werksatt, bzw. im großen Haus inszenieren, freuen sich vor allem darüber, dass das Schiller-Theater nun wieder bespielt wird.

Um hier nicht denselben Fehler zu begehen, wie Jürgen Flimm, verweise ich für Details des Programms auf die Homepage der Staatsoper und erwähne nur einige hervorragende Fakten.
Es wird eine Neuinszenierung des Rings in Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala geben. Dabei werden Rheingold und Walküre ihre Premiere in Mailand haben und hinterher in Berlin gezeigt werden. Bei Siegfried und der Götterdämmerung geht es dann anderes herum.
Das Ganze verspricht Einiges. Inszeniert wird der Ring von dem flämischen Regisseur Guy Cassiers, der in Antwerpen ein eigenes Theater betreibt, das multimedial ausgestattet ist.
Insgesamt stehen in der ersten Spielzeit eine Uraufführung und jeweils acht Premieren im großen Haus und auf der Werkstattbühne auf dem Programm. Dazu kommen zwölf Opernwerke aus dem Repertoire, vier Ballett-Produktionen und 70 Konzerte.
Besondere Veranstaltungsreihen kümmern sich um die Kinder und die Freunde zeitgenössischer Musik.
Über den Rand der Oper wird mit Gastspielen von Angela Denoke & Band (Jazz), Barbara Sukowa & ihren X-Patsys (Rock) sowie dem Rodolfo Mederos Trío (Tango) hinausgeblickt. Vanessa Redgrave liest Texte über die schreckliche Tradition der Folter, begleitet vom Staatskapellen-Schlagzeuger Dominic Oelze.

Und dann…?
Ein opulentes Programm, das einen Journalisten zu der ketzerischen Bemerkung veranlasste, man habe in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen, dass das Geld für mehr Inszenierungen nicht ausreiche. Woran sich die Frage anschliesst, wo es denn nun her kommt. „Wir werden mit dem Geld, das wir haben auskommen und wenn wir nicht damit auskommen, werden wir trotzdem damit auskommen,“ lautete die Antwort von (Finanz?)künstler Flimm. Was er damit meinte? Möglicherweise die moralische Verpflichtung zur Sparsamkeit. Denn in diesem Zusammenhang wies er nicht nur auf den bereits erwähnten Verzicht auf eine Dekoration für die Werkstattbühne hin, sondern auch auf die Tatsache, dass man der Staatsoper immerhin 240 Millionen für die Renovierung des Stammhauses und 24 Millionen für die Investitionen ins Schiller-Theater spendiere. „Da muss man dann auch mal kleine Brötchen backen."

Gebacken werden die im Schiller-Theater ab dem 19. August. Dann werden die ersten Proben ins Haus verlegt. Was nach der Nutzung durch die Staatsoper mit dem Theater geschieht, ist offen. „Bis dahin hat es Wahlen gegeben,“ weiß Flimm. „Wer weiß, mit welchem alten oder neuen Bürgermeister, welchem alten oder neuen Kultursenator und welchen alten und neuen Staatssekretären man es dann zu tun hat.“
Sicher ist wohl nur, dass der Staatsoper für anderthalb Jahre die Komische Oper folgen wird, die dann renoviert werden kann.



Norbert von Fransecky



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